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148 Verfolgung, Vertreibung, Ausbürgerung, Vernichtung während der NS-Herrschaft
zipation aufgehoben worden.527 Ähnlich verhielt es sich mit der am 31. Mai 1938 er-
lassenen »Verordnung zur Neuordnung des österreichischen Berufsbeamtentums«.528
Strukturell entsprach sie einem im Deutschen Reich bereits zweieinhalb Jahre vor
den Nürnberger Gesetzen, am 7. April 1933, erlassenen »Gesetz zur Wiederherstel-
lung des Berufsbeamtentums« und sah die Entlassung aller jüdischen Beamten aus
dem Staatsdienst vor. De facto war dies bereits unmittelbar nach dem »Anschluss« ge-
schehen. Tausende Beamte, die nicht auf Hitler vereidigt werden konnten oder woll-
ten, waren sofort aus dem Staatsdienst entlassen, jüdische Richter und Staatsanwälte
schon am 15. März ihres Amtes enthoben worden.529 Mit diesem Gesetz war das seit
dem 13. bis Mitte des 19. Jahrhunderts in Österreich bestehende Ämterverbot für
Juden wiederhergestellt worden530 – ein weiterer wichtiger Baustein der Judeneman-
zipation war gefallen. Auch die seit dem Hochmittelalter und (teilweise) in der frü-
hen Neuzeit für Juden geltende Kennzeichnungspflicht (der gehörnte Judenhut, der
»gelbe Flecken« oder die gelben Bänder), die durch das Toleranzedikt Joseph
II. 1782
ausdrücklich aufgehoben worden war, wurde unter nationalsozialistischer Herrschaft
wieder eingeführt. Am 23. Juli 1938 wurde eine besondere Kennkarte für Juden ein-
geführt, ab 17. August die Führung der »jüdischen Vornamen« Sara bzw. Israel, zu-
sätzlich zum Vornamen, zur Pflicht gemacht, ab Anfang Oktober ein rotes »J« in die
Reisepässe von Juden gestempelt.531 Vollendet wurde die Brandmarkung der Juden
527 Restriktive Bestimmungen hinsichtlich der Frage, ob und wie viele christliche Dienstboten in
einem jüdischen Haushalt beschäftigt werden durften, fanden sich über Jahrhunderte in zahlrei-
chen Judenordnungen. In Österreich waren sie zuerst 1267 durch das Provinzialkonzil von St. Ste-
phan formuliert worden. Und noch in der Judenordnung Maria Theresias von 1764 hatte sich die
Bestimmung gefunden, dass Juden außer einem Kutscher keine christlichen Bedienten im Haus
halten durften. Mit dem Toleranzpatent ihres Sohnes Joseph II. von 1782 wurde ihnen dann »für-
hin gestattet, so viel jüdische oder auch christliche Dienstleute zu halten als ihre Geschäfte fordern«.
1817 jedoch wurde das Verbot, christliche Ammen und Dienstboten in jüdischen Häusern zu hal-
ten, erneuert. Endgültig aufgehoben wurde es am 29. Oktober 1859 durch die liberale Regierung
Rechberg.
528 GBlÖ 1938/160.
529 Vgl. Rosenkranz, Entrechtung, S. 373.
530 Bereits 1237 fand es sich im Wiener Stadtrecht. Auf ausdrücklichen Wunsch der Bürgerschaft hatte
Kaiser Friedrich II. »getreu den Pflichten eines christlichen Fürsten« Juden von allen öffentlichen
Ämtern ausgeschlossen mit der Begründung, dass »sie nicht die Amtsgewalt zur Bedrückung der
Christen missbrauchen«. Ähnliche Bestimmungen fanden sich im Privilegium für die Wiener Neu-
städter Juden von 1239 und im Freiheitsbrief für die Juden Wiens von 1244 wieder. 1792 forderten
die Wiener Tolerierten erstmals in einer Bittschrift an die Niederösterreichische Landesregierung
die Zulassung zu öffentlichen Ämtern. Gewährt wurde sie ihnen (zumindest theoretisch) durch das
Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger vom 21. Dezember 1867, wonach
der Eintritt in ein öffentliches Amt nur mehr von der Erwerbung der österreichischen Staatsbür-
gerschaft abhängig gemacht wurde.
531 Vgl. Wolfgang Benz : Der Holocaust (München 1999), S. 24.
Heimatrecht und Staatsbürgerschaft österreichischer Juden
Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Heimatrecht und Staatsbürgerschaft österreichischer Juden
- Untertitel
- Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart
- Autor
- Hannelore Burger
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79495-0
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 292
- Schlagwörter
- Heimatrecht, Staatsbürgerschaft, Juden, Österreichische Juden, Judenemanzipation, Toleranz, Josephinische Reformen, Österreichische Monarchie, Ausgleich, Österreich-Ungarn, Erste Republik, Nationalsozialistische Judenverfolgung, Ausbürgerung
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Einführung 9
- Von der Epoche des josephinischen Reformabsolutismus bis zum Ende des Neoabsolutismus 15
- Die Frage der jüdischen Bürgerrechte in der Aufklärung 15
- Exkurs : Juden in den österreichischen Ländern vom Hochmittelalter bis in das Zeitalter der Emanzipation 19
- Die josephinische Zäsur 26
- Das böhmisch-mährische System der Familienstellen 29
- Das Toleranzpatent für die Juden Galiziens 34
- Anhaltende »Verschiedenheit des politischen Zustandes« 38
- Die Vertretung der Tolerierten 39
- Das Judenamt 40
- Die Hofkanzlei als Hüterin der Toleranz 45
- Taufen und Nobilitierungen 47
- Die Kodifizierung des Staatsbürgerschaftsrechts 51
- Die staatsbürgerliche Stellung der Juden im Vormärz
- und das Auftauchen der »Judenfrage« 53
- Die bürgerliche Revolution von 1848 und die veränderte staatsbürgerliche Stellung der Juden 59
- Juden als österreichische Reichsbürger 62
- Inklusion und Exklusion von Juden in der Zeit des Neoabsolutismus 64
- Das Heimatrecht der österreichischen Juden 70
- Die Sonderstellung der »türkischen« Juden 74
- Die Entwicklung von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft in der Epoche des Ausgleichs 77
- Der Anteil der Juden an den Einbürgerungen 77
- Die Vermehrung der jüdischen Bevölkerung in Cisleithanien 80
- Die rechtliche Gleichstellung der Juden durch das Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger im Dezember 1867 82
- Rückkehr in die »verbotene Stadt« 83
- Paradoxe Fremde 85
- Die dualistische Verschärfung 86
- Motive für den Erwerb von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft 88
- Heimatrecht und Staatsbürgerschaft jüdischer Frauen 90
- Heimatrecht und soziale Frage 91
- Der Fall Dr. Hugo Stark 92
- Der Fall Julia Singer 93
- Der Fall Lea Weitzmann 95
- »Schutzgenossen« und »Untertanen de facto« 96
- Zur Ambivalenz von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft 97
- Die Nationalitätenkonflikte der Verfassungszeit und die (sprach-)nationale Identität der Juden 100
- Kafkas Sprachen 100
- Die Bedeutung von Bildung im Judentum 103
- Sprache, Nationalität und Recht im Unterrichtswesen 105
- Jüdische Kinder in den Mühlen des Nationalitätenkampfes 109
- Der Anteil jüdischer Schüler am höheren Bildungswesen 112
- Sprachen, Nationalitäten, Identitäten 114
- Das mehrsprachige Unterrichtswesen in der Bukowina 115
- Der Verdacht gegen die Mehrsprachigkeit 116
- Die Ethnisierung der Nationalitätenkonflikte 117
- Die Wiederkehr der »Judenfrage« in der Epoche des Ausgleichs 119
- Juden im Ersten Weltkrieg 130
- Theorie und Praxis von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft in der Ersten Republik 132
- Die Aus- und Einbürgerungen des autoritären Ständestaates 141
- Verfolgung, Vertreibung, Ausbürgerung, Vernichtung während der NS-Herrschaft 146
- Die Implementierung der Nürnberger Gesetze in Österreich 146
- Signaturen der Vertreibung 152
- Die Ausbürgerung und der Befehl zur »Endlösung« 155
- Die Wiederherstellung der Staatsbürgerschaft in der Zweiten Republik 166
- Der Fall Raviv 172
- Staatenlosigkeit als Massenschicksal 187
- Der Fall Elias Canetti 188
- Der Fall Manès Sperber 200
- Semantische Nachbemerkungen 213
- Verzeichnis der Archive 222
- Literaturverzeichnis 223
- Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen 244
- Zeittafel 245
- Register 264
- Personen 264
- Orte 269
- Sachen 271