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Teil II: Romantext als
KrÀftefeld916
Hoffnung auf âgroĂe Leidenschaftenâ wieder auf den Boden ihres profanen
Entstehungsorts gebracht werden.384 Dies Àndert freilich wenig an der Tatsa-
che, dass die gegenseitigen Bekundungen der beiden Liebenden angesichts
ihrer ĂŒbertriebenen Pathetik weiterhin wie Passagen aus einem Trivialroman
klingen. Die Forschung konnte zeigen, dass die schmalztriefenden Dialoge
zwischen Arnheim und Diotima tatsĂ€chlich ĂŒber weite Strecken (vgl. MoE
501â505) aus einer Montage von Maeterlinck-Zitaten bestehen, die in ein-
deutig parodistischer Absicht erfolgt.385 Entsprechendes gilt fĂŒr die verein-
zelter auftretenden Zitate aus den Schriften Ellen Keys.386 DarĂŒber hinaus
finden sich inhaltliche AnklÀnge an ganz Àhnlich geartete Verlautbarungen
Rathenaus ĂŒber âdas Grunderlebnis der Mystikâ (GW 8, 1017), die Musil
in seiner Anmerkung zu einer Metapsychik zwar kritisch hinsichtlich ihrer
Darstellungsweise und ihres analytischen Anspruchs, aber durchaus aner-
kennend hinsichtlich der PhĂ€nomenbeschreibung resĂŒmiert hat (vgl. GW
8, 1017â1019).387 Howald deutet die romanpoetische FunktionalitĂ€t solcher
direkter und indirekter Zitationen wie folgt : âDas so inszenierte Einver-
stÀndnis zwischen Diotima und Arnheim hat zum einen entlarvende Funk-
tion, indem es den phrasenhaften Charakter der Harmonie sichtbar macht.
Gleichzeitig erlauben es die Phrasen den beiden zum andern, sich einer ver-
bindlichen Entscheidung bezĂŒglich ihrer Beziehung zu entziehen.â388 Dem-
selben Zweck wie dem hohlen Reden dient aber auch Diotimas pathetische
Aufforderung zum gemeinsamen Schweigen (vgl. MoE 503 f.), womit sie
vorderhand einen traditionellen Topos der Mystik aufgreift389, de facto aber
nur ihrer âprĂ€tentiöse[n] Unentschlossenheitâ (Tb 1, 587) Ausdruck ver-
384 Vgl. etwa folgenden ErzĂ€hlerkommentar aus den Kapitelgruppen-EntwĂŒrfen, der im Abschnitt
zu Graf Leinsdorf aus dem Kap. II.2.1 bereits zitiert worden ist : â[J]eder irdische Idealismus hat
den Zweck, die Begierden auf Höheres abzulenken und in einer den Machthabern genehmen
Weise zu entkrĂ€ften.â (MoE 1555)
385 Vgl. MĂŒller : Ideologiekritik und Metasprache, S. 13, sowie Musils Maeterlinck-Exzerpte (Tb 1,
134 f. u. bes. 587â591 ; Tb 2, 77 f. u. 394â401) und eine spĂ€tere diesbezĂŒgliche Romanpassage,
in der schon Ulrich die nun von Tuzzi kolportierten âBehauptungenâ der beiden âbegabte[n]
Eklektikerâ als Maeterlinck-Zitate â und somit als âalte Sachenâ â entlarvt (MoE 803 f.) ; dazu
Arntzen : Musil-Kommentar, S. 265 ; Howald : Ăsthetizismus und Ă€sthetische Ideologiekritik,
S. 283, Anm. 232 u. 233.
386 Vgl. Tb 1, 151â169 ; Tb 2, 90â103 ; dazu Arntzen : Musil-Kommentar, S. 168 f., 241 u. 250.
387 Vgl. MĂŒller : Ideologiekritik und Metasprache, S. 13 f.
388 Howald : Ăsthetizismus und Ă€sthetische Ideologiekritik, S. 283 f.
389 Zur traditionellen Funktion des mystischen Schweigens vgl. Leue : Diotima : âSeelenriesinâ und
âRiesenhuhnâ, S. 344, Anm. 7 ; zur Vorlage von Diotimas Formulierungen bei Maeterlinck vgl.
MĂŒller : Ideologiekritik und Metasprache, S. 14 f., Anm. 7 u. 8.
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Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Title
- Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
- Subtitle
- Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Author
- Norbert Christian Wolf
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78740-2
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 1224
- Keywords
- Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
- Category
- Geisteswissenschaften
Table of contents
- Vorbemerkung 9
- Einleitung 11
- TEIL I : GRUNDLEGUNG
- TEIL II : ROMANTEXT ALS KRĂFTEFELD
- 1. âVersuchsstation des Weltuntergangsâ : Chronotopos und sozialer Raum 261
- 2. âZeitfigurenâ 1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
- Erben und Enterbte 344
- Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) â Der Dilettant Walter 347
- Mann mit Eigenschaften 378
- Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
- Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
- Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
- Aufsteiger und Gebremste 482
- Realpolitik als âAntiessayismusâ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) â Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und âJudeâ 501
- Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
- Terroristen und Propheten 548
- Forcierte âEigenschaftlichkeitâ : Der Antisemit Hans Sepp 558
- eingast, Faschist und Schwerenöter 584
- Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist SchmeiĂer 601
- Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem âGeiste des Expressionismusâ 613
- Gefallene Geliebte 643
- Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
- Petrifizierte âEigenschaftlichkeitâ, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
- Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
- Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
- Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
- Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
- Angepasste und Dissidentinnen 708
- Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
- Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
- 3. âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ : Konstellationen und Interaktionen 768
- Ehen in der Krise 781
- Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die âTrĂ€ger des Zeit- wandelsâ Walter und Clarisse 788
- Von der physiologischen âZwangsherrschaftâ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
- Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
- Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
- Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der âschönen Seeleâ : Ulrich und Bonadea 825
- Coitus interruptus als âLustselbstmordâ : Ulrich und Gerda 844
- Liebesversuche jenseits der Ehe 885
- Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
- Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
- Liebe Ă la hausse, platonische âBegegnung zweier Berggipfelâ : Diotima und Arnheim 908
- Die âletzte Liebesgeschichteâ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
- 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
- Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
- Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, PreuĂen gegen Ăsterreich 1005
- Der Intellektuelle und der GroĂschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
- Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
- Entgegengesetzte âExponenten des Zeitgeistesâ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
- BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
- BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und SchmeiĂer 1086
- TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
- Literaturverzeichnis 1169
- Musil-Texte 1169
- Andere Quellen 1169
- Nachschlagewerke 1176
- Allgemeine Forschungsliteratur 1176
- SekundÀrliteratur zu Musil 1193
- Register 1208