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âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ 1023
etwa aus dem einfachen semiotischen Grund, dass die unmittelbaren AusflĂŒsse
der âSeeleâ durch die ĂberfĂŒhrung in das sekundĂ€re und konventionelle Me-
dium der Schrift ihres nichtkommunizierbaren Aspekts entkleidet und somit
gleichsam entwertet erscheinen, sondern auch deshalb, âweil es nur eine Seele
gibt und diese nicht greifbar, sondern im Exil und von dort sich nur auf eine ein-
zige, so merkwĂŒrdig undeutliche oder vieldeutige Weise meldendâ, wohingegen
âunzĂ€hlige, schlechthin unendlich viele und alle Fragen der Weltâ existieren,
âauf die man diese königliche Botschaft anwenden kannâ (MoE 391). Eine pro-
blematische Auswirkung dieses im hochtrabend-dunklen Ton seines Urhebers
formulierten Gedankens fasst der ironische ErzÀhler in folgende schmunzelnde
Bemerkung : â[S]o entstand mit den Jahren jene ernste Verlegenheit fĂŒr ihn, in
die alle Legitimisten und Propheten geraten, wenn es zu lange dauert.â (MoE
391) Dennoch tut sich Arnheim mit dem Schreiben entschieden leichter als
Ulrich oder gar sein Autor Musil, ja er kann sich am eigenen Schreiben, das fast
wie eine Ă©criture automatique dahinflieĂt, sogar selbst berauschen :
Arnheim brauchte sich nur in der Einsamkeit zum Schreiben hinzusetzen, so fĂŒhrte
die Feder geradezu mit gespenstischer Ergiebigkeit seine Gedanken von der Seele zu
den Problemen des Geistes, der Tugenden, der Wirtschaft und der Politik, die, aus
unsichtbarer Quelle bestrahlt, in einer deutlichen und magisch einheitlichen Beleuch-
tung erschienen. Dieser Ausdehnungsdrang hatte Berauschendes [âŠ]. (MoE 391)
TatsÀchlich ist sein Schreiben allerdings nur scheinbar durch den von Kretsch-
mer analysierten Wegfall einer planenden und strukturierenden Obervorstel-
lung685 geprĂ€gt, der eine Voraussetzung fĂŒr wirklich intuitives Schaffen wĂ€re.
Es bleibt nÀmlich
an jene Spaltung des BewuĂtseins gebunden, die bei vielen die Voraussetzung der
schriftlichen Schöpfung ist, indem der Geist alles ausschaltet und vergiĂt, was ihm
nicht ins Konzept paĂt ; im Angesicht eines Unterredners sprechend und durch des-
sen Person den Beziehungen der Erde verbunden, wĂŒrde sich Arnheim niemals so
weit ausgelassen haben, aber ĂŒber ein Papier gebeugt, das bereitlag, seine Anschau-
ung widerzuspiegeln, lieĂ er es sich mit Freuden an einem gleichnishaften Ausdruck
von Ăberzeugungen genug sein, die nur zum geringsten Teil fest, zum gröĂeren ein
schrieben ; man darf darin gewöhnlich eine Form der Eitelkeit sehn oder die Ăberzeugung, daĂ
ein erfolgreicher Mann seinen Zeitgenossen etwas zu sagen hat. Wenn er aber von Seele und
dergleichen schreibt, so hat es wahrscheinlich eine pathologische Bedeutung.â (M I/1/65)
685 Vgl. Kretschmer : Medizinische Psychologie, S. 85â89.
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book Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts"
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Title
- Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
- Subtitle
- Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Author
- Norbert Christian Wolf
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78740-2
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 1224
- Keywords
- Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
- Category
- Geisteswissenschaften
Table of contents
- Vorbemerkung 9
- Einleitung 11
- TEIL I : GRUNDLEGUNG
- TEIL II : ROMANTEXT ALS KRĂFTEFELD
- 1. âVersuchsstation des Weltuntergangsâ : Chronotopos und sozialer Raum 261
- 2. âZeitfigurenâ 1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
- Erben und Enterbte 344
- Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) â Der Dilettant Walter 347
- Mann mit Eigenschaften 378
- Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
- Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
- Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
- Aufsteiger und Gebremste 482
- Realpolitik als âAntiessayismusâ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) â Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und âJudeâ 501
- Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
- Terroristen und Propheten 548
- Forcierte âEigenschaftlichkeitâ : Der Antisemit Hans Sepp 558
- eingast, Faschist und Schwerenöter 584
- Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist SchmeiĂer 601
- Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem âGeiste des Expressionismusâ 613
- Gefallene Geliebte 643
- Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
- Petrifizierte âEigenschaftlichkeitâ, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
- Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
- Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
- Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
- Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
- Angepasste und Dissidentinnen 708
- Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
- Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
- 3. âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ : Konstellationen und Interaktionen 768
- Ehen in der Krise 781
- Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die âTrĂ€ger des Zeit- wandelsâ Walter und Clarisse 788
- Von der physiologischen âZwangsherrschaftâ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
- Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
- Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
- Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der âschönen Seeleâ : Ulrich und Bonadea 825
- Coitus interruptus als âLustselbstmordâ : Ulrich und Gerda 844
- Liebesversuche jenseits der Ehe 885
- Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
- Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
- Liebe Ă la hausse, platonische âBegegnung zweier Berggipfelâ : Diotima und Arnheim 908
- Die âletzte Liebesgeschichteâ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
- 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
- Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
- Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, PreuĂen gegen Ăsterreich 1005
- Der Intellektuelle und der GroĂschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
- Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
- Entgegengesetzte âExponenten des Zeitgeistesâ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
- BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
- BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und SchmeiĂer 1086
- TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
- Literaturverzeichnis 1169
- Musil-Texte 1169
- Andere Quellen 1169
- Nachschlagewerke 1176
- Allgemeine Forschungsliteratur 1176
- SekundÀrliteratur zu Musil 1193
- Register 1208