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446 Teil II: Romantext als KrÀftefeld
âeine Symbolgestalt der sich vorbereitenden Demokratieâ (MoE 389). Bei sei-
ner wiederholt artikulierten Ăberzeugung, es komme allein âauf starke und
umfassende Persönlichkeitenâ an (MoE 196), denkt er â seinem Habitus ent-
sprechend â in erster Linie an sich selbst : âZuweilen schwebte ihm eine Art
Weimarer oder Florentiner Zeitalter der Industrie und des Handels vor, die
FĂŒhrerschaft starker, den Wohlstand mehrender Persönlichkeiten, die befĂ€higt
sein mĂŒĂten, die Einzelleistungen der Technik, Wissenschaften und KĂŒnste in
sich zu vereinen und von hohem Standpunkt zu lenken. Die FĂ€higkeit dazu
fĂŒhlte er in sich.â (MoE 194) Dennoch zeigt er sich stets um Interessenaus-
gleich bemĂŒht und Ă€uĂert sich ablehnend gegenĂŒber jeglicher Form von Radi-
kalitĂ€t, wie Diotima gegenĂŒber Ulrich betont :
Arnheim sagt, man mĂŒsse die Mittel gebrauchen, die einem seine Zeit an die Hand
gebe ; man soll sogar immer im Sinne zweier Ansichten handeln, nie ganz revolutio-
nÀr und nie ganz gegenrevolutionÀr, nie völlig liebend, noch völlig hassend, nie einem
Hang folgend, sondern alles entfaltend, was man in sich hat : Das ist aber nicht klug,
wie Sie es ihm zumuten, sondern das Zeichen einer umfassenden, OberflÀchenunter-
schiede durchstoĂenden synthetisch-einfachen Natur, einer Herrennatur ! (MoE 470)
Wie Diotima des Weiteren â und mit einigem Recht â ausfĂŒhrt, sei Ulrich in
dieser Hinsicht das krasse âGegenteilâ (MoE 470) von Arnheim, wieso er sich
auch gegen die ihm vom Nabob angetragene Freundschaft so strÀube. In der
Tat scheint etwa die âgroĂe Liebeâ, die Arnheim zur katholischen Kirche hegt
(MoE 187), bei Ulrich schwerlich vorstellbar.
Im auffallenden Unterschied zum biografischen Modell Rathenau328 hÀlt
sich die Romanfigur Arnheim wiederholt und jeweils ungewöhnlich lang in
der kakanischen Hauptstadt Wien auf. Hinsichtlich der geheimen Absichten,
die sich hinter diesen Aufenthalten verbergen, kursieren in der erzÀhlten Ge-
sellschaft die wildesten GerĂŒchte : So munkelt man etwa, er stehe âin Verbin-
dung mit RuĂlandâ, sei âein intimer Freund von FĂŒrst Mosjoutoff und Persona
grata beim Zarenâ und solle auf âprivate Initiative der russischen MajestĂ€tâ
die Parallelaktion âpazifistisch beeinflussenâ (MoE 589) â so die âinoffizielleâ
Version des Diplomaten Tuzzi, der offenbar selber daran glaubt. Wenig spÀ-
ter weiĂ Gerda Fischel dann von ihrem Vater, dass Arnheim die âgalizischen
Ălfelderâ Kakaniens âunter die Kontrolle seines Konzerns bringenâ wolle
(MoE 616).329 Auch vom ErzÀhler selbst wird mehrmals angedeutet, dass der
328 Vgl. Corino : Musil [2003], S. 872.
329 Galizien gehörte bis 1918 zu Ăsterreich-Ungarn, nicht zu Russland, wie Blaschke : Der homo
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book Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts"
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Title
- Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
- Subtitle
- Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Author
- Norbert Christian Wolf
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78740-2
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 1224
- Keywords
- Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
- Category
- Geisteswissenschaften
Table of contents
- Vorbemerkung 9
- Einleitung 11
- TEIL I : GRUNDLEGUNG
- TEIL II : ROMANTEXT ALS KRĂFTEFELD
- 1. âVersuchsstation des Weltuntergangsâ : Chronotopos und sozialer Raum 261
- 2. âZeitfigurenâ 1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
- Erben und Enterbte 344
- Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) â Der Dilettant Walter 347
- Mann mit Eigenschaften 378
- Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
- Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
- Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
- Aufsteiger und Gebremste 482
- Realpolitik als âAntiessayismusâ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) â Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und âJudeâ 501
- Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
- Terroristen und Propheten 548
- Forcierte âEigenschaftlichkeitâ : Der Antisemit Hans Sepp 558
- eingast, Faschist und Schwerenöter 584
- Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist SchmeiĂer 601
- Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem âGeiste des Expressionismusâ 613
- Gefallene Geliebte 643
- Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
- Petrifizierte âEigenschaftlichkeitâ, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
- Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
- Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
- Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
- Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
- Angepasste und Dissidentinnen 708
- Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
- Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
- 3. âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ : Konstellationen und Interaktionen 768
- Ehen in der Krise 781
- Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die âTrĂ€ger des Zeit- wandelsâ Walter und Clarisse 788
- Von der physiologischen âZwangsherrschaftâ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
- Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
- Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
- Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der âschönen Seeleâ : Ulrich und Bonadea 825
- Coitus interruptus als âLustselbstmordâ : Ulrich und Gerda 844
- Liebesversuche jenseits der Ehe 885
- Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
- Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
- Liebe Ă la hausse, platonische âBegegnung zweier Berggipfelâ : Diotima und Arnheim 908
- Die âletzte Liebesgeschichteâ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
- 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
- Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
- Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, PreuĂen gegen Ăsterreich 1005
- Der Intellektuelle und der GroĂschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
- Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
- Entgegengesetzte âExponenten des Zeitgeistesâ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
- BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
- BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und SchmeiĂer 1086
- TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
- Literaturverzeichnis 1169
- Musil-Texte 1169
- Andere Quellen 1169
- Nachschlagewerke 1176
- Allgemeine Forschungsliteratur 1176
- SekundÀrliteratur zu Musil 1193
- Register 1208