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Inklusion und Exklusion von Juden in der Zeit des Neoabsolutismus 69
schließlich den Ausschlag dafür, dass sich Ende Dezember 1859 die Ministerkonfe-
renz darauf einigte, Juden den Besitz von Grund und Realitäten in Niederösterreich,
Böhmen, Mähren und Schlesien, dem Küstenland und Dalmatien sowie in Ungarn
zu gestatten. In Galizien und der Bukowina sollte der Besitzerwerb vom Bildungs-
grad abhängig gemacht werden (trotz des Einwandes des Justizministers, dass eine
solche Einschränkung, Realeigentum zu erwerben, wohl noch nirgendwo, »weder
in Österreich noch anderwärts«, bestanden habe.)229 Der Finanzminister Bruck ver-
teidigte jedoch die Gesetzesvorlage, weil »die Unterscheidung nach der erworbenen
Bildung ein (An)sporn für die Jugend« sein werde, besitzfähig zu werden, allerdings
sollten auch jene Juden, die »im k. k. Militär gedient haben« bezüglich der Besitzfä-
higkeit »gleich den christlichen Untertanen« behandelt werden.230 In den übrigen
Kronländern Tirol, Salzburg, Oberösterreich, Kärnten, Krain und der Steiermark
sollten jedoch Beschränkungen hinsichtlich der Grundbesitzfähigkeit aufrecht blei-
ben. Nachdem Finanzminister Bruck den zögernden Kaiser zweimal in dieser Sache
bedrängt hatte231, unterschrieb Franz Joseph im März 1860 das neue Gesetz über die
Zulassung von Juden zum Realitäten- und Grundbesitzerwerb.232
Eine weitere wichtige, Juden inkludierende Regelung wurde schließlich im Jahr
1863 beraten und beschlossen : die Zulassung von Juden zum Notariat. Am 5. Okto-
ber 1863 berichtete Justizminister Ritter von Hein im Ministerrat, dass das Herren-
haus gegenwärtig über einen Gesetzesentwurf berate, wonach die in der Notariatord-
nung vom 21. Mai 1855 implizit enthaltene Ausschließung von Juden vom Notariat
(der entsprechende Paragraph lautete : »Zur Erlangung einer Notariatstelle wird er-
fordert, dass der Bewerber österreichischer Staatsbürger, 24 Jahre alt, der christlichen
Religion zugetan […] sei«) aufgehoben werden solle. Das Abgeordnetenhaus habe
dem Antrag (des Abgeordneten Dr. Mühlfeld) bereits zugestimmt. Der Vorsitzende,
Staatsratspräsident Erzherzog Rainer, versicherte, dass auch vom Regierungsstand-
punkte dem Antrag nicht entgegenzutreten sei, »weil eine Besorgnis, dass der jü-
dische Notar bei konfessionellen Akten mit Christen in eine schiefrige (sic !) Lage
geraten könnte, unbegründet sei.« Daraufhin einigte man sich im Ministerrat, dass
man dem Antrag des Herrenhauses nicht entgegentreten werde.233 Wenige Tage spä-
ter, am 14. Oktober 1863, erklärte sich die judizielle Kommission des Herrenhauses
mit der vom Abgeordnetenhaus angenommenen Änderung des Paragraphen 7 der
Notariatordnung vom 21. Mai 1855 einverstanden. In der darauffolgenden Debatte
229 Einleitung, S. LX.
230 MK v. 31. Dezember 1859/IV. Nr. 87, S. 348f.
231 MK v. 1.2.1860/III und MK v. 9.2.1860/V.
232 Einleitung, S. LX.
233 Ministerrat vom 5. Oktober 1863, ÖMProt. VI, Die Ministerien Erzherzog Rainer und Mensdorff,
bearbeitet von Thomas Kletečka/Klaus Koch (Wien 1989), Nr. 401.
Heimatrecht und Staatsbürgerschaft österreichischer Juden
Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Heimatrecht und Staatsbürgerschaft österreichischer Juden
- Untertitel
- Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart
- Autor
- Hannelore Burger
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79495-0
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 292
- Schlagwörter
- Heimatrecht, Staatsbürgerschaft, Juden, Österreichische Juden, Judenemanzipation, Toleranz, Josephinische Reformen, Österreichische Monarchie, Ausgleich, Österreich-Ungarn, Erste Republik, Nationalsozialistische Judenverfolgung, Ausbürgerung
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Einführung 9
- Von der Epoche des josephinischen Reformabsolutismus bis zum Ende des Neoabsolutismus 15
- Die Frage der jüdischen Bürgerrechte in der Aufklärung 15
- Exkurs : Juden in den österreichischen Ländern vom Hochmittelalter bis in das Zeitalter der Emanzipation 19
- Die josephinische Zäsur 26
- Das böhmisch-mährische System der Familienstellen 29
- Das Toleranzpatent für die Juden Galiziens 34
- Anhaltende »Verschiedenheit des politischen Zustandes« 38
- Die Vertretung der Tolerierten 39
- Das Judenamt 40
- Die Hofkanzlei als Hüterin der Toleranz 45
- Taufen und Nobilitierungen 47
- Die Kodifizierung des Staatsbürgerschaftsrechts 51
- Die staatsbürgerliche Stellung der Juden im Vormärz
- und das Auftauchen der »Judenfrage« 53
- Die bürgerliche Revolution von 1848 und die veränderte staatsbürgerliche Stellung der Juden 59
- Juden als österreichische Reichsbürger 62
- Inklusion und Exklusion von Juden in der Zeit des Neoabsolutismus 64
- Das Heimatrecht der österreichischen Juden 70
- Die Sonderstellung der »türkischen« Juden 74
- Die Entwicklung von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft in der Epoche des Ausgleichs 77
- Der Anteil der Juden an den Einbürgerungen 77
- Die Vermehrung der jüdischen Bevölkerung in Cisleithanien 80
- Die rechtliche Gleichstellung der Juden durch das Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger im Dezember 1867 82
- Rückkehr in die »verbotene Stadt« 83
- Paradoxe Fremde 85
- Die dualistische Verschärfung 86
- Motive für den Erwerb von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft 88
- Heimatrecht und Staatsbürgerschaft jüdischer Frauen 90
- Heimatrecht und soziale Frage 91
- Der Fall Dr. Hugo Stark 92
- Der Fall Julia Singer 93
- Der Fall Lea Weitzmann 95
- »Schutzgenossen« und »Untertanen de facto« 96
- Zur Ambivalenz von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft 97
- Die Nationalitätenkonflikte der Verfassungszeit und die (sprach-)nationale Identität der Juden 100
- Kafkas Sprachen 100
- Die Bedeutung von Bildung im Judentum 103
- Sprache, Nationalität und Recht im Unterrichtswesen 105
- Jüdische Kinder in den Mühlen des Nationalitätenkampfes 109
- Der Anteil jüdischer Schüler am höheren Bildungswesen 112
- Sprachen, Nationalitäten, Identitäten 114
- Das mehrsprachige Unterrichtswesen in der Bukowina 115
- Der Verdacht gegen die Mehrsprachigkeit 116
- Die Ethnisierung der Nationalitätenkonflikte 117
- Die Wiederkehr der »Judenfrage« in der Epoche des Ausgleichs 119
- Juden im Ersten Weltkrieg 130
- Theorie und Praxis von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft in der Ersten Republik 132
- Die Aus- und Einbürgerungen des autoritären Ständestaates 141
- Verfolgung, Vertreibung, Ausbürgerung, Vernichtung während der NS-Herrschaft 146
- Die Implementierung der Nürnberger Gesetze in Österreich 146
- Signaturen der Vertreibung 152
- Die Ausbürgerung und der Befehl zur »Endlösung« 155
- Die Wiederherstellung der Staatsbürgerschaft in der Zweiten Republik 166
- Der Fall Raviv 172
- Staatenlosigkeit als Massenschicksal 187
- Der Fall Elias Canetti 188
- Der Fall Manès Sperber 200
- Semantische Nachbemerkungen 213
- Verzeichnis der Archive 222
- Literaturverzeichnis 223
- Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen 244
- Zeittafel 245
- Register 264
- Personen 264
- Orte 269
- Sachen 271