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âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ 943
âwoman-manlyâ sein, niemals aber ein âreinesâ, unvermischtes Geschlecht ha-
ben.463 Im nachviktorianischen Europa der Moderne prÀsentiere sich die sol-
cherart konzipierte anthropologische Problematik besonders drĂ€ngend : âAnd
if it be true that it is one of the tokens of the fully developed mind that it does
not think specially or separately of sex, how much harder it is to attain that
condition now than ever before.â464 Denn : âNo age can ever have been as stri-
dently sex-conscious as our ownâ.465 Vor dem Hintergrund dieser modernen
Sex- und Geschlechtsbesessenheit, deren âsubjektivierendeâ, normalisierende
und identitÀtsstiftende Funktion noch Foucault kritisch konstatieren wird466,
spricht Woolf sich nun scharf gegen eine allzu plakative und polemische In-
strumentalisierung des Geschlechtergegensatzes in Kunst und Literatur aus :
[T]he very first sentence that I would write here [âŠ] is that it is fatal for anyone
who writes to think of their sex. It is fatal to be a man or woman pure and simple ;
one must be woman-manly or man-womanly. It is fatal for a woman to lay the least
stress on any grievance ; to plead even with justice any cause ; in any way to speak
consciously as a woman. And fatal is no figure of speech ; for anything written with
that conscious bias is doomed to death. It ceases to be fertilised. Brillant and effective,
powerful and masterly, as it may appear for a day or two, it must wither at nightfall ; it
cannot grow in the minds of others.467
Angesichts dieses kritischen Befundes einer fatalen Wirkung âzornigenâ weib-
lichen Schreibens erteilt Woolf folgenden Ratschlag : âSome collaboration
has to take place in the mind between the woman and the man before the
art of creation can be accomplished. Some marriage of opposites has to be
consummated.â468 Diese kĂŒnstlerische Maxime war fĂŒr Woolfs eigene literari-
sche Produktion offenbar maĂgeblich und spiegelt sich wider im Handlungs-
gefĂŒge ihrer Werke. Narrativ umgesetzt figuriert die androgyne Utopie etwa
an bestimmten herausgehobenen Stellen des Romans To the Lighthouse (1927),
der als bester ErzĂ€hltext Woolfs ĂŒber AndrogynitĂ€t gefeiert worden ist.469 An
seinem Ende wird beispielsweise eine unmittelbare bzw. medial unvermittelte
zwischengeschlechtliche Kommunikation zwischen Lily Briscoe und Augus-
463 Ebd.
464 Ebd., S. 148 f.
465 Ebd., S. 149.
466 Vgl. Foucault : Der Wille zum Wissen, S. 50â66.
467 Woolf : A Room of Oneâs Own, S. 156 f.
468 Ebd., S. 157.
469 So zumindest Heilbrun : Towards Androgyny, S. 156.
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book Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts"
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Title
- Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
- Subtitle
- Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Author
- Norbert Christian Wolf
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78740-2
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 1224
- Keywords
- Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
- Category
- Geisteswissenschaften
Table of contents
- Vorbemerkung 9
- Einleitung 11
- TEIL I : GRUNDLEGUNG
- TEIL II : ROMANTEXT ALS KRĂFTEFELD
- 1. âVersuchsstation des Weltuntergangsâ : Chronotopos und sozialer Raum 261
- 2. âZeitfigurenâ 1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
- Erben und Enterbte 344
- Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) â Der Dilettant Walter 347
- Mann mit Eigenschaften 378
- Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
- Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
- Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
- Aufsteiger und Gebremste 482
- Realpolitik als âAntiessayismusâ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) â Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und âJudeâ 501
- Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
- Terroristen und Propheten 548
- Forcierte âEigenschaftlichkeitâ : Der Antisemit Hans Sepp 558
- eingast, Faschist und Schwerenöter 584
- Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist SchmeiĂer 601
- Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem âGeiste des Expressionismusâ 613
- Gefallene Geliebte 643
- Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
- Petrifizierte âEigenschaftlichkeitâ, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
- Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
- Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
- Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
- Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
- Angepasste und Dissidentinnen 708
- Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
- Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
- 3. âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ : Konstellationen und Interaktionen 768
- Ehen in der Krise 781
- Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die âTrĂ€ger des Zeit- wandelsâ Walter und Clarisse 788
- Von der physiologischen âZwangsherrschaftâ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
- Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
- Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
- Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der âschönen Seeleâ : Ulrich und Bonadea 825
- Coitus interruptus als âLustselbstmordâ : Ulrich und Gerda 844
- Liebesversuche jenseits der Ehe 885
- Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
- Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
- Liebe Ă la hausse, platonische âBegegnung zweier Berggipfelâ : Diotima und Arnheim 908
- Die âletzte Liebesgeschichteâ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
- 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
- Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
- Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, PreuĂen gegen Ăsterreich 1005
- Der Intellektuelle und der GroĂschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
- Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
- Entgegengesetzte âExponenten des Zeitgeistesâ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
- BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
- BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und SchmeiĂer 1086
- TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
- Literaturverzeichnis 1169
- Musil-Texte 1169
- Andere Quellen 1169
- Nachschlagewerke 1176
- Allgemeine Forschungsliteratur 1176
- SekundÀrliteratur zu Musil 1193
- Register 1208