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Teil II: Romantext als
KrÀftefeld1020
dieses habituell beeindruckenden sozialen Aufsteigers der zweiten Generation
manifestiert sich vielmehr die historische âErrungenschaftâ, dass und inwiefern
in modernen westlichen Gesellschaften âmit Kapital [âŠ] die Möglichkeit gege-
ben ist, sich die kollektiv produzierten und akkumulierten Mittel zur realen Ăberwin-
dung der anthropologischen Schranken anzueignenâ682.
In Ăbereinstimmung mit der ĂŒberkommenen habituellen Differenz zwi-
schen dem âGelehrtenâ und dem âMann von Weltâ legen Ulrich und Arnheim
auch ein unterschiedliches VerhÀltnis zur Sprache an den Tag bzw. gehen ge-
radezu kontrÀr damit um : Die Genauigkeit des Ausdrucks und der Analyse
kann als zentrales innerdiskursives Differenzkriterium gelten. Bereits in seinen
frĂŒhen Notizen zum Romankonzept (âAnders-EinzelblĂ€tterâ) hat Musil unter
dem Stichwort âVerhĂ€ltnis zur Wissenschaftâ unmissverstĂ€ndlich festgehalten :
âOhne Genauigkeit entsteht Kitsch.â Und er fĂŒgt hinzu : âGenauigkeit ist ei-
gentlich auch Aktivismusâ (M II/4/59). Der BemĂŒhung Ulrichs um höchste
geistige Akkuratesse und seinem Bewusstsein der konstitutiven Aporien der
Moderne steht Arnheims Universaldilettantismus (MoE 175 u. 188â194) als
Utopie aufgehobener sozialer Differenzierung gegenĂŒber : âAllgemeine Zer-
rissenheit ; Extreme ohne Zusammenhangâ (MoE 197) gelte es zu bekĂ€mpfen.
Analog zum Mann ohne Eigenschaften, aber auf ganz andere Weise als dieser
betreibt auch Arnheim in seinem âVielredenâ (MoE 189) eine Versöhnung von
Verstand und GefĂŒhl (vgl. MoE 197 f.), deren Berufung auf âdie Einheit des
Daseins und seine innere Ordnungâ (MoE 197) sowie auf ein weniger mit
dem Verstand als vielmehr mit seiner Intuition operierendes Ausnahmeindi-
viduum683 bald Ulrichs beiĂendem Spott angesichts der sich darin Ă€uĂern-
den naiven Subjekt- und Ganzheitsphantasmen anheimfÀllt (vgl. MoE 217).
Es handelt sich bei der habituellen Differenz zwischen Ulrich und Arnheim
freilich nicht nur um eine bloĂe Neuauflage der traditionellen Opposition
zwischen âGelehrtemâ und âMann von Weltâ, sondern auch um das Ergebnis
von deren historischer Transformation, was hier eine nicht unerhebliche Rolle
spielt : Bourdieu bedient sich der in den höfischen Salons aus dem 17. und
18. Jahrhundert kultivierten Unterscheidung, um damit im Rahmen seiner
bewuĂte und unmerkliche Weise der Erwerb der Grundelemente der legitimen Kultur ermög-
licht, damit die zur Korrektur unerwĂŒnschter Lerneffekte sonst notwendige Dekulturation und
Abrichtung erspart.â
682 Ebd., S. 130.
683 âDie Zivilisationsfrage ist nur mit dem Herzen zu lösen. Durch das Auftreten einer neuen Per-
son. Der Verstand hat nichts anderes zuwege gebracht, als die groĂe Vergangenheit bis zum
Liberalismus abzuschwĂ€chen.â (MoE 198) Dass Arnheim bei der âneuen Personâ in erster Linie
an sich selber denkt, liegt zumindest nahe.
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book Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts"
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Title
- Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
- Subtitle
- Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Author
- Norbert Christian Wolf
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78740-2
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 1224
- Keywords
- Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
- Category
- Geisteswissenschaften
Table of contents
- Vorbemerkung 9
- Einleitung 11
- TEIL I : GRUNDLEGUNG
- TEIL II : ROMANTEXT ALS KRĂFTEFELD
- 1. âVersuchsstation des Weltuntergangsâ : Chronotopos und sozialer Raum 261
- 2. âZeitfigurenâ 1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
- Erben und Enterbte 344
- Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) â Der Dilettant Walter 347
- Mann mit Eigenschaften 378
- Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
- Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
- Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
- Aufsteiger und Gebremste 482
- Realpolitik als âAntiessayismusâ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) â Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und âJudeâ 501
- Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
- Terroristen und Propheten 548
- Forcierte âEigenschaftlichkeitâ : Der Antisemit Hans Sepp 558
- eingast, Faschist und Schwerenöter 584
- Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist SchmeiĂer 601
- Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem âGeiste des Expressionismusâ 613
- Gefallene Geliebte 643
- Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
- Petrifizierte âEigenschaftlichkeitâ, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
- Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
- Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
- Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
- Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
- Angepasste und Dissidentinnen 708
- Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
- Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
- 3. âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ : Konstellationen und Interaktionen 768
- Ehen in der Krise 781
- Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die âTrĂ€ger des Zeit- wandelsâ Walter und Clarisse 788
- Von der physiologischen âZwangsherrschaftâ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
- Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
- Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
- Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der âschönen Seeleâ : Ulrich und Bonadea 825
- Coitus interruptus als âLustselbstmordâ : Ulrich und Gerda 844
- Liebesversuche jenseits der Ehe 885
- Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
- Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
- Liebe Ă la hausse, platonische âBegegnung zweier Berggipfelâ : Diotima und Arnheim 908
- Die âletzte Liebesgeschichteâ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
- 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
- Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
- Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, PreuĂen gegen Ăsterreich 1005
- Der Intellektuelle und der GroĂschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
- Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
- Entgegengesetzte âExponenten des Zeitgeistesâ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
- BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
- BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und SchmeiĂer 1086
- TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
- Literaturverzeichnis 1169
- Musil-Texte 1169
- Andere Quellen 1169
- Nachschlagewerke 1176
- Allgemeine Forschungsliteratur 1176
- SekundÀrliteratur zu Musil 1193
- Register 1208