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448 Teil II: Romantext als KrÀftefeld
Da die auf Geschlechterdifferenzierung gerichtete Sozialisation die MĂ€nner dazu be-
stimmt, Machtspiele zu lieben, und die Frauen dazu, die sie spielenden MĂ€nner zu
lieben, ist das mÀnnliche Charisma zu einem Teil der Charme der Macht, der ver-
fĂŒhrerische Reiz, den der Besitz der Macht von selbst auf die Körper ausĂŒbt, deren
Triebe und WĂŒnsche selbst politisch sozialisiert worden sind.335
Es handelt sich hierbei wiederum um eine BestĂ€tigung der besagten âMat-
thĂ€us-Regelâ. Der von der Presse stĂ€ndig belagerte Arnheim gerĂ€t immer
mehr in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit : Er ist der Mann, âum
den man sich drĂ€ngte, der unaufhörlich sprechen muĂte und den geheimen
Mittelpunkt aller Hoffnungen bildeteâ (MoE 330). Musils ErzĂ€hler erwĂ€hnt
zwar beilĂ€ufig, dass âPaul Arnheim sich niemals auffĂ€llig benahmâ (MoE 97).
An anderer Stelle heiĂt es sogar, er zeige eine âBegabung zur Vorbildlichkeitâ
(MoE 387). In diesem Zusammenhang stellt sich indes die Frage, was un-
ter âunauffĂ€lligem Benehmenâ oder âVorbildlichkeitâ konkret zu verstehen ist.
Arnheim nĂ€mlich vernachlĂ€ssigt es âniemalsâ, den Eindruck gröĂter GeschĂ€f-
tigkeit und Bedeutung âselbst hervorzurufenâ ; er, âder sich beobachtet weiĂâ
und deshalb aus GrĂŒnden der besseren Sichtbarkeit wĂ€hrend seiner Wien-
Aufenthalte sein FrĂŒhstĂŒck ânicht allein, sondern in dem allen zugĂ€nglichen
Raum des Hotelsâ einnimmt (MoE 381), ist zweifellos ein Reklameexperte in
eigener Sache. Im Gefolge des historischen Niedergangs der höfischen und
adeligen Gesellschaft erhÀlt der gegenlÀufige Aufstieg von marketingbewuss-
ten GroĂkaufleuten wie Paul Arnheim den Anschein geschichtlicher Notwen-
digkeit (vgl. MoE 180) â und damit auch fĂŒr alle sichtbar geschichtsphiloso-
phische LegitimitĂ€t : âDas war der neue Typus Mensch, der berufen ist, die
alten MĂ€chte in der Lenkung der Geschicke abzulösen.â (MoE 330) Arnheim
selbst befördert diese Sicht der Dinge nach KrÀften, und eine entsprechende
Ahnung wird sogar dem Diplomaten Tuzzi in den Mund gelegt : âSektions-
chef Tuzzi [âŠ] hatte seiner Gattin empfohlen, den Besuch mit Auszeichnung
zu behandeln ; denn wenn diese Art Leute im Deutschen Reich auch noch
nicht obenauf waren und an EinfluĂ bei Hof nicht mit den Krupps verglichen
werden konnten, so konnte dies seiner Ansicht nach immerhin morgen der
Fall seinâ (MoE 96).
Dass Arnheim selbst sehr zielstrebig auf seinen weiteren Aufstieg hinar-
beitet, geht etwa aus seinem rationellen Umgang mit eigener Zeit und Ener-
gie hervor : âEr hielt sich von den offiziellen Sitzungen [der Parallelaktion,
N. C. W.], nach dem peinlichen Eindruck, den er am Beginn der ersten emp-
335 Bourdieu : Die mÀnnliche Herrschaft, S. 140 f.
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book Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts"
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Title
- Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
- Subtitle
- Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Author
- Norbert Christian Wolf
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78740-2
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 1224
- Keywords
- Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
- Category
- Geisteswissenschaften
Table of contents
- Vorbemerkung 9
- Einleitung 11
- TEIL I : GRUNDLEGUNG
- TEIL II : ROMANTEXT ALS KRĂFTEFELD
- 1. âVersuchsstation des Weltuntergangsâ : Chronotopos und sozialer Raum 261
- 2. âZeitfigurenâ 1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
- Erben und Enterbte 344
- Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) â Der Dilettant Walter 347
- Mann mit Eigenschaften 378
- Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
- Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
- Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
- Aufsteiger und Gebremste 482
- Realpolitik als âAntiessayismusâ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) â Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und âJudeâ 501
- Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
- Terroristen und Propheten 548
- Forcierte âEigenschaftlichkeitâ : Der Antisemit Hans Sepp 558
- eingast, Faschist und Schwerenöter 584
- Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist SchmeiĂer 601
- Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem âGeiste des Expressionismusâ 613
- Gefallene Geliebte 643
- Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
- Petrifizierte âEigenschaftlichkeitâ, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
- Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
- Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
- Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
- Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
- Angepasste und Dissidentinnen 708
- Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
- Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
- 3. âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ : Konstellationen und Interaktionen 768
- Ehen in der Krise 781
- Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die âTrĂ€ger des Zeit- wandelsâ Walter und Clarisse 788
- Von der physiologischen âZwangsherrschaftâ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
- Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
- Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
- Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der âschönen Seeleâ : Ulrich und Bonadea 825
- Coitus interruptus als âLustselbstmordâ : Ulrich und Gerda 844
- Liebesversuche jenseits der Ehe 885
- Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
- Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
- Liebe Ă la hausse, platonische âBegegnung zweier Berggipfelâ : Diotima und Arnheim 908
- Die âletzte Liebesgeschichteâ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
- 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
- Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
- Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, PreuĂen gegen Ăsterreich 1005
- Der Intellektuelle und der GroĂschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
- Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
- Entgegengesetzte âExponenten des Zeitgeistesâ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
- BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
- BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und SchmeiĂer 1086
- TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
- Literaturverzeichnis 1169
- Musil-Texte 1169
- Andere Quellen 1169
- Nachschlagewerke 1176
- Allgemeine Forschungsliteratur 1176
- SekundÀrliteratur zu Musil 1193
- Register 1208