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Teil II: Romantext als
KrÀftefeld1022
Eine Frage des SekretÀrs, ein Blick auf einen Nebentisch, der Gruà eines Eintre-
tenden, irgendetwas von dieser Art erinnerte Arnheim jedesmal im rechten Augen-
blick an die Notwendigkeit, aus sich eine eindrucksvolle Erscheinung zu machen, und
diese Einheit der Erscheinung ĂŒbertrug sich denn auch sogleich auf sein Denken. Er
hatte diese Lebenserfahrung in die zu seinen BedĂŒrfnissen passende Ăberzeugung
gefaĂt, daĂ der denkende Mensch immer zugleich auch ein handelnder sein mĂŒsse.
(MoE 382)
Die habituell unterschiedlichen Verhaltensweisen treten nicht zuletzt im je-
weiligen VerhĂ€ltnis zum Schreiben zutage, wie auch der Beginn des fĂŒr die
gegenwĂ€rtige Fragestellung zentralen Kapitels âDie Ausspracheâ zeigt, wo
Arnheim das âSchreibenâ in Analogie zur âPerleâ als âKrankheitâ bezeichnet
und seinem GesprĂ€chspartner die rhetorische Frage stellt : â[I]st es nicht tau-
sendmal wichtiger, sich mit dem Leben abzugeben, als zu schreiben ? !â (MoE
634) Ulrich erwidert darauf so âknappâ wie schlĂŒssig : âIch schreibe ja nichtsâ,
und fĂŒgt dem wenig spĂ€ter die Gegenfrage hinzu : âAber Sie sind doch selbst
ein berĂŒhmter Schriftsteller ? !â (MoE 634) Damit wird nicht nur ein zentrales
Problem der metanarrativen Autopoiesis angesprochen, sondern auch jenes
schriftstellerische SelbstverstÀndnis, das als Ergebnis der Auseinandersetzung
Musils mit dem zeitgenössischen literarischen Feld der Poetik und Ethik des
Mann ohne Eigenschaften insgesamt zugrunde liegt. Die komplexe Thematik
des Schreibens und Lesens soll deshalb im Folgenden den besonderen Fokus
der analytischen BemĂŒhungen bilden.
Zwar hegt der erwachsene Arnheim starke Vorbehalte gegen das (einsame)
Schreiben, die unter anderem auf seinen Vaterkomplex zurĂŒckzufĂŒhren sind,
denn Samuel Arnheim âliest fast niemals BĂŒcherâ (MoE 541), zeigt sich aber
umso erfolgreicher im geschÀftlichen Leben. Wohl auch angesichts dessen
meint sein schreibender Sohn : âUm den kleinsten VolontĂ€r, der in einem Welt-
geschĂ€ft tĂ€tig ist, kreist die Welt, und Erdteile gucken ihm ĂŒber die Schulter,
so daĂ nichts, was er tut, ohne Bedeutung ist ; um den einsamen Verfasser in
seinem Zimmer kreisen dagegen höchstens die Fliegen, er mag sich anstren-
gen, wie er will.â (MoE 387) Mit dieser Ăberzeugung kann Schreiben nie die
einzige bzw. die HauptbeschÀftigung Arnheims sein, der ja wirken und beachtet
werden will.684 Sein Schreiben ist aber nicht nur deshalb âein KompromiĂâ oder
684 Vgl. dazu Musils kritische Notiz auf dem âIdeen-Einzelblatt 29â zum âSchreibenâ : âLetzten
Endes schreibt man, weil man nicht lebt ; aber nicht so, wie es Arnheim meint, sondern aZ.â
(M I/1/65) Das heiĂt also, man schreibt, weil man sich nicht im âanderen Zustandâ befindet.
Dazu erwĂ€gt Musil weiter : âViele groĂe MĂ€nner des praktischen Lebens haben BĂŒcher ge-
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book Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts"
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Title
- Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
- Subtitle
- Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Author
- Norbert Christian Wolf
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78740-2
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 1224
- Keywords
- Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
- Category
- Geisteswissenschaften
Table of contents
- Vorbemerkung 9
- Einleitung 11
- TEIL I : GRUNDLEGUNG
- TEIL II : ROMANTEXT ALS KRĂFTEFELD
- 1. âVersuchsstation des Weltuntergangsâ : Chronotopos und sozialer Raum 261
- 2. âZeitfigurenâ 1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
- Erben und Enterbte 344
- Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) â Der Dilettant Walter 347
- Mann mit Eigenschaften 378
- Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
- Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
- Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
- Aufsteiger und Gebremste 482
- Realpolitik als âAntiessayismusâ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) â Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und âJudeâ 501
- Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
- Terroristen und Propheten 548
- Forcierte âEigenschaftlichkeitâ : Der Antisemit Hans Sepp 558
- eingast, Faschist und Schwerenöter 584
- Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist SchmeiĂer 601
- Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem âGeiste des Expressionismusâ 613
- Gefallene Geliebte 643
- Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
- Petrifizierte âEigenschaftlichkeitâ, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
- Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
- Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
- Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
- Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
- Angepasste und Dissidentinnen 708
- Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
- Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
- 3. âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ : Konstellationen und Interaktionen 768
- Ehen in der Krise 781
- Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die âTrĂ€ger des Zeit- wandelsâ Walter und Clarisse 788
- Von der physiologischen âZwangsherrschaftâ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
- Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
- Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
- Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der âschönen Seeleâ : Ulrich und Bonadea 825
- Coitus interruptus als âLustselbstmordâ : Ulrich und Gerda 844
- Liebesversuche jenseits der Ehe 885
- Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
- Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
- Liebe Ă la hausse, platonische âBegegnung zweier Berggipfelâ : Diotima und Arnheim 908
- Die âletzte Liebesgeschichteâ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
- 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
- Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
- Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, PreuĂen gegen Ăsterreich 1005
- Der Intellektuelle und der GroĂschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
- Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
- Entgegengesetzte âExponenten des Zeitgeistesâ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
- BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
- BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und SchmeiĂer 1086
- TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
- Literaturverzeichnis 1169
- Musil-Texte 1169
- Andere Quellen 1169
- Nachschlagewerke 1176
- Allgemeine Forschungsliteratur 1176
- SekundÀrliteratur zu Musil 1193
- Register 1208