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Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
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228 Teil I: Grundlegung fĂŒhls des UngenĂŒgens“ bildet, „daß auf jede Antwort eine neue Frage möglich ist, daß jeder Standpunkt nur eine Ecke in einem Polygon von Standpunkten ist, jeder Grund seine GegengrĂŒnde hat, und die ganze TĂ€tigkeit auf einem Boden ausgeĂŒbt werden muß, der bei jedem Druck nachgibt“ (GW 8, 1181). Dieser Einsicht genĂŒge allein „die Kunst des Fragments“, die ihre „ElastizitĂ€t“ allerdings nur dann erhalte, „wenn sie als Kunst ausgeĂŒbt und nicht etwa als Unvermögen erlitten wird, was allerdings die wenigsten unterscheiden kön- nen“ (GW 8, 1181 f.). Zur Frage des Essayismus als Lebens-, Reflexions- und Darstellungsprinzip – nicht aber als hinreichendes Interpretament fĂŒr den gesamten Mann ohne Eigenschaften181 – sind auch weitere Bemerkungen einschlĂ€gig, die Musil in seinem Blei-Essay von 1918 niedergeschrieben hat. Dort betont er etwa hin- sichtlich der antisystematischen und antiideologischen Gestalt essayistischen Denkens, „daß es eine aktive Wandelbarkeit der Anschauungen eines Essay- isten gibt, die weder mit Fortschritt und Bekehrung zu neuen Anschauungen, noch mit innerer Unsicherheit etwas zu tun hat, und daß es eine vermeintliche Anteillosigkeit gibt, der es tatsĂ€chlich gleichgĂŒltiger sein darf, was sie liebt oder bekĂ€mpft, als warum sie es tut“ (GW 8, 1024). Hier werden weniger ge- wisse Maximen des Poststrukturalismus vorweggenommen, wie man vielleicht meinen könnte182, sondern es erscheint allererst die an Nietzsches Moralkri- tik geschulte metareflexive Seite essayistischen Denkens und Handelns : Es geht nicht so sehr um deren Inhalt, vielmehr um das ihnen zugrunde liegende Ethos. Die zeittypische Dichotomisierung zwischen GefĂŒhl und Intellekt wird von Musil nicht allein hinsichtlich des scheinbar gefĂŒhllosen Intellekts, sondern auch hinsichtlich einer antiintellektuellen Aufwertung des scheinbar unmittel- bareren GefĂŒhls problematisiert. Ihr gegenĂŒber betont er den „Anteil“, „den die GrĂ¶ĂŸe der Verstandesleistung an der GrĂ¶ĂŸe der Gesamtleistung hat, die erst das Geistige ist“ ; mit anderen Worten : „[W]enn man die autonome Stel- lung des Essayisten nicht kennt oder nicht anerkennt“, werde man „sein Werk stets entweder zu theoretisch und zu wenig im GefĂŒhl verankert finden, oder zu wenig theoretisch und zu verflatternd im GefĂŒhl“ (GW 8, 1024). Die an- gestrebte Rehabilitation essayistischen Denkens und Schreibens befindet sich 181 Vgl. dazu die Bemerkungen im zweiten Teil der Einleitung zu vorliegender Arbeit. 182 Vgl. allerdings folgende Selbstlegitimierung am Ende der Einleitung in Foucault : ArchĂ€ologie des Wissens, S. 30, die inhaltlich durchaus mit Musils Essayismuskonzept kongruiert : „Man frage mich nicht, wer ich bin, und man sage mir nicht, ich solle der gleiche bleiben : das ist eine Moral des Personenstandes ; sie beherrscht unsere Papiere. Sie soll uns frei lassen, wenn es sich darum handelt, zu schreiben.“
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Kakanien als Gesellschaftskonstruktion Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
FWF-E-Book-Library
Title
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Subtitle
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
Author
Norbert Christian Wolf
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2011
Language
German
License
CC BY-NC-ND 3.0
ISBN
978-3-205-78740-2
Size
15.5 x 23.0 cm
Pages
1224
Keywords
Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
Category
Geisteswissenschaften

Table of contents

  1. Vorbemerkung 9
  2. Einleitung 11
    1. 1. Vom Scheitern eines Großkritikers : Aporien der Literaturkritik 11
    2. 2. Die MĂŒhen der Literaturwissenschaft : Aporien der Forschung 20
  3. TEIL I : GRUNDLEGUNG
    1. 1. Grundlagen der Untersuchung 43
      1. 1.1 Vorstellung der Methode : Bourdieus Sozioanalyse literarischer Texte 43
      2. 1.2 Methodologische EinwÀnde : Kritik der Sozioanalyse 58
    2. 2. Grundlagen der Poetik Musils 64
      1. 2.1 Der Mensch ohne Eigenschaften : ‚Gestaltlosigkeit‘ als ‚negative‘ Anthropologie 64
      2. 2.2 ‚Gestaltlosigkeit‘ und Romantext als Gesellschaftskonstruktion 80
    3. Gesellschaft im Roman 82
    4. Roman als Konstruktion 101
    5. Da capo : Angemessenheit und Vorgehensweise der Sozioanalyse 124
      1. 2.3 Medienkonkurrenz : Essayistisches vs. filmisches ErzÀhlen (Musil kontra Balåzs) 129
    6. 3. Grundbegriffe des Romankonzepts 165
      1. 3.1 Eigenschaftslosigkeit 165
      2. 3.2 Möglichkeitssinn und Essayismus 199
  4. TEIL II : ROMANTEXT ALS KRÄFTEFELD
    1. 1. „Versuchsstation des Weltuntergangs“ : Chronotopos und sozialer Raum 261
      1. 1.1 SelbstreferenzialitĂ€t und Außenreferenz : Das Eingangskapitel 261
      2. 1.2 Ein Land ohne Eigenschaften – Kakanien als Modell 282
      3. 1.3 Das Feld der Macht im Mann ohne Eigenschaften 300
    2. 2. „Zeitfiguren“ 1913/1930 „am gesellschaftlichen Schachbrett“ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
      1. 2.1 MĂ€nner 334
    3. Erben und Enterbte 344
    4. Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) – Der Dilettant Walter 347
    5. Mann mit Eigenschaften 378
    6. Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
    7. Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
    8. Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
    9. Aufsteiger und Gebremste 482
    10. Realpolitik als ‚Antiessayismus‘ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) – Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und ‚Jude‘ 501
    11. Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
    12. Terroristen und Propheten 548
    13. Forcierte ‚Eigenschaftlichkeit‘ : Der Antisemit Hans Sepp 558
    14. eingast, Faschist und Schwerenöter 584
    15. Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist Schmeißer 601
    16. Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem „Geiste des Expressionismus“ 613
      1. 2.2 Frauen 635
    17. Gefallene Geliebte 643
    18. Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
    19. Petrifizierte ‚Eigenschaftlichkeit‘, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
    20. Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
    21. Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
    22. Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
    23. Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
    24. Angepasste und Dissidentinnen 708
    25. Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
    26. Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
    27. 3. „Die falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaft“ : Konstellationen und Interaktionen 768
      1. 3.1 Gemischtgeschlechtliche Konstellationen : MĂ€nner und Frauen im 20. Jahrhundert 771
    28. Ehen in der Krise 781
    29. Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die „TrĂ€ger des Zeit- wandels“ Walter und Clarisse 788
    30. Von der physiologischen „Zwangsherrschaft“ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
    31. Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
    32. Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
    33. Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der ‚schönen Seele‘ : Ulrich und Bonadea 825
    34. Coitus interruptus als „Lustselbstmord“ : Ulrich und Gerda 844
    35. Liebesversuche jenseits der Ehe 885
    36. Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
    37. Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
    38. Liebe à la hausse, platonische „Begegnung zweier Berggipfel“ : Diotima und Arnheim 908
    39. Die „letzte Liebesgeschichte“ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
    40. 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
    41. Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
    42. Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, Preußen gegen Österreich 1005
    43. Der Intellektuelle und der Großschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
    44. Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
    45. Entgegengesetzte „Exponenten des Zeitgeistes“ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
    46. BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
  5. BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und Schmeißer 1086
  6. TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
    1. 1. Der Mann ohne Eigenschaften im zeitgenössischen literarischen Feld 1099
      1. 1.1 ‚Negative‘ Anthropologie als literaturpolitischer Einsatz 1101
      2. 1.2 Poetik des Essayismus – Musils vielfacher Bruch 1130
    2. 2. Autor und Romanheld in der Moderne – Musils indirekte Selbstanalyse 1152
  7. Literaturverzeichnis 1169
  8. Musil-Texte 1169
  9. Andere Quellen 1169
  10. Nachschlagewerke 1176
  11. Allgemeine Forschungsliteratur 1176
  12. SekundÀrliteratur zu Musil 1193
  13. Register 1208
    1. 1. Personen 1208
    2. 2. Literarische Figuren 1214
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