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42 Von der Epoche des josephinischen Reformabsolutismus
Hause wohnende Dienstboten und Dienstbotinnen : Kutscher, Köchinnen, Kinder-
mädchen, Lehrer. Das Judenamt überprüfte und protokollierte die Angaben und
reklamierte gegebenenfalls einzelne Personen aus den Listen heraus, wie im Fall des
Wiener Tolerierten Elias Drach, der seine Toleranz im Jahre 1783 ursprünglich auf
eine Großhandelskonzession erhalten hatte, im Jahr 1800 allerdings nur mehr »als
Inhaber des Indignats auf das Frauenbad« (ein kultisches Amt) aufscheint, toleriert
auf jeweils zwei Jahre, gegen eine jährlich zu entrichtende Toleranzsteuer von 60
Gulden. Im Jahr 1799 beanstandete die Polizeioberdirektion, dass neben seiner Gat-
tin, seiner verwitweten Mutter, seinen fünf Kindern sowie einer Köchin und einer
Kindsmagd auch ein Individuum namens Karl Pressburger »ohne Bestimmung der
Diensteigenschaft« in der Liste geführt werde. Elias Drach replizierte, dass Karl
Pressburger schon bei seinem verstorbenen Herrn Vater in Dienst gestanden sei und
er nach dem Tode desselben den verwitweten Mann, dessen Kinder in Ungarn leb-
ten, zu sich genommen habe.131
Der 27-jährige Baumwollhändler Emanuel Engel, dessen verstorbener Vater Ma-
ximilian seit 1781 auf unbestimmte Zeit toleriert worden war, musste im Jahr 1803
die Anwesenheit seiner verwitweten siebzigjährigen Mutter, Mariana Engel, in sei-
nem Haushalt am Bauernmarkt rechtfertigen. Es seien zwar seit ihrer zuletzt erhal-
tenen Toleranz bereits drei Jahre verstrichen, doch habe sie auf die Ausfertigung des
ihr in Aussicht gestellten neuen Dekrets bereits vor geraumer Zeit ein Schutzgeld
bezahlt. Ihren Unterhalt bestreite sie aus dem geringen Nachlass ihres verstorbenen
Gatten sowie aus einem kleinen Papierhandel.132 Und der fünfzigjährige, aus Kittsee
stammende Großhändler Isac Figdor, der seit 1818 in Wien toleriert war, wandte
sich im Mai 1819 mit einer Petition an die niederösterreichische Landesregierung,
in welcher er um die »gnädige Bewilligung« bat, seinen ältesten Sohn samt Frau und
zwei kleinen Kindern in seiner Familienliste anführen zu dürfen. Er begründete sein
Ansuchen damit, dass er selbst viel reise, »um den Einkauf der Wolle zu besorgen«,
sodass er einen Gehilfen notwendig habe, auf den er sich verlassen und dem er sein
Geschäft anvertrauen könne. Nicht minder notwendig sei es, »seine Schwiegertoch-
ter hier behalten zu dürfen, da seine Frau wegen ihrer geschwächten Gesundheit und
Alter deren Hilfe nicht entbehren« könne. Isac Figdor hoffte, dieser Gnade nicht un-
würdig zu sein, da seine Familienliste sonst »ganz rein von fremden Subjecten« sei.133
Eine weitere Möglichkeit, in Wien einen zeitlichen, auf die Dauer des kultischen
Amtes begrenzten Aufenthalt zu erlangen, war der sogenannte »gemeinschaftliche
131 Archiv der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, K1, Elias Drach, 1787–1810, hier : 1799.
132 Ebenda, Maximilian Engel, 1787–1847, hier : 1803.
133 Ebenda, Isac Figdor, 1819–1847, hier : 1819. Im Jahr 1847 umfasste die Familienliste des k. k. priv.
Großhändlers Isac Figdor 22 Personen.
Heimatrecht und Staatsbürgerschaft österreichischer Juden
Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Heimatrecht und Staatsbürgerschaft österreichischer Juden
- Untertitel
- Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart
- Autor
- Hannelore Burger
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79495-0
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 292
- Schlagwörter
- Heimatrecht, Staatsbürgerschaft, Juden, Österreichische Juden, Judenemanzipation, Toleranz, Josephinische Reformen, Österreichische Monarchie, Ausgleich, Österreich-Ungarn, Erste Republik, Nationalsozialistische Judenverfolgung, Ausbürgerung
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Einführung 9
- Von der Epoche des josephinischen Reformabsolutismus bis zum Ende des Neoabsolutismus 15
- Die Frage der jüdischen Bürgerrechte in der Aufklärung 15
- Exkurs : Juden in den österreichischen Ländern vom Hochmittelalter bis in das Zeitalter der Emanzipation 19
- Die josephinische Zäsur 26
- Das böhmisch-mährische System der Familienstellen 29
- Das Toleranzpatent für die Juden Galiziens 34
- Anhaltende »Verschiedenheit des politischen Zustandes« 38
- Die Vertretung der Tolerierten 39
- Das Judenamt 40
- Die Hofkanzlei als Hüterin der Toleranz 45
- Taufen und Nobilitierungen 47
- Die Kodifizierung des Staatsbürgerschaftsrechts 51
- Die staatsbürgerliche Stellung der Juden im Vormärz
- und das Auftauchen der »Judenfrage« 53
- Die bürgerliche Revolution von 1848 und die veränderte staatsbürgerliche Stellung der Juden 59
- Juden als österreichische Reichsbürger 62
- Inklusion und Exklusion von Juden in der Zeit des Neoabsolutismus 64
- Das Heimatrecht der österreichischen Juden 70
- Die Sonderstellung der »türkischen« Juden 74
- Die Entwicklung von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft in der Epoche des Ausgleichs 77
- Der Anteil der Juden an den Einbürgerungen 77
- Die Vermehrung der jüdischen Bevölkerung in Cisleithanien 80
- Die rechtliche Gleichstellung der Juden durch das Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger im Dezember 1867 82
- Rückkehr in die »verbotene Stadt« 83
- Paradoxe Fremde 85
- Die dualistische Verschärfung 86
- Motive für den Erwerb von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft 88
- Heimatrecht und Staatsbürgerschaft jüdischer Frauen 90
- Heimatrecht und soziale Frage 91
- Der Fall Dr. Hugo Stark 92
- Der Fall Julia Singer 93
- Der Fall Lea Weitzmann 95
- »Schutzgenossen« und »Untertanen de facto« 96
- Zur Ambivalenz von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft 97
- Die Nationalitätenkonflikte der Verfassungszeit und die (sprach-)nationale Identität der Juden 100
- Kafkas Sprachen 100
- Die Bedeutung von Bildung im Judentum 103
- Sprache, Nationalität und Recht im Unterrichtswesen 105
- Jüdische Kinder in den Mühlen des Nationalitätenkampfes 109
- Der Anteil jüdischer Schüler am höheren Bildungswesen 112
- Sprachen, Nationalitäten, Identitäten 114
- Das mehrsprachige Unterrichtswesen in der Bukowina 115
- Der Verdacht gegen die Mehrsprachigkeit 116
- Die Ethnisierung der Nationalitätenkonflikte 117
- Die Wiederkehr der »Judenfrage« in der Epoche des Ausgleichs 119
- Juden im Ersten Weltkrieg 130
- Theorie und Praxis von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft in der Ersten Republik 132
- Die Aus- und Einbürgerungen des autoritären Ständestaates 141
- Verfolgung, Vertreibung, Ausbürgerung, Vernichtung während der NS-Herrschaft 146
- Die Implementierung der Nürnberger Gesetze in Österreich 146
- Signaturen der Vertreibung 152
- Die Ausbürgerung und der Befehl zur »Endlösung« 155
- Die Wiederherstellung der Staatsbürgerschaft in der Zweiten Republik 166
- Der Fall Raviv 172
- Staatenlosigkeit als Massenschicksal 187
- Der Fall Elias Canetti 188
- Der Fall Manès Sperber 200
- Semantische Nachbemerkungen 213
- Verzeichnis der Archive 222
- Literaturverzeichnis 223
- Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen 244
- Zeittafel 245
- Register 264
- Personen 264
- Orte 269
- Sachen 271