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âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ 849
Am ĂŒberraschendsten schien indes die Absage von Rowohlt, die sich jedes
âWerturteil[s]â enthielt und ausschlieĂlich mit âverlagstechnischen Ăberle-
gungenâ begrĂŒndet wurde : Selbst die Lektoren des Musilâschen Hausverlags
hatten den Text ihres vielleicht berĂŒhmtesten deutschsprachigen Autors nicht
erkannt.206
Ăhnlich reagierten die professionellen Kritiker und Schriftsteller : Werner
Weber, der damalige Feuilletonchef der Neuen ZĂŒrcher Zeitung, bezweifelte,
âob hier Thema und Sprache auf einer Höhe sind, wo fĂŒr den Text ein allge-
meines Interesse erwartet werden könnteâ207. Robert Neumann, der beliebte
Stilkenner und Parodist, bescheinigte dem Verfasser und dessen Roman, den
er bei der Erstpublikation noch in den Himmel gelobt hatte, nun einen ge-
waltigen âStilkrampfâ. Konsequent machte er zahlreiche stilistische Verbesse-
rungsvorschlĂ€ge, die insbesondere die berĂŒhmten Musilâschen Konjunktivkon-
struktionen betrafen.208 Selbst die zu Rate gezogenen Literaturwissenschaftler
â unter ihnen die Berliner Germanistikprofessoren Höllerer und Wapnewski
â haben den Auszug aus dem kanonischen Text nicht erkannt. Die Mitarbeiter
der Pardon-Redaktion, die sich an solchen und weiteren Peinlichkeiten de-
lektierten, schlossen daraus messerscharf, Musil sei wohl bisher âĂŒberschĂ€tzt
wordenâ209. Dass diese Schlussfolgerung nicht ganz so zwingend ist, wie sie
damals manchen schien, soll im Folgenden deutlich werden.
Ein anderes, insgesamt aber kaum positiveres Bild ergibt sich, wenn man
die wenigen einlÀsslichen literaturwissenschaftlichen Analysen des fraglichen
Kapitels konsultiert210, die sich vor allem auf die Unerhörtheit des erzÀhlten
Inhalts kaprizieren, die erzÀhlerische Konstruiertheit der Figuren und Hand-
lungen indes hÀufig ausklammern. So diagnostiziert Klaus Laermann bei Ul-
206 Ebd., S. 33 f. u. 36.
207 Ebd., S. 33.
208 Ebd., S. 35 f.
209 Ebd., S. 36.
210 Wie Howald : Ăsthetizismus und Ă€sthetische Ideologiekritik, S. 322, Anm. 328, anhand der
(Ă€lteren) Musil-Literatur zeigt, hat die Forschung das Skandalon des Kapitels âKontermine und
VerfĂŒhrungâ meist geflissentlich eskamotiert. Entsprechende VerdrĂ€ngungen begegnen auch
noch in neueren Arbeiten. So nimmt Schilt : Figuren in Musils Roman, S. 185 f., im fraglichen
Kapitel einen ominösen âAnnĂ€herungsversuch[ ]â Gerdas wahr, der aber âan Ulrichs Wei-
gerungâ scheitere, ja sie spricht sogar ausdrĂŒcklich von âGerdas fehlgeschlagenen erotischen
BemĂŒhungen um Ulrichâ bzw. von ihren âsexuellen Attackenâ. Diese verquere Deutung, die
die Kapitelhandlung nachgerade auf den Kopf stellt, grĂŒndet in der unbelegbaren These, dass
Gerda wie Clarisse âin einer erotischen Beziehung den Ausweg aus den eigenen Problemenâ
suche. Keine genaue Textanalyse findet sich im ansonsten anregenden Aufsatz von Gödicke :
Donjuanismus im Mann ohne Eigenschaften, bes. S. 30 u. 37 f.
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book Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts"
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Title
- Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
- Subtitle
- Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Author
- Norbert Christian Wolf
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78740-2
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 1224
- Keywords
- Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
- Category
- Geisteswissenschaften
Table of contents
- Vorbemerkung 9
- Einleitung 11
- TEIL I : GRUNDLEGUNG
- TEIL II : ROMANTEXT ALS KRĂFTEFELD
- 1. âVersuchsstation des Weltuntergangsâ : Chronotopos und sozialer Raum 261
- 2. âZeitfigurenâ 1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
- Erben und Enterbte 344
- Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) â Der Dilettant Walter 347
- Mann mit Eigenschaften 378
- Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
- Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
- Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
- Aufsteiger und Gebremste 482
- Realpolitik als âAntiessayismusâ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) â Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und âJudeâ 501
- Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
- Terroristen und Propheten 548
- Forcierte âEigenschaftlichkeitâ : Der Antisemit Hans Sepp 558
- eingast, Faschist und Schwerenöter 584
- Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist SchmeiĂer 601
- Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem âGeiste des Expressionismusâ 613
- Gefallene Geliebte 643
- Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
- Petrifizierte âEigenschaftlichkeitâ, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
- Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
- Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
- Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
- Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
- Angepasste und Dissidentinnen 708
- Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
- Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
- 3. âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ : Konstellationen und Interaktionen 768
- Ehen in der Krise 781
- Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die âTrĂ€ger des Zeit- wandelsâ Walter und Clarisse 788
- Von der physiologischen âZwangsherrschaftâ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
- Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
- Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
- Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der âschönen Seeleâ : Ulrich und Bonadea 825
- Coitus interruptus als âLustselbstmordâ : Ulrich und Gerda 844
- Liebesversuche jenseits der Ehe 885
- Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
- Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
- Liebe Ă la hausse, platonische âBegegnung zweier Berggipfelâ : Diotima und Arnheim 908
- Die âletzte Liebesgeschichteâ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
- 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
- Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
- Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, PreuĂen gegen Ăsterreich 1005
- Der Intellektuelle und der GroĂschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
- Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
- Entgegengesetzte âExponenten des Zeitgeistesâ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
- BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
- BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und SchmeiĂer 1086
- TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
- Literaturverzeichnis 1169
- Musil-Texte 1169
- Andere Quellen 1169
- Nachschlagewerke 1176
- Allgemeine Forschungsliteratur 1176
- SekundÀrliteratur zu Musil 1193
- Register 1208