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âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ 1035
es sich dabei um eine spezielle Manifestation der auch in den kĂŒnstlerischen
Feldern allenthalben spĂŒrbaren Ăkonomisierung handle, also um eine Begleit-
erscheinung des sich in allen Lebensbereichen durchsetzenden modernen Ka-
pitalismus.
Arnheim zufolge stellt dieser freilich âals Organisation der Ichsucht nach der
Rangordnung der KrĂ€fte, sich Geld zu verschaffenâ, âgeradezu die gröĂte und
dabei noch humanste Ordnungâ dar, die zu Gottes Ehre habe ausgebildet wer-
den können, denn âein genaueres MaĂ trĂ€gt das menschliche Tun nicht in sichâ
(MoE 508 ; vgl. GW 8, 1358). Die vom romanesken âVertreter von Geld und
GeschĂ€ft in der Welt der Kunstâ708 verkörperte paradoxale âVerbindung von
Handel und Idealismusâ (MoE 432) fĂŒhrt vor Augen, dass der Kapitalismus die
ĂŒberkommenen Modelle von Autorschaft nicht notwendig verdrĂ€ngt, sondern
bestimmte Elemente davon sogar noch favorisieren kann : Arnheim orientiert
sich ja ausdrĂŒcklich an der traditionellen Vorstellung von Autorschaft als In-
stanz des Humanismus, er nimmt sich an Goethe, dem âallererste[n] GroĂ-
schriftsteller, den diese Nation hervorgebracht hatâ, âin vielem ein Beispielâ, ja
er meint sogar, dass âdas Goethesche und Bedeutsameâ schlichtweg identisch
seien (MoE 433).709 Die nicht allein naturwissenschaftlich geprÀgte710, sondern
auch an Nietzsche geschulte âeigenschaftsloseâ IntellektualitĂ€t Ulrichs deutet
hingegen schon auf den provokanten Antihumanismus poststrukturalistischer
Philosophie (Foucault) voraus, indem sie dem humanistischen Pathos prinzi-
piell misstraut ; sie stellt somit eine wesentlich radikalere Variante literarischer
Nietzsche-Adaptation dar als die von Thomas Mann verfochtene, zumal sie
sich der genealogischen Methode verpflichtet weiĂ. So ist in dem mit dem
Untertitel âArnheims Unentschlossenheitâ versehenen Kapitel âGlaubt der
moderne Mensch an Gott oder an den Chef der Weltfirma ?â von einer be-
zeichnenden âArbeitsteilungâ des GroĂschriftstellers zwischen âkaufmĂ€nnisch-
technischemâ und âreligiös-kĂŒnstlerischemâ Denken die Rede :
[E]r hatte BĂŒcher darĂŒber geschrieben. In diesen BĂŒchern hatte er es auch Mythos
genannt, RĂŒckkehr zur Einfachheit, Reich der Seele, die Vergeistigung der Wirtschaft,
das Wesen der Tat und dergleichen, denn es hatte viele Seiten ; genau genommen,
hatte es gerade ebensoviel Seiten, wie er an sich bemerkte, wenn er sich selbstlos mit
708 Bourdieu : Die Regeln der Kunst, S. 48.
709 Vgl. Schuh : Der GroĂschriftsteller, S. 162.
710 Vgl. dazu Musils bereits 1912 entworfenes Essayfragment Profil eines Programms : âAller seeli-
sche Wagemut liegt heute in den exakten Wissenschaften. / Nicht von Göthe, Hebbel, Hölder-
lin werden wir lernen, sondern von Mach, Lorentz, Einstein, Minkowski, von Couturat, Russel,
Peano âŠâ (GW 8, 1318, nach H 15/37)
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Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Title
- Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
- Subtitle
- Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Author
- Norbert Christian Wolf
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78740-2
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 1224
- Keywords
- Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
- Category
- Geisteswissenschaften
Table of contents
- Vorbemerkung 9
- Einleitung 11
- TEIL I : GRUNDLEGUNG
- TEIL II : ROMANTEXT ALS KRĂFTEFELD
- 1. âVersuchsstation des Weltuntergangsâ : Chronotopos und sozialer Raum 261
- 2. âZeitfigurenâ 1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
- Erben und Enterbte 344
- Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) â Der Dilettant Walter 347
- Mann mit Eigenschaften 378
- Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
- Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
- Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
- Aufsteiger und Gebremste 482
- Realpolitik als âAntiessayismusâ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) â Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und âJudeâ 501
- Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
- Terroristen und Propheten 548
- Forcierte âEigenschaftlichkeitâ : Der Antisemit Hans Sepp 558
- eingast, Faschist und Schwerenöter 584
- Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist SchmeiĂer 601
- Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem âGeiste des Expressionismusâ 613
- Gefallene Geliebte 643
- Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
- Petrifizierte âEigenschaftlichkeitâ, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
- Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
- Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
- Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
- Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
- Angepasste und Dissidentinnen 708
- Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
- Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
- 3. âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ : Konstellationen und Interaktionen 768
- Ehen in der Krise 781
- Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die âTrĂ€ger des Zeit- wandelsâ Walter und Clarisse 788
- Von der physiologischen âZwangsherrschaftâ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
- Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
- Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
- Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der âschönen Seeleâ : Ulrich und Bonadea 825
- Coitus interruptus als âLustselbstmordâ : Ulrich und Gerda 844
- Liebesversuche jenseits der Ehe 885
- Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
- Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
- Liebe Ă la hausse, platonische âBegegnung zweier Berggipfelâ : Diotima und Arnheim 908
- Die âletzte Liebesgeschichteâ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
- 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
- Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
- Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, PreuĂen gegen Ăsterreich 1005
- Der Intellektuelle und der GroĂschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
- Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
- Entgegengesetzte âExponenten des Zeitgeistesâ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
- BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
- BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und SchmeiĂer 1086
- TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
- Literaturverzeichnis 1169
- Musil-Texte 1169
- Andere Quellen 1169
- Nachschlagewerke 1176
- Allgemeine Forschungsliteratur 1176
- SekundÀrliteratur zu Musil 1193
- Register 1208