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142 Die Aus- und Einbürgerungen des autoritären Ständestaates
und zur Aufrechterhaltung der Wirtschaft zusammenzuschließen«, die Wiener Uni-
versität »der Schauplatz von kulturwidrigen Vorgängen, von wüsten Hetzen und von
brutalen Gewaltanwendungen gegen jüdische Studierende« sei.507 Ein Jahr später,
im Oktober 1932, intervenierte das Präsidium der Kultusgemeinde, Dr. Alois Pick,
Dr. Josef Löwenherz und Dr. Jakob Ornstein, durch persönliche Vorsprache bei Un-
terrichtsminister Dr. Anton Rintelen gegen die täglich an den Wiener Hochschulen
begangenen Gewaltakte »hakenkreuzlerischer Massen gegen einzelne, wehrlose jüdi-
sche Studenten«. Der Minister missbilligte die »höchst bedauerlichen Vorfälle« und
betonte, »dass er mit dem Rektor der Universität eingehend die nötigen Sicherheits-
maßnahmen« besprochen habe.508
Nach der Machtergreifung Hitlers im Deutschen Reich kam es im März 1933 in
Österreich zur Auflösung des Parlaments und zur Bildung eines autoritären Regi-
mes faschistischer Prägung unter Engelbert Dollfuß. Dieses richtete sich zunächst
gegen die nationalsozialistische Bedrohung von außen wie innen – nicht gegen Ju-
den. Die Verfassung vom 1. Mai 1934, die allerdings weder demokratisch legiti-
miert war, noch überhaupt jemals vollständig in Kraft trat509, versprach durchaus
die Gleichberechtigung der Konfessionen, und die Vertreter der israelitischen Kul-
tusgemeinde fanden dann auch in den korporatistischen Ständerepräsentationen
ihren Platz.510 Jüdische Einrichtungen blieben unangetastet, auch die »Vaterländi-
sche Front« erlaubte Juden grundsätzlich den Beitritt. Doch die Zerschlagung der
österreichischen Linken nach dem Februaraufstand 1934, das Verbot der Heimwehr
und der sozialdemokratischen Partei, traf (da die sozialdemokratische Partei wegen
des in allen anderen Parteien herrschenden Antisemitismus für Juden praktisch zur
einzigen politischen Heimat geworden war) besonders viele Juden. Viele jüdische
Sozialdemokraten und Kommunisten verloren ihren Arbeitsplatz und/oder wurden
des Landes verwiesen. Doch es handelte sich um politische Ausschließungen, nicht
um rassisch begründete. Im Gegenteil wurden gar nicht wenige der über 2000 jüdi-
schen Flüchtlinge, die nach der Machtergreifung Hitlers in Deutschland nach Öster-
reich geströmt waren – darunter zahlreiche Prominente jüdischer Abstammung wie
Max Reinhardt, Bruno Walter, Franz Mehring, Alfred Polgar, Hermynia zur Mühlen
oder Oskar Maria Graf
– später durch die Regierung Schuschnigg eingebürgert oder
507 Bericht des Präsidiums und des Vorstandes der Israelitischen Kultusgemeinde Wien über die Tätig-
keit in den Jahren 1933–1936 (Wien 1936), S. 12.
508 Ebenda, S. 13.
509 Helmut Wohnout : Die Verfassung 1934 im Widerstreit der unterschiedlichen Kräfte im Regie-
rungslager, in : Ilse Reiter-Zatloukal et al. (Hg.) : Österreich 1933–1938. Interdisziplinäre Annähe-
rungen an das Dollfuß-/Schuschnigg-Regime (Wien/Köln/Weimar 2012), S. 17–30, hier : S. 30.
510 Vgl. Sylvia Maderegger : Die Juden im österreichischen Ständestaat 1934–1938. Veröffentlichun-
gen des Historischen Instituts der Universität Salzburg (Wien 1973).
Heimatrecht und Staatsbürgerschaft österreichischer Juden
Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Heimatrecht und Staatsbürgerschaft österreichischer Juden
- Untertitel
- Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart
- Autor
- Hannelore Burger
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79495-0
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 292
- Schlagwörter
- Heimatrecht, Staatsbürgerschaft, Juden, Österreichische Juden, Judenemanzipation, Toleranz, Josephinische Reformen, Österreichische Monarchie, Ausgleich, Österreich-Ungarn, Erste Republik, Nationalsozialistische Judenverfolgung, Ausbürgerung
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Einführung 9
- Von der Epoche des josephinischen Reformabsolutismus bis zum Ende des Neoabsolutismus 15
- Die Frage der jüdischen Bürgerrechte in der Aufklärung 15
- Exkurs : Juden in den österreichischen Ländern vom Hochmittelalter bis in das Zeitalter der Emanzipation 19
- Die josephinische Zäsur 26
- Das böhmisch-mährische System der Familienstellen 29
- Das Toleranzpatent für die Juden Galiziens 34
- Anhaltende »Verschiedenheit des politischen Zustandes« 38
- Die Vertretung der Tolerierten 39
- Das Judenamt 40
- Die Hofkanzlei als Hüterin der Toleranz 45
- Taufen und Nobilitierungen 47
- Die Kodifizierung des Staatsbürgerschaftsrechts 51
- Die staatsbürgerliche Stellung der Juden im Vormärz
- und das Auftauchen der »Judenfrage« 53
- Die bürgerliche Revolution von 1848 und die veränderte staatsbürgerliche Stellung der Juden 59
- Juden als österreichische Reichsbürger 62
- Inklusion und Exklusion von Juden in der Zeit des Neoabsolutismus 64
- Das Heimatrecht der österreichischen Juden 70
- Die Sonderstellung der »türkischen« Juden 74
- Die Entwicklung von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft in der Epoche des Ausgleichs 77
- Der Anteil der Juden an den Einbürgerungen 77
- Die Vermehrung der jüdischen Bevölkerung in Cisleithanien 80
- Die rechtliche Gleichstellung der Juden durch das Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger im Dezember 1867 82
- Rückkehr in die »verbotene Stadt« 83
- Paradoxe Fremde 85
- Die dualistische Verschärfung 86
- Motive für den Erwerb von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft 88
- Heimatrecht und Staatsbürgerschaft jüdischer Frauen 90
- Heimatrecht und soziale Frage 91
- Der Fall Dr. Hugo Stark 92
- Der Fall Julia Singer 93
- Der Fall Lea Weitzmann 95
- »Schutzgenossen« und »Untertanen de facto« 96
- Zur Ambivalenz von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft 97
- Die Nationalitätenkonflikte der Verfassungszeit und die (sprach-)nationale Identität der Juden 100
- Kafkas Sprachen 100
- Die Bedeutung von Bildung im Judentum 103
- Sprache, Nationalität und Recht im Unterrichtswesen 105
- Jüdische Kinder in den Mühlen des Nationalitätenkampfes 109
- Der Anteil jüdischer Schüler am höheren Bildungswesen 112
- Sprachen, Nationalitäten, Identitäten 114
- Das mehrsprachige Unterrichtswesen in der Bukowina 115
- Der Verdacht gegen die Mehrsprachigkeit 116
- Die Ethnisierung der Nationalitätenkonflikte 117
- Die Wiederkehr der »Judenfrage« in der Epoche des Ausgleichs 119
- Juden im Ersten Weltkrieg 130
- Theorie und Praxis von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft in der Ersten Republik 132
- Die Aus- und Einbürgerungen des autoritären Ständestaates 141
- Verfolgung, Vertreibung, Ausbürgerung, Vernichtung während der NS-Herrschaft 146
- Die Implementierung der Nürnberger Gesetze in Österreich 146
- Signaturen der Vertreibung 152
- Die Ausbürgerung und der Befehl zur »Endlösung« 155
- Die Wiederherstellung der Staatsbürgerschaft in der Zweiten Republik 166
- Der Fall Raviv 172
- Staatenlosigkeit als Massenschicksal 187
- Der Fall Elias Canetti 188
- Der Fall Manès Sperber 200
- Semantische Nachbemerkungen 213
- Verzeichnis der Archive 222
- Literaturverzeichnis 223
- Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen 244
- Zeittafel 245
- Register 264
- Personen 264
- Orte 269
- Sachen 271