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417âZeitfigurenâ
1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ
dem erwachsenen Betrachter im Sinne einer konstanten und mit sich identi-
schen âEigenschaftlichkeitâ statuiert.
Arnheims habituelle Entwicklung zeugt den gĂŒnstigen familiĂ€ren Bedin-
gungen entsprechend von beeindruckender WeltlĂ€ufigkeit und groĂer geis-
tiger FlexibilitÀt, aber bezeichnenderweise kaum von jenem aggressiven Di-
stinktionswillen gegenĂŒber dem eigenen Vater, der in Ulrichs Adoleszenz
wiederholt zu beobachten war. Die generationelle Konzilianz des Industriel-
lensohns manifestiert sich etwa bei seiner Belehrung Diotimas in einem spezi-
fischen Tonfall :
Arnheims Stimme, wie er von seinem Vater sprach, hatte einen ungewöhnlichen,
ehrfĂŒrchtigen Ton angenommen, als hĂ€tte ihre dozierende Ruhe irgendwo einen klei-
nen Sprung. Es fiel Diotima umsomehr auf, als ihr Ulrich erzÀhlt hatte, daà man den
alten Arnheim einfach als einen kleinen, breitschultrigen Kerl schildere, mit einem
knochigen Gesicht und einer Knopfnase, der immer einen weit offenen Schwalben-
schwanz trage und mit seinem Aktienbesitz so zÀh und umsichtig verfahre wie ein
Schachspieler mit seinen Bauern. (MoE 270)
Die â auch beim historischen Modell Rathenau verbĂŒrgte264 â Ehrfurcht ge-
genĂŒber dem eigenen Vater fĂ€llt umso mehr ins Gewicht, als Arnheim im
Unterschied zu jenem auf eine erfolgreiche akademische Laufbahn zurĂŒck-
blicken kann, was zumindest in bĂŒrgerlichen Kreisen noch zu Beginn des 20.
Jahrhunderts eine nicht unerhebliche symbolische Gratifikation bedeutete :
Er habe âNationalökonomie und alle erdenklichen Wissenschaften studiertâ
(MoE 269) â gibt er Diotima zu bedenken â und hat offenbar auch in Erste-
rer promoviert, wie seinem Doktortitel zu entnehmen ist (zumindest gibt der
Text keine anderslautenden Informationen). An diesem symbolisch wichtigen
Punkt weicht die erzĂ€hlerische Gestaltung Arnheims ĂŒbrigens wieder ab vom
Modell Walther Rathenaus, der nach eigener Auskunft bei der Berufswahl
zunĂ€chst âzwischen Malerei, Literatur und Naturwissenschaftâ schwankte,
sich dann âfĂŒr Physik, Mathematik und Chemie, als Grundlagen neuzeitlicher
Technik und Wissenschaftâ entschied, in Berlin und StraĂburg studierte und
1889 ĂŒber âLichtabsorption der Metalleâ promoviert hat, was eine Voraus-
setzung fĂŒr seine berufliche TĂ€tigkeit in der âElektrotechnik, insbesondere
264 Vgl. Heimböckel : Rathenau und die Literatur seiner Zeit, S. 29. Dies ist umso bemerkens-
werter, als Walther Rathenau lange im Schatten seines ĂŒbermĂ€chtigen Vaters stand, was seine
Habitusbildung entscheidend prĂ€gte ; vgl. dazu Gall : Rathenau, S. 50â69.
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book Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts"
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Title
- Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
- Subtitle
- Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Author
- Norbert Christian Wolf
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78740-2
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 1224
- Keywords
- Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
- Category
- Geisteswissenschaften
Table of contents
- Vorbemerkung 9
- Einleitung 11
- TEIL I : GRUNDLEGUNG
- TEIL II : ROMANTEXT ALS KRĂFTEFELD
- 1. âVersuchsstation des Weltuntergangsâ : Chronotopos und sozialer Raum 261
- 2. âZeitfigurenâ 1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
- Erben und Enterbte 344
- Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) â Der Dilettant Walter 347
- Mann mit Eigenschaften 378
- Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
- Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
- Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
- Aufsteiger und Gebremste 482
- Realpolitik als âAntiessayismusâ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) â Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und âJudeâ 501
- Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
- Terroristen und Propheten 548
- Forcierte âEigenschaftlichkeitâ : Der Antisemit Hans Sepp 558
- eingast, Faschist und Schwerenöter 584
- Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist SchmeiĂer 601
- Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem âGeiste des Expressionismusâ 613
- Gefallene Geliebte 643
- Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
- Petrifizierte âEigenschaftlichkeitâ, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
- Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
- Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
- Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
- Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
- Angepasste und Dissidentinnen 708
- Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
- Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
- 3. âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ : Konstellationen und Interaktionen 768
- Ehen in der Krise 781
- Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die âTrĂ€ger des Zeit- wandelsâ Walter und Clarisse 788
- Von der physiologischen âZwangsherrschaftâ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
- Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
- Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
- Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der âschönen Seeleâ : Ulrich und Bonadea 825
- Coitus interruptus als âLustselbstmordâ : Ulrich und Gerda 844
- Liebesversuche jenseits der Ehe 885
- Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
- Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
- Liebe Ă la hausse, platonische âBegegnung zweier Berggipfelâ : Diotima und Arnheim 908
- Die âletzte Liebesgeschichteâ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
- 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
- Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
- Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, PreuĂen gegen Ăsterreich 1005
- Der Intellektuelle und der GroĂschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
- Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
- Entgegengesetzte âExponenten des Zeitgeistesâ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
- BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
- BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und SchmeiĂer 1086
- TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
- Literaturverzeichnis 1169
- Musil-Texte 1169
- Andere Quellen 1169
- Nachschlagewerke 1176
- Allgemeine Forschungsliteratur 1176
- SekundÀrliteratur zu Musil 1193
- Register 1208