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Der Anteil der Juden an den Einbürgerungen 79
Prozent (bei einem jüdischen Bevölkerungsanteil von nur 4,7 Prozent).263 Von die-
sen wiederum stammte die überwältigende Mehrheit, nämlich 4481 Personen, aus
Ungarn, gefolgt von Russland (271), Preußen (170), Rumänien (109).264
Was waren die Gründe für diesen – verglichen mit dem Ausland – hohen An-
teil an Juden an den Einbürgerungen ? Während etwa in Großbritannien in jenen
Jahren eine Immigrationsdebatte geführt wurde, mit dem Ziel, die Einbürgerung
insbesondere russischer jüdischer Pogromflüchtlinge zu verhindern265, und es, wie
Eli Nathans gezeigt hat, auch in Preußen in den 1880er-Jahren nicht nur zur Aus-
weisung von etwa 10 000 polnischen und russischen Juden kam, sondern zugleich
zu einer restriktiven, ethnisch exklusiven Staatsbürgerschaftspolitik gegenüber Polen
im Allgemeinen und polnischen und russischen Juden im Besonderen266, sind dies
in Österreich gerade jene Jahre, in denen der jüdische Anteil an den Einbürgerungen
besonders hoch ist. Während die Immigration von Juden im Deutschen Kaiserreich
ab Mitte der 1880er-Jahre als »gefährlich und zu verhindern« angesehen wurde267,
ließ sich ein ähnlicher Trend in Österreich – obwohl auch hier, insbesondere mit
dem Erscheinen Georg Schönerers auf der politischen Bühne, ein rauer antisemi-
tischer Ton eingezogen war – nicht feststellen. Die zahlreichen, seit Ende der Acht-
zigerjahre von Abgeordneten aller Kronländer initiierten Interpellationen, die auf
ein Einwanderungsverbot für vornehmlich aus Russland kommende Juden zielten,
blieben im Abgeordnetenhaus des österreichischen Reichsrats erfolglos. Alle diesbe-
züglichen Anträge wurden abgewiesen.268
263 Thon, Juden in Österreich, S. 53.
264 Thon, Juden in Österreich, S. 53. Erst nach der Jahrhundertwende wurde der jüdische Anteil an
den Einbürgerungen geringer : 1909 ergingen von 1935 Aufnahmezertifikaten (samt Familienan-
gehörigen 5952 Personen) 17,8 Prozent an jüdische Bewerber. Österreichisches Statistisches Hand-
buch für die im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder, 29 Jg. (1910), Tabelle 11, S. 34.
265 1905 trat dann der restriktive »Aliens Act« in Kraft. Vgl. Gammerl, Untertanen, S. 228.
266 Nur innerhalb eines schmalen Zeitfensters Anfang der 1870er-Jahre waren in Preußen fremde
Juden in nennenswerter Zahl eingebürgert worden. Vgl. Eli Nathans : The Politics of Citizenship in
Germany. Ethnicity, Utility and Nationalism (Oxford/New York 2004), S.
111 und Tab. 4.3, S.
99.
Zu den ethnischen Ausschließungen nach dem Staatsangehörigkeitsgesetz von 1913 vgl. Caitlin
E. Murdock : The Politics of Belonging : Citizenship, Community, and Territory on the Saxon-
Bohemian Frontier, 1918–1924, in : Austrian History Yearbook 43 (2012) S. 59–74.
267 Nathans, Politics of Citizenship, S. 123.
268 Etwa 1891 vom Abgeordneten Hauck und Genossen, 1897,1900 und 1901 vom Abgeordneten
Schönerer und 1901 vom Abgeordneten Prochazka. Vgl. Gammerl, Untertanen, S. 81f. und Fuß-
note 28.
Heimatrecht und Staatsbürgerschaft österreichischer Juden
Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Heimatrecht und Staatsbürgerschaft österreichischer Juden
- Untertitel
- Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart
- Autor
- Hannelore Burger
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79495-0
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 292
- Schlagwörter
- Heimatrecht, Staatsbürgerschaft, Juden, Österreichische Juden, Judenemanzipation, Toleranz, Josephinische Reformen, Österreichische Monarchie, Ausgleich, Österreich-Ungarn, Erste Republik, Nationalsozialistische Judenverfolgung, Ausbürgerung
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Einführung 9
- Von der Epoche des josephinischen Reformabsolutismus bis zum Ende des Neoabsolutismus 15
- Die Frage der jüdischen Bürgerrechte in der Aufklärung 15
- Exkurs : Juden in den österreichischen Ländern vom Hochmittelalter bis in das Zeitalter der Emanzipation 19
- Die josephinische Zäsur 26
- Das böhmisch-mährische System der Familienstellen 29
- Das Toleranzpatent für die Juden Galiziens 34
- Anhaltende »Verschiedenheit des politischen Zustandes« 38
- Die Vertretung der Tolerierten 39
- Das Judenamt 40
- Die Hofkanzlei als Hüterin der Toleranz 45
- Taufen und Nobilitierungen 47
- Die Kodifizierung des Staatsbürgerschaftsrechts 51
- Die staatsbürgerliche Stellung der Juden im Vormärz
- und das Auftauchen der »Judenfrage« 53
- Die bürgerliche Revolution von 1848 und die veränderte staatsbürgerliche Stellung der Juden 59
- Juden als österreichische Reichsbürger 62
- Inklusion und Exklusion von Juden in der Zeit des Neoabsolutismus 64
- Das Heimatrecht der österreichischen Juden 70
- Die Sonderstellung der »türkischen« Juden 74
- Die Entwicklung von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft in der Epoche des Ausgleichs 77
- Der Anteil der Juden an den Einbürgerungen 77
- Die Vermehrung der jüdischen Bevölkerung in Cisleithanien 80
- Die rechtliche Gleichstellung der Juden durch das Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger im Dezember 1867 82
- Rückkehr in die »verbotene Stadt« 83
- Paradoxe Fremde 85
- Die dualistische Verschärfung 86
- Motive für den Erwerb von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft 88
- Heimatrecht und Staatsbürgerschaft jüdischer Frauen 90
- Heimatrecht und soziale Frage 91
- Der Fall Dr. Hugo Stark 92
- Der Fall Julia Singer 93
- Der Fall Lea Weitzmann 95
- »Schutzgenossen« und »Untertanen de facto« 96
- Zur Ambivalenz von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft 97
- Die Nationalitätenkonflikte der Verfassungszeit und die (sprach-)nationale Identität der Juden 100
- Kafkas Sprachen 100
- Die Bedeutung von Bildung im Judentum 103
- Sprache, Nationalität und Recht im Unterrichtswesen 105
- Jüdische Kinder in den Mühlen des Nationalitätenkampfes 109
- Der Anteil jüdischer Schüler am höheren Bildungswesen 112
- Sprachen, Nationalitäten, Identitäten 114
- Das mehrsprachige Unterrichtswesen in der Bukowina 115
- Der Verdacht gegen die Mehrsprachigkeit 116
- Die Ethnisierung der Nationalitätenkonflikte 117
- Die Wiederkehr der »Judenfrage« in der Epoche des Ausgleichs 119
- Juden im Ersten Weltkrieg 130
- Theorie und Praxis von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft in der Ersten Republik 132
- Die Aus- und Einbürgerungen des autoritären Ständestaates 141
- Verfolgung, Vertreibung, Ausbürgerung, Vernichtung während der NS-Herrschaft 146
- Die Implementierung der Nürnberger Gesetze in Österreich 146
- Signaturen der Vertreibung 152
- Die Ausbürgerung und der Befehl zur »Endlösung« 155
- Die Wiederherstellung der Staatsbürgerschaft in der Zweiten Republik 166
- Der Fall Raviv 172
- Staatenlosigkeit als Massenschicksal 187
- Der Fall Elias Canetti 188
- Der Fall Manès Sperber 200
- Semantische Nachbemerkungen 213
- Verzeichnis der Archive 222
- Literaturverzeichnis 223
- Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen 244
- Zeittafel 245
- Register 264
- Personen 264
- Orte 269
- Sachen 271