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526 Teil II: Romantext als KrÀftefeld
Selbst hÀlt sich Corino hingegen an den ehemaligen Generalstabschef Max
Becher als historisches Modell fĂŒr die romaneske Figur des Generals.587 Musil
sei dieser âanderen BrĂŒnner MilitĂ€r-Bekanntschaftâ durch âeine fast vierzig-
jĂ€hrige Freundschaftâ verbunden gewesen, und Becher habe âaufgrund seines
Bildungsgangs und seines Lebenslaufs in der Tat Motiveâ geboten,
um ihn als âphilosophischen Generalâ zu portrĂ€tieren. Im Unterschied zu Musil hatte
Becher, 1878 in Wien als Sohn eines Generalmajors geboren, eine gymnasiale Aus-
bildung, am sog. Akademischen Gymnasium seiner Heimatstadt [âŠ]. Von 1897 bis
1900 besuchte er die Theresianische MilitÀr-Akademie in Wiener Neustadt und ver-
lieĂ sie mit dem Leutnantspatent. Nach einem halben Jahr in Krakau wurde er Zugs-
kommandant beim Infanterie-Regiment Nr. 49 in BrĂŒnn, bei dem Musil diente, und
beim Dragoner-Regiment Nr. 3. [âŠ] 1903 bis 1905 absolvierte Becher die Kriegs-
schule in Wien und verlieĂ sie mit dem PrĂ€dikat âfĂŒr den Generalstabsdienst sehr
geeignetâ [âŠ]. Nach drei Dienstjahren als Generalstabsoffizier in Poszony und zwei
Jahren in Lemberg kehrte Becher nach Wien zurĂŒck. Er wurde Lehrer an der Kriegs-
schule in Wien und noch vor dem I. Weltkrieg Professor an der Konsularakademie
bzw. der Orientalischen Akademie [âŠ].588
Wie aus diesem kurzen Lebenslauf hervorgeht, bestehen auch zwischen Be-
chers und Stumms Werdegang erhebliche Unterschiede, die es geboten er-
scheinen lassen, historische Person und fiktionale Figur nicht einfach gleichzu-
setzen.589 Bereits im Arbeitsheft 8 notiert Musil konzeptionelle Ăberlegungen
zur erzĂ€hlerischen Funktion der schon in den frĂŒhesten Romanplanungen
vorgesehenen MilitÀrfigur ; sie machen deutlich, dass er seine biografischen
Skizzen stets unter dem Gesichtspunkt ihrer literarischen Verwertbarkeit an-
gelegt hat :
Der Offizier ist ĂŒberhaupt gewöhnt, zu allem ziemlich unbefangen und unbeschwert
sein Urteil abzugeben. Er ist Vertreter des bon sens und commun [sic] sense. Das er-
klĂ€rt sich zum Teil aus der ihm suggerierten Aufgabe, GesellschaftsstĂŒtze zu sein, rit-
terlich, zugunsten des Rechts intervenieren zu mĂŒssen, ĂŒberhaupt Arm des Richtigen
zu sein, zum gröĂern Teil aus dem Fehlen tieferen Wissens in irgend einem Gebiet
und dem gesprÀchigen Zusammenleben mit Kameraden. Seinerseits vermag es die
587 Vgl. die Abbildungen in Corino : Musil [1988], S. 374.
588 Corino : Musil [2003], S. 901 f.
589 Vgl. ebd., S. 901â903, die kontrastive EngfĂŒhrung von biografischem und literarischem Mate-
rial.
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Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Title
- Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
- Subtitle
- Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Author
- Norbert Christian Wolf
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78740-2
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 1224
- Keywords
- Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
- Category
- Geisteswissenschaften
Table of contents
- Vorbemerkung 9
- Einleitung 11
- TEIL I : GRUNDLEGUNG
- TEIL II : ROMANTEXT ALS KRĂFTEFELD
- 1. âVersuchsstation des Weltuntergangsâ : Chronotopos und sozialer Raum 261
- 2. âZeitfigurenâ 1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
- Erben und Enterbte 344
- Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) â Der Dilettant Walter 347
- Mann mit Eigenschaften 378
- Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
- Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
- Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
- Aufsteiger und Gebremste 482
- Realpolitik als âAntiessayismusâ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) â Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und âJudeâ 501
- Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
- Terroristen und Propheten 548
- Forcierte âEigenschaftlichkeitâ : Der Antisemit Hans Sepp 558
- eingast, Faschist und Schwerenöter 584
- Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist SchmeiĂer 601
- Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem âGeiste des Expressionismusâ 613
- Gefallene Geliebte 643
- Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
- Petrifizierte âEigenschaftlichkeitâ, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
- Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
- Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
- Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
- Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
- Angepasste und Dissidentinnen 708
- Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
- Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
- 3. âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ : Konstellationen und Interaktionen 768
- Ehen in der Krise 781
- Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die âTrĂ€ger des Zeit- wandelsâ Walter und Clarisse 788
- Von der physiologischen âZwangsherrschaftâ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
- Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
- Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
- Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der âschönen Seeleâ : Ulrich und Bonadea 825
- Coitus interruptus als âLustselbstmordâ : Ulrich und Gerda 844
- Liebesversuche jenseits der Ehe 885
- Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
- Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
- Liebe Ă la hausse, platonische âBegegnung zweier Berggipfelâ : Diotima und Arnheim 908
- Die âletzte Liebesgeschichteâ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
- 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
- Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
- Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, PreuĂen gegen Ăsterreich 1005
- Der Intellektuelle und der GroĂschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
- Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
- Entgegengesetzte âExponenten des Zeitgeistesâ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
- BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
- BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und SchmeiĂer 1086
- TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
- Literaturverzeichnis 1169
- Musil-Texte 1169
- Andere Quellen 1169
- Nachschlagewerke 1176
- Allgemeine Forschungsliteratur 1176
- SekundÀrliteratur zu Musil 1193
- Register 1208