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Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
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449„Zeitfiguren“ 1913/1930 „am gesellschaftlichen Schachbrett“ fangen hatte, weiterhin fern, aber er nahm auch nicht immer an den Gesell- schaften teil, denn er war viel von der Stadt abwesend.“ (MoE 188) Arnheims Besuche in der kakanischen Hauptstadt und im Hause Tuzzi sind so wohl- dosiert, dass keine Gewöhnung das jeweils große Ereignis schmĂ€lern kann : „Er kam und ging ; wĂ€hrend drei oder fĂŒnf Tage wie nichts verflossen, kehrte er aus Paris, Rom, Berlin zurĂŒck ; was sich bei Diotima ereignete, war nur ein kleiner Ausschnitt aus seinem Leben. Aber er bevorzugte ihn und war mit ganzer Person in ihm anwesend.“ (MoE 189) Ein nicht unerheblicher Grund fĂŒr diese Bevorzugung mag neben seinem Interesse an Diotima auch in der herausgehobenen Rolle liegen, die er in dem – als Aufmerksamkeitsmultipli- kator fungierenden – Tuzzi’schen Salon spielt und die der Stellung entspricht, welche der regelmĂ€ĂŸig in den gesellschaftlich und politisch tonangebenden Salons der deutschen Reichshauptstadt verkehrende Walther Rathenau inne- hatte.336 Im Salon bewĂ€hrt sich wirtschaftliche Potenz allerdings nur dann, wenn sie sich geschmackssicher zu geben weiß. Arnheims kĂŒnstlerische Vorlieben ver- raten einen ausgesprochen gediegenen Geschmack, wie sich am Beispiel der Literatur zeigen lĂ€sst : WĂ€hrend er den seinerzeit aufgrund seiner politischen und moralischen Haltung sowie auch seiner jĂŒdischen Herkunft noch nicht ganz salonfĂ€higen Heine „in verborgener Weise liebte“ (MoE 405 ; vgl. MoE 434), bekennt er sich zum reprĂ€sentativen deutschen DichterfĂŒrsten Goethe öffentlich (vgl. MoE 433 f.).337 Die auffallende Kultiviertheit des Industriel- lensohns wird nicht erst hier auf handgreifliche Weise staatstragend. Mehr noch : „Arnheim besaß ein vortreffliches GedĂ€chtnis und konnte seitenlang auswendig zitieren.“ (MoE 405) Seine – offenbar fĂŒr zeitgenössische Kauf- leute gar nicht untypische338 – ostentative WertschĂ€tzung der Kunst wird vom ideologiekritischen ErzĂ€hler allerdings als recht vordergrĂŒndig dekuvriert : So schĂ€tzt er etwa einen bestimmten Dichter339 allein deshalb, „weil es fĂŒr 336 Vgl. Corino : Musil [2003], S. 872. 337 Hier greift Musil auf historisch verbĂŒrgte Vorlieben Rathenaus zurĂŒck, gibt ihnen aber wiede- rum eine charakteristische Note : Nach Heimböckel : Rathenau und die Literatur seiner Zeit, S. 16, bildete Goethes „Leben und Werk eine Konstante in seinem [Rathenaus, N. C. W.] Den- ken“, wĂ€hrend Heine „in mancher Hinsicht fĂŒr Rathenaus Konversationsstil der frĂŒhen Phase vorbildlich gewesen sein dĂŒrfte“ – spĂ€ter aber offenbar nicht mehr. 338 Vgl. etwa Keun : System des MĂ€nnerfangs, S. 271 f.: „Kaufleute wollten eigentlich ‚was andres werden‘, Kaufleute sind zuweilen lyrisch und haben ihren Beruf verfehlt. Was nicht hindert, daß sie an ihrem Beruf hĂ€ngen wie die Kletten.“ 339 Es handelt sich ironischerweise um den jungen Musil, wie der angefĂŒhrte Passus belegt (vgl. MoE 384 f.), der ein Zitat aus der Versuchung der stillen Veronika (vgl. GW 6, 195) darstellt ; vgl. Arntzen : Musil-Kommentar, S. 240 f.
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Kakanien als Gesellschaftskonstruktion Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
FWF-E-Book-Library
Title
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Subtitle
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
Author
Norbert Christian Wolf
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2011
Language
German
License
CC BY-NC-ND 3.0
ISBN
978-3-205-78740-2
Size
15.5 x 23.0 cm
Pages
1224
Keywords
Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
Category
Geisteswissenschaften

Table of contents

  1. Vorbemerkung 9
  2. Einleitung 11
    1. 1. Vom Scheitern eines Großkritikers : Aporien der Literaturkritik 11
    2. 2. Die MĂŒhen der Literaturwissenschaft : Aporien der Forschung 20
  3. TEIL I : GRUNDLEGUNG
    1. 1. Grundlagen der Untersuchung 43
      1. 1.1 Vorstellung der Methode : Bourdieus Sozioanalyse literarischer Texte 43
      2. 1.2 Methodologische EinwÀnde : Kritik der Sozioanalyse 58
    2. 2. Grundlagen der Poetik Musils 64
      1. 2.1 Der Mensch ohne Eigenschaften : ‚Gestaltlosigkeit‘ als ‚negative‘ Anthropologie 64
      2. 2.2 ‚Gestaltlosigkeit‘ und Romantext als Gesellschaftskonstruktion 80
    3. Gesellschaft im Roman 82
    4. Roman als Konstruktion 101
    5. Da capo : Angemessenheit und Vorgehensweise der Sozioanalyse 124
      1. 2.3 Medienkonkurrenz : Essayistisches vs. filmisches ErzÀhlen (Musil kontra Balåzs) 129
    6. 3. Grundbegriffe des Romankonzepts 165
      1. 3.1 Eigenschaftslosigkeit 165
      2. 3.2 Möglichkeitssinn und Essayismus 199
  4. TEIL II : ROMANTEXT ALS KRÄFTEFELD
    1. 1. „Versuchsstation des Weltuntergangs“ : Chronotopos und sozialer Raum 261
      1. 1.1 SelbstreferenzialitĂ€t und Außenreferenz : Das Eingangskapitel 261
      2. 1.2 Ein Land ohne Eigenschaften – Kakanien als Modell 282
      3. 1.3 Das Feld der Macht im Mann ohne Eigenschaften 300
    2. 2. „Zeitfiguren“ 1913/1930 „am gesellschaftlichen Schachbrett“ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
      1. 2.1 MĂ€nner 334
    3. Erben und Enterbte 344
    4. Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) – Der Dilettant Walter 347
    5. Mann mit Eigenschaften 378
    6. Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
    7. Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
    8. Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
    9. Aufsteiger und Gebremste 482
    10. Realpolitik als ‚Antiessayismus‘ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) – Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und ‚Jude‘ 501
    11. Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
    12. Terroristen und Propheten 548
    13. Forcierte ‚Eigenschaftlichkeit‘ : Der Antisemit Hans Sepp 558
    14. eingast, Faschist und Schwerenöter 584
    15. Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist Schmeißer 601
    16. Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem „Geiste des Expressionismus“ 613
      1. 2.2 Frauen 635
    17. Gefallene Geliebte 643
    18. Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
    19. Petrifizierte ‚Eigenschaftlichkeit‘, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
    20. Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
    21. Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
    22. Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
    23. Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
    24. Angepasste und Dissidentinnen 708
    25. Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
    26. Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
    27. 3. „Die falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaft“ : Konstellationen und Interaktionen 768
      1. 3.1 Gemischtgeschlechtliche Konstellationen : MĂ€nner und Frauen im 20. Jahrhundert 771
    28. Ehen in der Krise 781
    29. Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die „TrĂ€ger des Zeit- wandels“ Walter und Clarisse 788
    30. Von der physiologischen „Zwangsherrschaft“ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
    31. Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
    32. Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
    33. Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der ‚schönen Seele‘ : Ulrich und Bonadea 825
    34. Coitus interruptus als „Lustselbstmord“ : Ulrich und Gerda 844
    35. Liebesversuche jenseits der Ehe 885
    36. Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
    37. Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
    38. Liebe à la hausse, platonische „Begegnung zweier Berggipfel“ : Diotima und Arnheim 908
    39. Die „letzte Liebesgeschichte“ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
    40. 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
    41. Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
    42. Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, Preußen gegen Österreich 1005
    43. Der Intellektuelle und der Großschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
    44. Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
    45. Entgegengesetzte „Exponenten des Zeitgeistes“ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
    46. BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
  5. BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und Schmeißer 1086
  6. TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
    1. 1. Der Mann ohne Eigenschaften im zeitgenössischen literarischen Feld 1099
      1. 1.1 ‚Negative‘ Anthropologie als literaturpolitischer Einsatz 1101
      2. 1.2 Poetik des Essayismus – Musils vielfacher Bruch 1130
    2. 2. Autor und Romanheld in der Moderne – Musils indirekte Selbstanalyse 1152
  7. Literaturverzeichnis 1169
  8. Musil-Texte 1169
  9. Andere Quellen 1169
  10. Nachschlagewerke 1176
  11. Allgemeine Forschungsliteratur 1176
  12. SekundÀrliteratur zu Musil 1193
  13. Register 1208
    1. 1. Personen 1208
    2. 2. Literarische Figuren 1214
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