Web-Books
in the Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Geisteswissenschaften
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
Page - 916 -
  • User
  • Version
    • full version
    • text only version
  • Language
    • Deutsch - German
    • English

Page - 916 - in Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts

Image of the Page - 916 -

Image of the Page - 916 - in Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts

Text of the Page - 916 -

Teil II: Romantext als KrĂ€ftefeld916 Hoffnung auf ‚große Leidenschaften‘ wieder auf den Boden ihres profanen Entstehungsorts gebracht werden.384 Dies Ă€ndert freilich wenig an der Tatsa- che, dass die gegenseitigen Bekundungen der beiden Liebenden angesichts ihrer ĂŒbertriebenen Pathetik weiterhin wie Passagen aus einem Trivialroman klingen. Die Forschung konnte zeigen, dass die schmalztriefenden Dialoge zwischen Arnheim und Diotima tatsĂ€chlich ĂŒber weite Strecken (vgl. MoE 501–505) aus einer Montage von Maeterlinck-Zitaten bestehen, die in ein- deutig parodistischer Absicht erfolgt.385 Entsprechendes gilt fĂŒr die verein- zelter auftretenden Zitate aus den Schriften Ellen Keys.386 DarĂŒber hinaus finden sich inhaltliche AnklĂ€nge an ganz Ă€hnlich geartete Verlautbarungen Rathenaus ĂŒber „das Grunderlebnis der Mystik“ (GW 8, 1017), die Musil in seiner Anmerkung zu einer Metapsychik zwar kritisch hinsichtlich ihrer Darstellungsweise und ihres analytischen Anspruchs, aber durchaus aner- kennend hinsichtlich der PhĂ€nomenbeschreibung resĂŒmiert hat (vgl. GW 8, 1017–1019).387 Howald deutet die romanpoetische FunktionalitĂ€t solcher direkter und indirekter Zitationen wie folgt : „Das so inszenierte Einver- stĂ€ndnis zwischen Diotima und Arnheim hat zum einen entlarvende Funk- tion, indem es den phrasenhaften Charakter der Harmonie sichtbar macht. Gleichzeitig erlauben es die Phrasen den beiden zum andern, sich einer ver- bindlichen Entscheidung bezĂŒglich ihrer Beziehung zu entziehen.“388 Dem- selben Zweck wie dem hohlen Reden dient aber auch Diotimas pathetische Aufforderung zum gemeinsamen Schweigen (vgl. MoE 503 f.), womit sie vorderhand einen traditionellen Topos der Mystik aufgreift389, de facto aber nur ihrer „prĂ€tentiöse[n] Unentschlossenheit“ (Tb 1, 587) Ausdruck ver- 384 Vgl. etwa folgenden ErzĂ€hlerkommentar aus den Kapitelgruppen-EntwĂŒrfen, der im Abschnitt zu Graf Leinsdorf aus dem Kap. II.2.1 bereits zitiert worden ist : „[J]eder irdische Idealismus hat den Zweck, die Begierden auf Höheres abzulenken und in einer den Machthabern genehmen Weise zu entkrĂ€ften.“ (MoE 1555) 385 Vgl. MĂŒller : Ideologiekritik und Metasprache, S. 13, sowie Musils Maeterlinck-Exzerpte (Tb 1, 134 f. u. bes. 587–591 ; Tb 2, 77 f. u. 394–401) und eine spĂ€tere diesbezĂŒgliche Romanpassage, in der schon Ulrich die nun von Tuzzi kolportierten „Behauptungen“ der beiden „begabte[n] Eklektiker“ als Maeterlinck-Zitate – und somit als „alte Sachen“ – entlarvt (MoE 803 f.) ; dazu Arntzen : Musil-Kommentar, S. 265 ; Howald : Ästhetizismus und Ă€sthetische Ideologiekritik, S. 283, Anm. 232 u. 233. 386 Vgl. Tb 1, 151–169 ; Tb 2, 90–103 ; dazu Arntzen : Musil-Kommentar, S. 168 f., 241 u. 250. 387 Vgl. MĂŒller : Ideologiekritik und Metasprache, S. 13 f. 388 Howald : Ästhetizismus und Ă€sthetische Ideologiekritik, S. 283 f. 389 Zur traditionellen Funktion des mystischen Schweigens vgl. Leue : Diotima : „Seelenriesin“ und „Riesenhuhn“, S. 344, Anm. 7 ; zur Vorlage von Diotimas Formulierungen bei Maeterlinck vgl. MĂŒller : Ideologiekritik und Metasprache, S. 14 f., Anm. 7 u. 8.
back to the  book Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts"
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
FWF-E-Book-Library
Title
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Subtitle
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
Author
Norbert Christian Wolf
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2011
Language
German
License
CC BY-NC-ND 3.0
ISBN
978-3-205-78740-2
Size
15.5 x 23.0 cm
Pages
1224
Keywords
Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
Category
Geisteswissenschaften

Table of contents

  1. Vorbemerkung 9
  2. Einleitung 11
    1. 1. Vom Scheitern eines Großkritikers : Aporien der Literaturkritik 11
    2. 2. Die MĂŒhen der Literaturwissenschaft : Aporien der Forschung 20
  3. TEIL I : GRUNDLEGUNG
    1. 1. Grundlagen der Untersuchung 43
      1. 1.1 Vorstellung der Methode : Bourdieus Sozioanalyse literarischer Texte 43
      2. 1.2 Methodologische EinwÀnde : Kritik der Sozioanalyse 58
    2. 2. Grundlagen der Poetik Musils 64
      1. 2.1 Der Mensch ohne Eigenschaften : ‚Gestaltlosigkeit‘ als ‚negative‘ Anthropologie 64
      2. 2.2 ‚Gestaltlosigkeit‘ und Romantext als Gesellschaftskonstruktion 80
    3. Gesellschaft im Roman 82
    4. Roman als Konstruktion 101
    5. Da capo : Angemessenheit und Vorgehensweise der Sozioanalyse 124
      1. 2.3 Medienkonkurrenz : Essayistisches vs. filmisches ErzÀhlen (Musil kontra Balåzs) 129
    6. 3. Grundbegriffe des Romankonzepts 165
      1. 3.1 Eigenschaftslosigkeit 165
      2. 3.2 Möglichkeitssinn und Essayismus 199
  4. TEIL II : ROMANTEXT ALS KRÄFTEFELD
    1. 1. „Versuchsstation des Weltuntergangs“ : Chronotopos und sozialer Raum 261
      1. 1.1 SelbstreferenzialitĂ€t und Außenreferenz : Das Eingangskapitel 261
      2. 1.2 Ein Land ohne Eigenschaften – Kakanien als Modell 282
      3. 1.3 Das Feld der Macht im Mann ohne Eigenschaften 300
    2. 2. „Zeitfiguren“ 1913/1930 „am gesellschaftlichen Schachbrett“ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
      1. 2.1 MĂ€nner 334
    3. Erben und Enterbte 344
    4. Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) – Der Dilettant Walter 347
    5. Mann mit Eigenschaften 378
    6. Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
    7. Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
    8. Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
    9. Aufsteiger und Gebremste 482
    10. Realpolitik als ‚Antiessayismus‘ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) – Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und ‚Jude‘ 501
    11. Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
    12. Terroristen und Propheten 548
    13. Forcierte ‚Eigenschaftlichkeit‘ : Der Antisemit Hans Sepp 558
    14. eingast, Faschist und Schwerenöter 584
    15. Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist Schmeißer 601
    16. Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem „Geiste des Expressionismus“ 613
      1. 2.2 Frauen 635
    17. Gefallene Geliebte 643
    18. Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
    19. Petrifizierte ‚Eigenschaftlichkeit‘, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
    20. Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
    21. Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
    22. Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
    23. Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
    24. Angepasste und Dissidentinnen 708
    25. Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
    26. Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
    27. 3. „Die falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaft“ : Konstellationen und Interaktionen 768
      1. 3.1 Gemischtgeschlechtliche Konstellationen : MĂ€nner und Frauen im 20. Jahrhundert 771
    28. Ehen in der Krise 781
    29. Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die „TrĂ€ger des Zeit- wandels“ Walter und Clarisse 788
    30. Von der physiologischen „Zwangsherrschaft“ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
    31. Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
    32. Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
    33. Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der ‚schönen Seele‘ : Ulrich und Bonadea 825
    34. Coitus interruptus als „Lustselbstmord“ : Ulrich und Gerda 844
    35. Liebesversuche jenseits der Ehe 885
    36. Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
    37. Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
    38. Liebe à la hausse, platonische „Begegnung zweier Berggipfel“ : Diotima und Arnheim 908
    39. Die „letzte Liebesgeschichte“ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
    40. 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
    41. Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
    42. Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, Preußen gegen Österreich 1005
    43. Der Intellektuelle und der Großschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
    44. Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
    45. Entgegengesetzte „Exponenten des Zeitgeistes“ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
    46. BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
  5. BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und Schmeißer 1086
  6. TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
    1. 1. Der Mann ohne Eigenschaften im zeitgenössischen literarischen Feld 1099
      1. 1.1 ‚Negative‘ Anthropologie als literaturpolitischer Einsatz 1101
      2. 1.2 Poetik des Essayismus – Musils vielfacher Bruch 1130
    2. 2. Autor und Romanheld in der Moderne – Musils indirekte Selbstanalyse 1152
  7. Literaturverzeichnis 1169
  8. Musil-Texte 1169
  9. Andere Quellen 1169
  10. Nachschlagewerke 1176
  11. Allgemeine Forschungsliteratur 1176
  12. SekundÀrliteratur zu Musil 1193
  13. Register 1208
    1. 1. Personen 1208
    2. 2. Literarische Figuren 1214
Web-Books
Library
Privacy
Imprint
Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion