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Teil II: Romantext als
KrÀftefeld806
die Dialektik einer Frau zu streiten, sondern die Stunde abzuwarten, wo seine Voraus-
sicht von selbst triumphieren werde [âŠ]. (MoE 201 f.)
ErzÀhlerisch besonders reizvoll ist in diesem Zusammenhang die unmittelbar
darauf folgende Passage, in der von einer nÀchtlichem Wahrnehmung Tuzzis
und seinem anschlieĂenden, zunehmend schlaftrunkenen Gedankengang be-
richtet wird ; sie sei deshalb in GĂ€nze zitiert :
[E]ines Nachts beunruhigte ihn etwas, das ihm wie ein unendlich fernes Weinen vor-
kam ; es störte ihn anfangs kaum, er begriff es einfach nicht, aber von Zeit zu Zeit ver-
ringerte sich die seelische Entfernung um einen Sprung, und mit einemmal war die
bedrohliche Unruhe dicht an seinen Ohren, und er fuhr so jÀh aus dem Schlaf, daà er
sich im Bett aufsetzte. Diotima lag zur Seite gewandt und gab kein Zeichen, aber er
fĂŒhlte an irgendetwas, daĂ sie wache. Er rief sie leise beim Namen, wiederholte diese
Frage und versuchte mit zĂ€rtlichen Fingern ihre weiĂe Schulter zu sich zu drehn.
Aber wie er drehte, und ihr Gesicht im Dunkel ĂŒber der Schulter aufging, sah es ihn
böse an, drĂŒckte Trotz aus und hatte geweint. Leider hatte sein fester Schlaf Tuzzi
inzwischen wieder halb ĂŒberwĂ€ltigt, zog ihn eigensinnig von hinten zurĂŒck zu den
Polstern, und Diotimas Gesicht schwebte nur noch wie eine schmerzende helle Ver-
zerrung vor ihm, die er in keiner Weise mehr begriff. âWas ist denn ?â brummte er im
leisen BaĂ des Einschlafens und erhielt eine klare, gereizte, unangenehme Antwort
ins Ohr geprÀgt, die in seine Schlaftrunkenheit fiel und darin liegen blieb wie eine
blinkende MĂŒnze im Wasser. âDu schlĂ€fst so unruhig, daĂ niemand neben dir schlafen
kann !â hatte Diotima hart und deutlich gesagt ; sein Ohr hatte es aufgenommen, aber
damit war Tuzzi vom Wachen auch schon abgeschieden, ohne auf den Vorwurf wei-
ter eingehen zu können. (MoE 202)
Was fĂŒr die Leser und Leserinnen des Romans nicht zuletzt dank der zahl-
losen ErzĂ€hlerkommentare als âDiotimas zweite[r] LiebesfrĂŒhlingâ (MoE
416) offensichtlich ist, bleibt fĂŒr die Figur mit ihrem habituell eingeschrĂ€nkten
âmĂ€nnlichenâ Blickwinkel seltsam im Dunkeln :
Er fĂŒhlte bloĂ, daĂ ihm schweres Unrecht geschehen sei. Ruhig zu schlafen, gehörte
nach seiner Ansicht zu den Haupttugenden eines Diplomaten, denn es war eine Be-
dingung jedes Erfolgs. Man durfte ihn da nicht antasten, und er empfand sich durch
Diotimas Bemerkung ernstlich in Frage gestellt. Er begriff, daà VerÀnderungen mit ihr
vorgegangen seien. Es fiel ihm zwar nicht einmal im Schlaf ein, seine Frau greifbarer
Untreue zu verdĂ€chtigen, dennoch stand es keinen Augenblick in Zweifel fĂŒr ihn, daĂ
das persönliche Unbehagen, das ihm zugefĂŒgt worden, mit Arnheim zusammenhĂ€n-
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book Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts"
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Title
- Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
- Subtitle
- Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Author
- Norbert Christian Wolf
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78740-2
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 1224
- Keywords
- Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
- Category
- Geisteswissenschaften
Table of contents
- Vorbemerkung 9
- Einleitung 11
- TEIL I : GRUNDLEGUNG
- TEIL II : ROMANTEXT ALS KRĂFTEFELD
- 1. âVersuchsstation des Weltuntergangsâ : Chronotopos und sozialer Raum 261
- 2. âZeitfigurenâ 1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
- Erben und Enterbte 344
- Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) â Der Dilettant Walter 347
- Mann mit Eigenschaften 378
- Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
- Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
- Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
- Aufsteiger und Gebremste 482
- Realpolitik als âAntiessayismusâ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) â Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und âJudeâ 501
- Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
- Terroristen und Propheten 548
- Forcierte âEigenschaftlichkeitâ : Der Antisemit Hans Sepp 558
- eingast, Faschist und Schwerenöter 584
- Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist SchmeiĂer 601
- Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem âGeiste des Expressionismusâ 613
- Gefallene Geliebte 643
- Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
- Petrifizierte âEigenschaftlichkeitâ, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
- Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
- Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
- Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
- Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
- Angepasste und Dissidentinnen 708
- Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
- Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
- 3. âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ : Konstellationen und Interaktionen 768
- Ehen in der Krise 781
- Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die âTrĂ€ger des Zeit- wandelsâ Walter und Clarisse 788
- Von der physiologischen âZwangsherrschaftâ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
- Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
- Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
- Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der âschönen Seeleâ : Ulrich und Bonadea 825
- Coitus interruptus als âLustselbstmordâ : Ulrich und Gerda 844
- Liebesversuche jenseits der Ehe 885
- Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
- Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
- Liebe Ă la hausse, platonische âBegegnung zweier Berggipfelâ : Diotima und Arnheim 908
- Die âletzte Liebesgeschichteâ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
- 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
- Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
- Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, PreuĂen gegen Ăsterreich 1005
- Der Intellektuelle und der GroĂschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
- Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
- Entgegengesetzte âExponenten des Zeitgeistesâ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
- BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
- BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und SchmeiĂer 1086
- TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
- Literaturverzeichnis 1169
- Musil-Texte 1169
- Andere Quellen 1169
- Nachschlagewerke 1176
- Allgemeine Forschungsliteratur 1176
- SekundÀrliteratur zu Musil 1193
- Register 1208