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534 Teil II: Romantext als KrÀftefeld
man Stumm, der inzwischen Oberst geworden war, schon die Abteilung anvertraut.
Er war ein anderer, seit er statt des heiligen Tiers der Kavallerie einen Sessel unter
sich hatte. Er wurde General und konnte sich ziemlich sicher fĂŒhlen, auch noch Feld-
marschalleutnant zu werden. Er hatte sich seinen Bart natĂŒrlich schon lange vorher
abnehmen lassen, aber nun wuchs ihm mit zunehmendem Alter eine Stirn, und seine
Neigung zu Rundlichkeit gab seiner Erscheinung eine gewisse universale Bildung. Er
wurde auch glĂŒcklich, und das GlĂŒck vervielfacht erst recht die LeistungsfĂ€higkeit.
(MoE 344)
Der ungeahnte soziale Aufstieg bewirkt das subjektive Empfinden von
âGlĂŒckâ, das Stumms ganzes Leben verĂ€ndert : âEs war das eben etwas, das
selten zu BewuĂtsein kommt, aber alles durchdrang, von den Generalsborten
bis zu den Stimmen der Turmglocken, und ebensoviel wie eine Musik bedeu-
tet, ohne die der Tanz des Lebens augenblicklich stillstehen wĂŒrde.â (MoE
344) Stumms âGlĂŒckâ hat freilich wenig mit den herkömmlichen Vorstellun-
gen einer erfolgreichen bĂŒrgerlichen Existenz zu tun, was sich etwa in seiner
unglĂŒcklichen Hand in privaten und Familienangelegenheiten Ă€uĂert ; so wird
sein charakteristisches VerhÀltnis zu Frauen vom prinzipiell wohlwollend wir-
kenden ErzÀhler doch mit scharfer Ironie geschildert :
General Stumm liebte eigentlich Frauen ebensowenig wie Pferde. Seine rundlichen,
etwas kurzen Beine hatten sich im Sattel heimatlos gefĂŒhlt, und wenn er dann auch
noch in der dienstfreien Zeit von Pferden sprechen muĂte, hatte ihm nachts ge-
trÀumt, er sei bis auf die Knochen aufgeritten und könne nicht absteigen ; ebenso
hatte seine Bequemlichkeit aber auch seit je Liebesausschreitungen miĂbilligt, und
da ihn schon der Dienst genĂŒgend ermĂŒdete, brauchte er seine KrĂ€fte nicht durch
nĂ€chtliche Ventile ausströmen zu lassen. GewiĂ war er seinerzeit auch nicht ein SpaĂ-
verderber gewesen, aber wenn er seine Abende nicht mit seinen Messern, sondern
mit seinen Kameraden verbrachte, so griff er gewöhnlich zu einem weisen Auskunfts-
mittel, denn sein Sinn fĂŒr körperliche Harmonie hatte ihn bald gelehrt, daĂ man sich
durch das exzessive Stadium rasch in das schlÀfrige durchtrinken könne, und das war
ihm viel bequemer gewesen als die Gefahren und EnttÀuschungen der Liebe. (MoE
345)
Zwar entzieht sich Stumm nicht jenen typisch âmilitĂ€rische[n] Einsetzungs-
ritenâ, âdie den Zusammenhalt zwischen MĂ€nnern festigen sollenâ608, doch
geht er innerlich auf Distanz zu ihnen. Freilich kann er sich den mit seinem
608 Bourdieu : Die mÀnnliche Herrschaft, S. 94 f.
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Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Title
- Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
- Subtitle
- Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Author
- Norbert Christian Wolf
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78740-2
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 1224
- Keywords
- Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
- Category
- Geisteswissenschaften
Table of contents
- Vorbemerkung 9
- Einleitung 11
- TEIL I : GRUNDLEGUNG
- TEIL II : ROMANTEXT ALS KRĂFTEFELD
- 1. âVersuchsstation des Weltuntergangsâ : Chronotopos und sozialer Raum 261
- 2. âZeitfigurenâ 1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
- Erben und Enterbte 344
- Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) â Der Dilettant Walter 347
- Mann mit Eigenschaften 378
- Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
- Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
- Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
- Aufsteiger und Gebremste 482
- Realpolitik als âAntiessayismusâ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) â Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und âJudeâ 501
- Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
- Terroristen und Propheten 548
- Forcierte âEigenschaftlichkeitâ : Der Antisemit Hans Sepp 558
- eingast, Faschist und Schwerenöter 584
- Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist SchmeiĂer 601
- Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem âGeiste des Expressionismusâ 613
- Gefallene Geliebte 643
- Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
- Petrifizierte âEigenschaftlichkeitâ, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
- Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
- Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
- Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
- Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
- Angepasste und Dissidentinnen 708
- Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
- Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
- 3. âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ : Konstellationen und Interaktionen 768
- Ehen in der Krise 781
- Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die âTrĂ€ger des Zeit- wandelsâ Walter und Clarisse 788
- Von der physiologischen âZwangsherrschaftâ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
- Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
- Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
- Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der âschönen Seeleâ : Ulrich und Bonadea 825
- Coitus interruptus als âLustselbstmordâ : Ulrich und Gerda 844
- Liebesversuche jenseits der Ehe 885
- Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
- Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
- Liebe Ă la hausse, platonische âBegegnung zweier Berggipfelâ : Diotima und Arnheim 908
- Die âletzte Liebesgeschichteâ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
- 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
- Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
- Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, PreuĂen gegen Ăsterreich 1005
- Der Intellektuelle und der GroĂschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
- Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
- Entgegengesetzte âExponenten des Zeitgeistesâ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
- BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
- BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und SchmeiĂer 1086
- TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
- Literaturverzeichnis 1169
- Musil-Texte 1169
- Andere Quellen 1169
- Nachschlagewerke 1176
- Allgemeine Forschungsliteratur 1176
- SekundÀrliteratur zu Musil 1193
- Register 1208