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Teil II: Romantext als
KrÀftefeld848
um einen weiteren kleinen Abschnitt aus dem Musilâschen Roman, an 32
deutsche, österreichische und Schweizer Verlage sowie an 14 Literaturwissen-
schaftler, Kritiker und Schriftsteller. Als Absender figurierte ein gewisser Bob
Hansen, seines Zeichens freier Schriftsteller und technischer Abteilungsleiter,
der vorgab, sich in seinen MuĂestunden literarisch zu betĂ€tigen und das Er-
gebnis seiner Feierabendproduktion nun als Roman veröffentlichen zu wollen.
Im Fall einer Ablehnung bat er um âeine kurze Beurteilung des Textesâ200.
Das Ergebnis dieses âExperimentsâ, auf das sich auch der Musil-Kritiker
Marcel Reich-Ranicki genĂŒsslich beruft, weil es ihm zufolge âzu ĂŒberraschen-
den Einsichten in Sachen Musilâ201 fĂŒhrte, war niederschmetternd : Es bestĂ€-
tigte nĂ€mlich nicht allein den geringen Bekanntheitsgrad des Musilâschen Ro-
mans selbst unter Experten, sondern schien darĂŒber hinaus zu belegen, dass
anonym vorgelegte Passagen dieses kanonisierten Klassikers der literarischen
Moderne kaum positive Resonanz unter den professionellen Literaturken-
nern auszulösen vermögen. So urteilte Peter Stehlin vom Walter-Verlag, die
Thematik sei âetwas engâ, die zugrunde liegende Erfahrung âvielleicht auchâ ;
einige Stellen seien zudem âpeinlichâ.202 Urs Widmer vom Suhrkamp Verlag
bemerkte knapp, dass der vorgelegte Text âmit unseren Vorstellungen von Li-
teratur nicht ganz ĂŒbereinstimmtâ203. Ursula Mazerath vom Eugen Diederichs
Verlag beklagte die âabschreckend desillusionierende, erotische Schilderungâ,
der Bertelsmann Verlag empfahl dem unbekannten Autor, âsich noch einmal
mit dem Text zu befassen und die allzu sentimentalen Stellen eventuell zu
streichenâ.204 Am strengsten erwies sich der Leiter des MĂŒnchner Biederstein
Verlags Gustav End : Er lobte zwar, dass die geschilderten âEmpfindungen
[âŠ] psychologisch richtigâ seien, bemĂ€ngelte aber, dass âdie Handlung [âŠ]
nicht auf eine höhere Ebene ĂŒbertragenâ werde ; die Kritik erstreckte sich
auch auf die sprachliche Gestalt des Musilâschen Kapitels : â[V]iele Wendun-
gen zeigen eine primitive Ausdrucksweise, verlaufen sich in falscher Senti-
mentalitĂ€t und grenzen an Kitsch.â End bescheinigte dem vorgelegten Text
das âNiveau eines ĂŒblichen Unterhaltungsromans ohne Anspruchâ und legte
seinem Autor nahe : âSie sollten noch eine Reihe guter Romane aus Vergan-
genheit und Gegenwart lesen, bevor Sie mit SchreibĂŒbungen beginnenâ.205
200 Just : Die Bob Hansen-Story, S. 30.
201 Reich-Ranicki : Der Zusammenbruch eines groĂen ErzĂ€hlers, S. 166 ; mehr dazu ebd., S. 167â
169.
202 Just : Die Bob Hansen-Story, S. 32.
203 Ebd.
204 Ebd.
205 Ebd., S. 33.
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Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Title
- Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
- Subtitle
- Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Author
- Norbert Christian Wolf
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78740-2
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 1224
- Keywords
- Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
- Category
- Geisteswissenschaften
Table of contents
- Vorbemerkung 9
- Einleitung 11
- TEIL I : GRUNDLEGUNG
- TEIL II : ROMANTEXT ALS KRĂFTEFELD
- 1. âVersuchsstation des Weltuntergangsâ : Chronotopos und sozialer Raum 261
- 2. âZeitfigurenâ 1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
- Erben und Enterbte 344
- Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) â Der Dilettant Walter 347
- Mann mit Eigenschaften 378
- Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
- Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
- Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
- Aufsteiger und Gebremste 482
- Realpolitik als âAntiessayismusâ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) â Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und âJudeâ 501
- Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
- Terroristen und Propheten 548
- Forcierte âEigenschaftlichkeitâ : Der Antisemit Hans Sepp 558
- eingast, Faschist und Schwerenöter 584
- Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist SchmeiĂer 601
- Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem âGeiste des Expressionismusâ 613
- Gefallene Geliebte 643
- Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
- Petrifizierte âEigenschaftlichkeitâ, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
- Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
- Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
- Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
- Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
- Angepasste und Dissidentinnen 708
- Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
- Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
- 3. âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ : Konstellationen und Interaktionen 768
- Ehen in der Krise 781
- Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die âTrĂ€ger des Zeit- wandelsâ Walter und Clarisse 788
- Von der physiologischen âZwangsherrschaftâ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
- Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
- Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
- Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der âschönen Seeleâ : Ulrich und Bonadea 825
- Coitus interruptus als âLustselbstmordâ : Ulrich und Gerda 844
- Liebesversuche jenseits der Ehe 885
- Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
- Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
- Liebe Ă la hausse, platonische âBegegnung zweier Berggipfelâ : Diotima und Arnheim 908
- Die âletzte Liebesgeschichteâ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
- 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
- Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
- Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, PreuĂen gegen Ăsterreich 1005
- Der Intellektuelle und der GroĂschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
- Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
- Entgegengesetzte âExponenten des Zeitgeistesâ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
- BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
- BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und SchmeiĂer 1086
- TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
- Literaturverzeichnis 1169
- Musil-Texte 1169
- Andere Quellen 1169
- Nachschlagewerke 1176
- Allgemeine Forschungsliteratur 1176
- SekundÀrliteratur zu Musil 1193
- Register 1208