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âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ 1013
Tuzzis Einfluss auf seine Frau wird ganz offensichtlich in enge Grenzen zu-
rĂŒckgeworfen, was auch den Spielraum seiner âmĂ€nnlichen Erziehungsar-
beitâ fortan empfindlich schmĂ€lert : âEr begnĂŒgte sich damit, Diotima von
Zeit zu Zeit erneut darauf aufmerksam zu machen, daĂ seiner Ansicht nach
Arnheims Anwesenheit und Bevorzugung ihres Hauses keinesfalls ohne die
Annahme verborgener Zwecke zu verstehen sei, aber ĂŒber deren mögliche
Natur schwieg er und wuĂte selbst nichts davon.â (MoE 329) Wohl um die
kontrĂ€ren Denkhaltungen der politischen Eliten in Ăsterreich und PreuĂen
auch bei fortschreitender BasiserzÀhlung nicht komplett in den Hintergrund
zu drÀngen, kondensiert Musil sie noch einmal gegen Ende des Ersten Buchs
in einem Dialog zwischen dem scheinbaren Idealisten Arnheim und dem of-
fenkundigen Realpolitiker Tuzzi :
âWer darf sich heuteâ fragte er [d. h. Tuzzi, N. C. W.] âdenn ĂŒberhaupt trauen, groĂe
politische Ideen zu verwirklichen ? ! Er mĂŒĂte ein StĂŒck Verbrecher und Bankerotteur
in sich haben ![662] Das wollen Sie doch nicht ? Diplomatie ist dazu da, um zu konser-
vieren.â / âDas Konservieren fĂŒhrt zum Kriegâ erwiderte Arnheim. / âDas kann schon
seinâ meinte Tuzzi. âWahrscheinlich bleibt es das einzige, was man tun kann, daĂ man
den Augenblick, wo man hineingefĂŒhrt wird, gĂŒnstig wĂ€hlt ! Erinnern Sie sich an die
Geschichte Alexanders des Zweiten ? Sein Vater Nikolai war ein Despot, aber er ist
eines natĂŒrlichen Todes gestorben ; Alexander dagegen war ein hochherziger Herr-
scher, der seine Regierung sogleich mit liberalen Reformen begann ; die Folge war,
daĂ aus dem russischen Liberalismus der russische Radikalismus geworden ist und
Alexander nach drei vergeblichen Mordversuchen einem vierten zum Opfer fiel.â
(MoE 595)
Es handelt sich um eine der wenigen Passagen in ihren (nicht gerade hÀufigen
und ausufernden) direkten GesprÀchen, in denen Tuzzi das letzte Wort behÀlt
und damit auch bei seiner Gattin punkten kann, obgleich ihr EinverstÀndnis
wohl auf einer etwas einseitigen Auslegung seiner Argumentation beruht :
Ulrich sah Diotima an. Aufgerichtet, aufmerksam, ernst und ĂŒppig saĂ sie da und be-
krĂ€ftigte die Worte ihres Gatten. âDas ist richtig. Ich habe vom geistigen Radikalismus
auch bei unseren Bestrebungen den Eindruck gewonnen : wenn man ihm einen Fin-
ger reicht, will er gleich die ganze Hand.â / Tuzzi lĂ€chelte ; es kam ihm vor, er habe
einen kleinen Sieg ĂŒber Arnheim davongetragen. (MoE 595)
662 In dieser Bemerkung könnte man eventuell auch eine Anspielung auf Hitler sehen, der 1930
schon zunehmend erfolgreich war.
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book Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts"
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Title
- Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
- Subtitle
- Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Author
- Norbert Christian Wolf
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78740-2
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 1224
- Keywords
- Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
- Category
- Geisteswissenschaften
Table of contents
- Vorbemerkung 9
- Einleitung 11
- TEIL I : GRUNDLEGUNG
- TEIL II : ROMANTEXT ALS KRĂFTEFELD
- 1. âVersuchsstation des Weltuntergangsâ : Chronotopos und sozialer Raum 261
- 2. âZeitfigurenâ 1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
- Erben und Enterbte 344
- Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) â Der Dilettant Walter 347
- Mann mit Eigenschaften 378
- Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
- Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
- Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
- Aufsteiger und Gebremste 482
- Realpolitik als âAntiessayismusâ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) â Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und âJudeâ 501
- Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
- Terroristen und Propheten 548
- Forcierte âEigenschaftlichkeitâ : Der Antisemit Hans Sepp 558
- eingast, Faschist und Schwerenöter 584
- Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist SchmeiĂer 601
- Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem âGeiste des Expressionismusâ 613
- Gefallene Geliebte 643
- Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
- Petrifizierte âEigenschaftlichkeitâ, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
- Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
- Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
- Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
- Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
- Angepasste und Dissidentinnen 708
- Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
- Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
- 3. âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ : Konstellationen und Interaktionen 768
- Ehen in der Krise 781
- Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die âTrĂ€ger des Zeit- wandelsâ Walter und Clarisse 788
- Von der physiologischen âZwangsherrschaftâ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
- Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
- Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
- Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der âschönen Seeleâ : Ulrich und Bonadea 825
- Coitus interruptus als âLustselbstmordâ : Ulrich und Gerda 844
- Liebesversuche jenseits der Ehe 885
- Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
- Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
- Liebe Ă la hausse, platonische âBegegnung zweier Berggipfelâ : Diotima und Arnheim 908
- Die âletzte Liebesgeschichteâ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
- 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
- Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
- Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, PreuĂen gegen Ăsterreich 1005
- Der Intellektuelle und der GroĂschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
- Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
- Entgegengesetzte âExponenten des Zeitgeistesâ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
- BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
- BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und SchmeiĂer 1086
- TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
- Literaturverzeichnis 1169
- Musil-Texte 1169
- Andere Quellen 1169
- Nachschlagewerke 1176
- Allgemeine Forschungsliteratur 1176
- SekundÀrliteratur zu Musil 1193
- Register 1208