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Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
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Teil III: Erzeugungsformel des Werks und Selbstobjektivierung des Autors1120 den Menschen sowohl in GĂŒte wie auch mit starker Hand verfahren muß, man muß sie also lieben und kujonieren, damit es zu etwas Rechtem kommt“ (MoE 1154).66 Auch Ulrich, dem die Maxime von der ‚natĂŒrlichen GĂŒte‘ des Men- schen wie eine „Karrikatur [sic] der Liebe“ vorkommt, hat starke „Bedenken gegen ‚Der Mensch ist gut‘“ (M II/8/137). Insofern entspricht er jener Reihe von Relativierungen, die Musil zu dieser Maxime notiert : „Der Mensch ist gut. 1) Wenn er Geld hat : Tuzzi. 2) Wenn man [den] anderen Zustand mißversteht. 3) Wenn man die Notwendigkeit der Richtbilder mißversteht.“ (M II/8/103 ; vgl. M II/1/169) Zum praktischen Umgang mit dieser Voraussetzungslage be- dĂŒrfe es hier verschiedener „Anwendungen der sozialen Affekt-Psychologie.“ (M II/1/169) „Im ganzen“ zeige sich darin das „Problem der Teilnahme“, denn : „[N]icht der Mensch ist gut, sondern der andere Zustand.“ Den emphatischen Pazifisten hĂ€lt er deshalb entgegen : „Es ist lĂ€cherlich, die Menschen anzurufen.“ (M II/3/160) EinschlĂ€gig ist in diesem Zusammenhang Ulrichs frĂŒhere Aussage in einem GesprĂ€ch mit Bonadea, wonach Moosbrugger nichts „fĂŒr seine Feh- ler“ könne, „wenn man sie mit seinen eigenen Augen betrachtet“, woraus folge : „Der Mensch ist nicht gut, sondern er ist immer gut ; das ist ein gewaltiger Un- terschied, verstehst du ? Man lĂ€chelt ĂŒber diese Sophistik der Eigenliebe, aber man sollte aus ihr die Folgerung ableiten, daß der Mensch ĂŒberhaupt nichts Böses tun kann ; er kann nur bös wirken. Mit dieser Erkenntnis wĂ€ren wir am rechten Ausgangspunkt einer sozialen Moral.“ (MoE 262) Wie Musil hier am Beispiel eines GesprĂ€chs ĂŒber seine Frauenmörderfigur vorfĂŒhrt, macht eine Subjektivierung der Perspektive auch die Problematik der These vom ‚guten Menschen‘ sichtbar, den blinden Fleck, der ihr stets anhaftet, weil niemand seine Selbstwahrnehmung von außen beobachten kann. Die nachgelassenen Skizzen zeigen, dass Musil zwischenzeitlich sogar eine eigene „Der Mensch ist gut-Sitzung“ geplant hatte (Blaue Mappe/120 ; vgl. M II/8/74). Genaueres zum geplanten Sitzungskapitel geht aus einem Schmier- blatt hervor : Gegensatz zu der Mensch ist gut : Der Mensch muß geknechtet werden. Oder : Die ‚eine Strömung‘ sagt : Der Mensch braucht mehr Liebe. ‚Die‘ andere ‚Strömung sagt :‘ Tat, Kraft. / Genau genommen : auch die andere Strömung will natĂŒrlich den Men- schen lieben. Aber dazu muß er vorher erst gewaltsam umgebildet werden. / LĂ€ĂŸt sich das vereinen ? Ja. [
] Auch eine mögliche Fragestellung : Was soll zuerst sein : Geist oder Tat ? (Ei oder Henne [
] usw). (M II/9/63) 66 Entsprechend die Randbemerkung Musils zu den Überlegungen im Nachlass : „Er ist schon gut, aber nur wenn man ihn kujoniert.“ (M II/8/101 ; vgl. M II/9/56)
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Kakanien als Gesellschaftskonstruktion Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
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Title
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Subtitle
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
Author
Norbert Christian Wolf
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2011
Language
German
License
CC BY-NC-ND 3.0
ISBN
978-3-205-78740-2
Size
15.5 x 23.0 cm
Pages
1224
Keywords
Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
Category
Geisteswissenschaften

Table of contents

  1. Vorbemerkung 9
  2. Einleitung 11
    1. 1. Vom Scheitern eines Großkritikers : Aporien der Literaturkritik 11
    2. 2. Die MĂŒhen der Literaturwissenschaft : Aporien der Forschung 20
  3. TEIL I : GRUNDLEGUNG
    1. 1. Grundlagen der Untersuchung 43
      1. 1.1 Vorstellung der Methode : Bourdieus Sozioanalyse literarischer Texte 43
      2. 1.2 Methodologische EinwÀnde : Kritik der Sozioanalyse 58
    2. 2. Grundlagen der Poetik Musils 64
      1. 2.1 Der Mensch ohne Eigenschaften : ‚Gestaltlosigkeit‘ als ‚negative‘ Anthropologie 64
      2. 2.2 ‚Gestaltlosigkeit‘ und Romantext als Gesellschaftskonstruktion 80
    3. Gesellschaft im Roman 82
    4. Roman als Konstruktion 101
    5. Da capo : Angemessenheit und Vorgehensweise der Sozioanalyse 124
      1. 2.3 Medienkonkurrenz : Essayistisches vs. filmisches ErzÀhlen (Musil kontra Balåzs) 129
    6. 3. Grundbegriffe des Romankonzepts 165
      1. 3.1 Eigenschaftslosigkeit 165
      2. 3.2 Möglichkeitssinn und Essayismus 199
  4. TEIL II : ROMANTEXT ALS KRÄFTEFELD
    1. 1. „Versuchsstation des Weltuntergangs“ : Chronotopos und sozialer Raum 261
      1. 1.1 SelbstreferenzialitĂ€t und Außenreferenz : Das Eingangskapitel 261
      2. 1.2 Ein Land ohne Eigenschaften – Kakanien als Modell 282
      3. 1.3 Das Feld der Macht im Mann ohne Eigenschaften 300
    2. 2. „Zeitfiguren“ 1913/1930 „am gesellschaftlichen Schachbrett“ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
      1. 2.1 MĂ€nner 334
    3. Erben und Enterbte 344
    4. Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) – Der Dilettant Walter 347
    5. Mann mit Eigenschaften 378
    6. Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
    7. Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
    8. Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
    9. Aufsteiger und Gebremste 482
    10. Realpolitik als ‚Antiessayismus‘ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) – Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und ‚Jude‘ 501
    11. Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
    12. Terroristen und Propheten 548
    13. Forcierte ‚Eigenschaftlichkeit‘ : Der Antisemit Hans Sepp 558
    14. eingast, Faschist und Schwerenöter 584
    15. Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist Schmeißer 601
    16. Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem „Geiste des Expressionismus“ 613
      1. 2.2 Frauen 635
    17. Gefallene Geliebte 643
    18. Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
    19. Petrifizierte ‚Eigenschaftlichkeit‘, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
    20. Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
    21. Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
    22. Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
    23. Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
    24. Angepasste und Dissidentinnen 708
    25. Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
    26. Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
    27. 3. „Die falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaft“ : Konstellationen und Interaktionen 768
      1. 3.1 Gemischtgeschlechtliche Konstellationen : MĂ€nner und Frauen im 20. Jahrhundert 771
    28. Ehen in der Krise 781
    29. Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die „TrĂ€ger des Zeit- wandels“ Walter und Clarisse 788
    30. Von der physiologischen „Zwangsherrschaft“ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
    31. Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
    32. Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
    33. Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der ‚schönen Seele‘ : Ulrich und Bonadea 825
    34. Coitus interruptus als „Lustselbstmord“ : Ulrich und Gerda 844
    35. Liebesversuche jenseits der Ehe 885
    36. Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
    37. Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
    38. Liebe à la hausse, platonische „Begegnung zweier Berggipfel“ : Diotima und Arnheim 908
    39. Die „letzte Liebesgeschichte“ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
    40. 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
    41. Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
    42. Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, Preußen gegen Österreich 1005
    43. Der Intellektuelle und der Großschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
    44. Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
    45. Entgegengesetzte „Exponenten des Zeitgeistes“ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
    46. BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
  5. BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und Schmeißer 1086
  6. TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
    1. 1. Der Mann ohne Eigenschaften im zeitgenössischen literarischen Feld 1099
      1. 1.1 ‚Negative‘ Anthropologie als literaturpolitischer Einsatz 1101
      2. 1.2 Poetik des Essayismus – Musils vielfacher Bruch 1130
    2. 2. Autor und Romanheld in der Moderne – Musils indirekte Selbstanalyse 1152
  7. Literaturverzeichnis 1169
  8. Musil-Texte 1169
  9. Andere Quellen 1169
  10. Nachschlagewerke 1176
  11. Allgemeine Forschungsliteratur 1176
  12. SekundÀrliteratur zu Musil 1193
  13. Register 1208
    1. 1. Personen 1208
    2. 2. Literarische Figuren 1214
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