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Teil II: Romantext als
KrÀftefeld308
laubte GefĂŒhlssachenâ, und den Geschwistern ist klar, dass ihre eigene âeine
unerlaubteâ darstellt (MoE 1023). Der âMöglichkeitssinnâ wĂ€re demgegenĂŒber
das Vermögen, die geltenden Grenzziehungen in Frage zu stellen oder gar
aufzuheben.
Anhand dieser komplexen strukturellen Konstellation manifestiert sich in-
des die inhĂ€rente Problematik des Lotmanâschen Modells, das in seiner binĂ€-
ren Grundstruktur eine relativ unflexible Statik aufweist und zugleich sugge-
riert, dass sich sÀmtliche mikrostrukturelle Oppositionen des monumentalen
Romans auf eine einzige makrostrukturelle Basisdifferenz zurĂŒckfĂŒhren lassen.
Dadurch wird eine TotalitĂ€t behauptet, die Musils Romankonzept ausdrĂŒck-
lich in Frage stellt121, und auĂerdem eine raumkonstitutive âGrenzeâ zwischen
âbeweglichemâ und âunbeweglichemâ Personal ein fĂŒr allemal festgeschrieben.
Zur adÀquaten Deutung des essayistischen Romans mit seiner insgesamt be-
weglichen Handlungsstruktur scheint dagegen ein Modell vonnöten, das bi-
nÀre Oppositionen zwar nicht prinzipiell verwirft, aber genetische Aspekte
und solche des rĂ€umlichen Ăbergangs besser zu integrieren und zu model-
lieren vermag. Ein solches Modell stellt die sozialwissenschaftliche Raum-
konzeption dar, die Bourdieu in seiner soziologischen Feldtheorie entwickelt
hat und durch die sich Lotmans formalistisches Modell des âkĂŒnstlerischen
Raumsâ sinnvoll ergĂ€nzen bzw. weiterentwickeln lĂ€sst.122
GrundsĂ€tzlich kann der soziale Raum âerfaĂt werden in Form der Vertei-
lungsstruktur der verschiedenen Arten von Kapitalâ123. Auch hier sind polare
Oppositionspaare strukturbildend :
Die Struktur des sozialen Raums manifestiert sich so in den verschiedensten Kontex-
ten in Form rÀumlicher GegensÀtze, wobei der bewohnte (oder angeeignete) Raum
als eine Art spontaner Metapher des sozialen Raumes fungiert. In einer hierarchi-
sierten Gesellschaft gibt es keinen Raum, der nicht hierarchisiert ist und nicht die
Hierarchien und sozialen Distanzen zum Ausdruck bringt [âŠ].124
Das vom physikalischen KrÀftefeld inspirierte Raumkonzept Bourdieus er-
laubt es, den im literarischen Text gestalteten Raum als bipolare Einheit zu be-
schreiben, wodurch im Mann ohne Eigenschaften die Frage nach dem tatsÀchli-
chen Vollzug des Inzests in den Hintergrund tritt gegenĂŒber einer Vorstellung
121 Vgl. dazu Kap. I.3.2.
122 Vgl. dazu den Hinweis von Jurt : Das literarische Feld, S. 141, Anm. 23.
123 Bourdieu : Physischer, sozialer und angeeigneter physischer Raum, S. 28.
124 Ebd., S. 26 f.
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Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Title
- Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
- Subtitle
- Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Author
- Norbert Christian Wolf
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78740-2
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 1224
- Keywords
- Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
- Category
- Geisteswissenschaften
Table of contents
- Vorbemerkung 9
- Einleitung 11
- TEIL I : GRUNDLEGUNG
- TEIL II : ROMANTEXT ALS KRĂFTEFELD
- 1. âVersuchsstation des Weltuntergangsâ : Chronotopos und sozialer Raum 261
- 2. âZeitfigurenâ 1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
- Erben und Enterbte 344
- Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) â Der Dilettant Walter 347
- Mann mit Eigenschaften 378
- Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
- Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
- Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
- Aufsteiger und Gebremste 482
- Realpolitik als âAntiessayismusâ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) â Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und âJudeâ 501
- Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
- Terroristen und Propheten 548
- Forcierte âEigenschaftlichkeitâ : Der Antisemit Hans Sepp 558
- eingast, Faschist und Schwerenöter 584
- Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist SchmeiĂer 601
- Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem âGeiste des Expressionismusâ 613
- Gefallene Geliebte 643
- Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
- Petrifizierte âEigenschaftlichkeitâ, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
- Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
- Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
- Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
- Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
- Angepasste und Dissidentinnen 708
- Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
- Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
- 3. âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ : Konstellationen und Interaktionen 768
- Ehen in der Krise 781
- Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die âTrĂ€ger des Zeit- wandelsâ Walter und Clarisse 788
- Von der physiologischen âZwangsherrschaftâ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
- Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
- Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
- Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der âschönen Seeleâ : Ulrich und Bonadea 825
- Coitus interruptus als âLustselbstmordâ : Ulrich und Gerda 844
- Liebesversuche jenseits der Ehe 885
- Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
- Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
- Liebe Ă la hausse, platonische âBegegnung zweier Berggipfelâ : Diotima und Arnheim 908
- Die âletzte Liebesgeschichteâ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
- 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
- Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
- Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, PreuĂen gegen Ăsterreich 1005
- Der Intellektuelle und der GroĂschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
- Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
- Entgegengesetzte âExponenten des Zeitgeistesâ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
- BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
- BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und SchmeiĂer 1086
- TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
- Literaturverzeichnis 1169
- Musil-Texte 1169
- Andere Quellen 1169
- Nachschlagewerke 1176
- Allgemeine Forschungsliteratur 1176
- SekundÀrliteratur zu Musil 1193
- Register 1208