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440 Teil II: Romantext als KrÀftefeld
Es [âŠ] im stillen fĂŒr Zwecke und Menschen verschenken, die ihm nichts nĂŒtzen, das
lĂ€Ăt sich nur mit einem Meuchelmord am Geld vergleichen. Es kann sein, daĂ diese
Zwecke gut und diese Menschen unvergleichlich sind ; dann soll man sie mit allen
Mitteln fördern, nur nicht mit Geldmitteln. Das war ein Grundsatz Arnheims, und
seine beharrliche Anwendung hatte ihm den Ruf eingebracht, an der geistigen Ent-
wicklung der Zeit schöpferisch und tÀtig Anteil zu haben. (MoE 420)
Die ZurĂŒckhaltung Arnheims in mĂ€zenatischen Belangen317 entspringt ha-
bituell seinem âsammelnde[n] Wesenâ, das sich generell darin Ă€uĂert, dass
âer nur sehr ungern ĂŒberhaupt etwas preisgab, was er einmal besessenâ hatte
(MoE 386). Hinsichtlich der Hypostasierung des Geldes nicht als Tausch-
mittel, sondern als EntitÀt mit intrinsischem Eigenwert weist Musils ErzÀh-
ler ĂŒberdies darauf hin, dass Arnheim den âHerrschaftsanspruch des Geldes
[âŠ] als gegeben voraussetztâ, ja als MaĂ aller Dinge ansieht : â[D]er zeitge-
nössische Mensch [âŠ] besitzt [âŠ] im Geld, wie Arnheim es verstand, die
heute sicherste Methode der Behandlung aller Beziehungenâ, was ihn aller-
dings eingestandenermaĂen nicht davor bewahrt, angesichts der Komplexi-
tĂ€t der ZusammenhĂ€nge in der modernen Gesellschaft diese âMachtâ falsch
anzuwenden (MoE 388 f.). Der âvom Reichtum charakterlich ausgezeichneteâ
Nabob trĂ€gt somit eine gewaltige BĂŒrde, wie er Diotima erlĂ€utert : âTörichte
Menschen bilden sich ein, Geld zu besitzen sei GenuĂ ! Es ist in Wahrheit eine
unheimliche Verantwortung.â (MoE 269) Mit verantwortungsloser Armut ist
âFunktionswertsâ verworfen hat ; vgl. Simmel : Philosophie des Geldes, S. 139â198. Zu Musils
historischem Modell Rathenau, der das Geld ebenfalls eher im Sinne eines Funktionswerts
geschĂ€tzt hat, vgl. Brenner : Rathenau, S. 20 f.: âEr vergötterte das Geld â aber nur, weil es ihm
das höchste Gut verschaffte, das es fĂŒr ihn gab : die UnabhĂ€ngigkeit. [âŠ] Geld war fĂŒr einen
deutschen Juden das einzige Mittel, sich einen gewissen EinfluĂ und gesellschaftliche Unan-
tastbarkeit zu sichern. [âŠ] Und er hielt mit dem Geld haus, als wĂ€re es seine einzige Waffe
gegen die feindliche Welt.â
317 Vgl. dazu auch folgende ironische ErlÀuterung, die alle Beteiligten in einem wenig schmeichel-
haften Licht erscheinen lĂ€sst : â[E]s war wohl natĂŒrlich, daĂ er seinen geistigen und kĂŒnstleri-
schen Freunden, wenn sie ihn dringend darum baten, auĂer RatschlĂ€gen auch Geld gab ; aber
er gab ihnen nicht immer und niemals viel. Sie versicherten ihm, daĂ sie auf der ganzen Welt
nur ihn darum zu bitten vermöchten, weil er allein auch die dazu nötigen geistigen Eigenschaf-
ten besĂ€Ăe, und er glaubte es ihnen, denn er war ĂŒberzeugt, daĂ das BedĂŒrfnis nach Kapital alle
menschlichen Beziehungen durchdringe und so natĂŒrlich sei wie das BedĂŒrfnis nach Atemluft,
wÀhrend er andererseits auch ihrer Auffassung, daà das Geld eine spirituelle Macht sei, entge-
genkam, indem er diese nur mit feinfĂŒhliger ZurĂŒckhaltung anwandte.â (MoE 421) Blaschke :
Der homo oeconomicus und sein Kredit, S. 307, spricht in diesem Zusammenhang zu Recht
von einem âMusterbeispiel schwebend ungreifbarer, unreduzierbarer Musilscher Ironie, die
sich nach allen Seiten richtetâ.
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Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Title
- Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
- Subtitle
- Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Author
- Norbert Christian Wolf
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78740-2
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 1224
- Keywords
- Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
- Category
- Geisteswissenschaften
Table of contents
- Vorbemerkung 9
- Einleitung 11
- TEIL I : GRUNDLEGUNG
- TEIL II : ROMANTEXT ALS KRĂFTEFELD
- 1. âVersuchsstation des Weltuntergangsâ : Chronotopos und sozialer Raum 261
- 2. âZeitfigurenâ 1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
- Erben und Enterbte 344
- Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) â Der Dilettant Walter 347
- Mann mit Eigenschaften 378
- Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
- Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
- Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
- Aufsteiger und Gebremste 482
- Realpolitik als âAntiessayismusâ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) â Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und âJudeâ 501
- Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
- Terroristen und Propheten 548
- Forcierte âEigenschaftlichkeitâ : Der Antisemit Hans Sepp 558
- eingast, Faschist und Schwerenöter 584
- Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist SchmeiĂer 601
- Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem âGeiste des Expressionismusâ 613
- Gefallene Geliebte 643
- Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
- Petrifizierte âEigenschaftlichkeitâ, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
- Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
- Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
- Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
- Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
- Angepasste und Dissidentinnen 708
- Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
- Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
- 3. âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ : Konstellationen und Interaktionen 768
- Ehen in der Krise 781
- Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die âTrĂ€ger des Zeit- wandelsâ Walter und Clarisse 788
- Von der physiologischen âZwangsherrschaftâ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
- Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
- Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
- Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der âschönen Seeleâ : Ulrich und Bonadea 825
- Coitus interruptus als âLustselbstmordâ : Ulrich und Gerda 844
- Liebesversuche jenseits der Ehe 885
- Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
- Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
- Liebe Ă la hausse, platonische âBegegnung zweier Berggipfelâ : Diotima und Arnheim 908
- Die âletzte Liebesgeschichteâ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
- 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
- Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
- Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, PreuĂen gegen Ăsterreich 1005
- Der Intellektuelle und der GroĂschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
- Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
- Entgegengesetzte âExponenten des Zeitgeistesâ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
- BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
- BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und SchmeiĂer 1086
- TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
- Literaturverzeichnis 1169
- Musil-Texte 1169
- Andere Quellen 1169
- Nachschlagewerke 1176
- Allgemeine Forschungsliteratur 1176
- SekundÀrliteratur zu Musil 1193
- Register 1208