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683âZeitfigurenâ
1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ
sinnen, das die nicht nur von Bourdieu konstatierte traditionelle âKorrelation
zwischen Penetration [âŠ] und Herrschaftâ1034 voraussetzt, wird tatsĂ€chlich
zumindest streiflichtartig eine alternative GeschlechtsidentitĂ€t âjenseits der
hegemonial-heterosexuellen Matrixâ sichtbar und damit im Sinne Judith But-
lers erzĂ€hlerisch-performativ âdie Ăberwindung dichotomer Denkstrukturenâ
vorangetrieben.1035 âMit ihrem âWahnsinnâ, mit ihrer Hysterie entzieht sich
Clarisse der binÀren Denkweise des Patriarchats, in welcher der Frau die Seite
des Passiv-Negativen zugeordnet wurde, und hebt diese durch ihren Herm-
aphroditismus-Wahn gleichzeitig auf.â1036 Bei aller in dieser Diagnose zum
Ausdruck kommenden Begeisterung ĂŒber die in Musils apokryphen Textpas-
sagen betrie bene âSubversion bestehender Mechanismen der Geschlechts-
identitĂ€tszuschreibungâ1037 sollte freilich nicht die Ambivalenz ĂŒbersehen
werden, die aus dem einfachen Umstand entsteht, dass Clarisses imaginierter
Hermaphro ditismus sich im narrativen Kontext nicht zuletzt als Versuch prÀ-
sentiert, der von ihr begeistert aufgenommenen misogynen und homoeroti-
schen MĂ€nnerbĂŒndelei Meingasts zu genĂŒgen. Die weibliche Opposition ge-
gen das Patriarchat zeigt sich hier â wie sollte es anders sein â zutiefst geprĂ€gt
vom Gegenstand ihrer Ablehnung1038, was auch und gerade am Beispiel der
Modekrankheit Hysterie deutlich wird1039, die Musil im Fall Clarisses durch
die Ătiologie einer charakteristischen Vorgeschichte sozialpsychologisch mo-
tiviert, wie im Folgenden gezeigt werden soll.
Freundschaft haben könnte.â (MoE 1539) Clarisse will â[n]icht wie eine Frau liebenâ, d. h. nicht
âwie ein groĂer Topf, der alles Feuer in sich ziehtâ, âsondern wie ein tapferer kleiner Fox einen
groĂen Hund, gegen den er ohnmĂ€chtig istâ (MoE 1539). Sie begrĂŒndet ihr Ansinnen mit fol-
gender egalitĂ€rer Formel : âAber ich bin auch Mensch, warum denn bloĂ Frau.â (MoE 1539)
1034 Bourdieu : Die mÀnnliche Herrschaft, S. 95, Anm. 81.
1035 Stritzke : (Subversive) Narrative PerformativitÀt, S. 96 u. 98.
1036 Schwartz : Musils Frauenbild, S. 327.
1037 Stritzke : (Subversive) Narrative PerformativitĂ€t, S. 92; mehr dazu im Abschnitt ĂŒber Walter
und Clarisse in Kap. II.3.1.
1038 Vgl. Bourdieu : Die mĂ€nnliche Herrschaft, S. 111 f.: â[D]ie sogenannte differentialistische Sicht
ĂŒbersieht, was die herrschende Definition dem geschichtlichen HerrschaftsverhĂ€ltnis und
dem Streben nach dem Unterschied schuldet, der konstitutiv fĂŒr es ist. [âŠ] Infolgedessen ent-
geht sie in ihrem BemĂŒhen, die Erfahrung der Weiblichkeit aufzuwerten, nicht einer sanften
Form von Essentialismus.â
1039 Schwartz : Musils Frauenbild, S. 328, sieht hingegen in Musils erzÀhlerischer Darstellung von
Clarisses apokryphem Insel-Aufenthalt aus den Kapitelgruppen-EntwĂŒrfen eine âNĂ€he zu fe-
ministischen Utopienâ, âin welchen nicht nur [âŠ] das BedĂŒrfnis nach einer neuen Sprache
formuliert oder die LinearitÀt der Syntax gestört, sondern ein anderes semantisches System
aufgebaut wirdâ.
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book Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts"
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Title
- Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
- Subtitle
- Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Author
- Norbert Christian Wolf
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78740-2
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 1224
- Keywords
- Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
- Category
- Geisteswissenschaften
Table of contents
- Vorbemerkung 9
- Einleitung 11
- TEIL I : GRUNDLEGUNG
- TEIL II : ROMANTEXT ALS KRĂFTEFELD
- 1. âVersuchsstation des Weltuntergangsâ : Chronotopos und sozialer Raum 261
- 2. âZeitfigurenâ 1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
- Erben und Enterbte 344
- Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) â Der Dilettant Walter 347
- Mann mit Eigenschaften 378
- Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
- Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
- Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
- Aufsteiger und Gebremste 482
- Realpolitik als âAntiessayismusâ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) â Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und âJudeâ 501
- Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
- Terroristen und Propheten 548
- Forcierte âEigenschaftlichkeitâ : Der Antisemit Hans Sepp 558
- eingast, Faschist und Schwerenöter 584
- Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist SchmeiĂer 601
- Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem âGeiste des Expressionismusâ 613
- Gefallene Geliebte 643
- Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
- Petrifizierte âEigenschaftlichkeitâ, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
- Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
- Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
- Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
- Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
- Angepasste und Dissidentinnen 708
- Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
- Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
- 3. âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ : Konstellationen und Interaktionen 768
- Ehen in der Krise 781
- Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die âTrĂ€ger des Zeit- wandelsâ Walter und Clarisse 788
- Von der physiologischen âZwangsherrschaftâ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
- Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
- Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
- Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der âschönen Seeleâ : Ulrich und Bonadea 825
- Coitus interruptus als âLustselbstmordâ : Ulrich und Gerda 844
- Liebesversuche jenseits der Ehe 885
- Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
- Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
- Liebe Ă la hausse, platonische âBegegnung zweier Berggipfelâ : Diotima und Arnheim 908
- Die âletzte Liebesgeschichteâ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
- 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
- Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
- Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, PreuĂen gegen Ăsterreich 1005
- Der Intellektuelle und der GroĂschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
- Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
- Entgegengesetzte âExponenten des Zeitgeistesâ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
- BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
- BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und SchmeiĂer 1086
- TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
- Literaturverzeichnis 1169
- Musil-Texte 1169
- Andere Quellen 1169
- Nachschlagewerke 1176
- Allgemeine Forschungsliteratur 1176
- SekundÀrliteratur zu Musil 1193
- Register 1208