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Heimatrecht und Staatsbürgerschaft österreichischer Juden - Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart
Seite - 162 -
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Seite - 162 - in Heimatrecht und Staatsbürgerschaft österreichischer Juden - Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart

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162 Verfolgung, Vertreibung, Ausbürgerung, Vernichtung während der NS-Herrschaft mit dem Tode Bedrohte lebt und sich erinnert  –, Gefahr, in der man wäre, wenn die vielen mit dem Tode Bedrohten sich gegen einen zusammenschließen würden (…) dieses quälende, unversiegliche und unbegrenzte Gefühl von Gefahr bezeichne ich als Befehlsangst.« Sie sei am größten, sagt Canetti, bei »dem, der zuhöchst steht. An der Quelle des Befehls, in dem, der die Befehle aus sich heraus erteilt, der sie von niemand empfängt, der sie sozusagen selbst erzeugt, da ist die Konzentration von Befehlsangst die größte.«590 Wäre hier eine Begründung zu finden, warum Hitler am Ende alle Juden töten wollte, warum niemand überleben sollte, warum es keine Gnade  – nach Canetti der höchste und konzentrierteste Akt der Macht  – gab, auch nicht für die reichsdeutschen Juden, die eigenen Staatsbürger, deren Tod er  – nach Einsicht von Gerlach und anderen  – erst entschieden hat, als der Weltkrieg begann und die siegreiche Phase des Krieges im Osten zu Ende ging ? Was in den Analysen der Historiker, die sich in den letzten Jahren vor allem auf das Geschehen im Osten konzentrierten (auf die gigantischen Bevölkerungsverschie- bungen und -vertreibungen, auf die verbrecherischen Planungen in Zusammenhang mit dem »Generalplan Ost«591), zu kurz zu kommen scheint, ist der Prozess der geplanten und systematischen Entrechtung der Juden, der knapp nach Beginn der NS-Herrschaft einsetzte, jene durch einzelne Rechtsakte betriebene stete Verwand- lung, die auf Depersonalisierung zielte, solange, bis Juden nur mehr als »Ungeziefer« erschienen, das man straflos vernichten durfte.592 »Die Juden sind die Läuse der zi- vilisierten Menschheit. Man muss sie irgendwie ausrotten«, schrieb Joseph Goebbels am 2. November 1941 in sein Tagebuch.593 Bald darauf schritt man zur Tat. Dass die Juden »weg müssen«, darin war man sich jetzt einig, doch ob »bloß« die »Ost- juden« in den besetzten Gebieten, die man während des Kriegsgeschehens gefahrlos umbringen konnte, oder tatsächlich alle Juden, auch die eigenen Staatsbürger, alle, bis zum letzten Greis, bis zum letzten Kind, diese Frage scheint im Spätherbst 1941 noch offen gewesen zu sein594, ebenso die Frage, wer als Jude gelten sollte. Hitler hat bis zuletzt an der mit den Nürnberger Gesetzen getroffenen Definition festge- halten, ebenso an den dort beschlossenen Ausnahmeregelungen (für mit »arischen« 590 Canetti, Masse und Macht, Bd. 2, S.  36. 591 Dazu : Hannelore Burger : Der Generalplan Ost und die ›Bereinigung der Slowenenfrage‹, in : Va- lentin Oman/Karl Vouk (Hg.) : DenkMal : Deportration 1942–2012, Katalog (Celovec/Klagenfurt 2012), S.  13–20. 592 Vgl. Elias Canetti : Die Provinz des Menschen. Aufzeichnungen 1942–1972 (Frankfurt a. M. 1991), S.  81. 593 Zit. nach : : Aly, »Endlösung«, S.  374. 594 Noch sei das Konzept, sagt Timothy Snyder, nicht klar umrissen gewesen, die Maschinerie nicht installiert, aber bestimmte Umrisse von Hitlers letzter Version der Endlösung seien bereits sicht- bar gewesen. Timothy Snyder : Bloodlands. Europa zwischen Hitler und Stalin (München 2011), S.  220.
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Heimatrecht und Staatsbürgerschaft österreichischer Juden Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Titel
Heimatrecht und Staatsbürgerschaft österreichischer Juden
Untertitel
Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart
Autor
Hannelore Burger
Ort
Wien
Datum
2014
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC-ND 3.0
ISBN
978-3-205-79495-0
Abmessungen
15.5 x 23.5 cm
Seiten
292
Schlagwörter
Heimatrecht, Staatsbürgerschaft, Juden, Österreichische Juden, Judenemanzipation, Toleranz, Josephinische Reformen, Österreichische Monarchie, Ausgleich, Österreich-Ungarn, Erste Republik, Nationalsozialistische Judenverfolgung, Ausbürgerung
Kategorien
Geschichte Historische Aufzeichnungen

Inhaltsverzeichnis

  1. Einführung 9
  2. Von der Epoche des josephinischen Reformabsolutismus bis zum Ende des Neoabsolutismus 15
  3. Die Frage der jüdischen Bürgerrechte in der Aufklärung 15
  4. Exkurs : Juden in den österreichischen Ländern vom Hochmittelalter bis in das Zeitalter der Emanzipation 19
  5. Die josephinische Zäsur 26
  6. Das böhmisch-mährische System der Familienstellen 29
  7. Das Toleranzpatent für die Juden Galiziens 34
  8. Anhaltende »Verschiedenheit des politischen Zustandes« 38
  9. Die Vertretung der Tolerierten 39
  10. Das Judenamt 40
  11. Die Hofkanzlei als Hüterin der Toleranz 45
  12. Taufen und Nobilitierungen 47
  13. Die Kodifizierung des Staatsbürgerschaftsrechts 51
  14. Die staatsbürgerliche Stellung der Juden im Vormärz
  15. und das Auftauchen der »Judenfrage« 53
  16. Die bürgerliche Revolution von 1848 und die veränderte staatsbürgerliche Stellung der Juden 59
  17. Juden als österreichische Reichsbürger 62
  18. Inklusion und Exklusion von Juden in der Zeit des Neoabsolutismus 64
  19. Das Heimatrecht der österreichischen Juden 70
  20. Die Sonderstellung der »türkischen« Juden 74
  21. Die Entwicklung von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft in der Epoche des Ausgleichs 77
  22. Der Anteil der Juden an den Einbürgerungen 77
  23. Die Vermehrung der jüdischen Bevölkerung in Cisleithanien 80
  24. Die rechtliche Gleichstellung der Juden durch das Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger im Dezember 1867 82
  25. Rückkehr in die »verbotene Stadt« 83
  26. Paradoxe Fremde 85
  27. Die dualistische Verschärfung 86
  28. Motive für den Erwerb von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft 88
  29. Heimatrecht und Staatsbürgerschaft jüdischer Frauen 90
  30. Heimatrecht und soziale Frage 91
  31. Der Fall Dr. Hugo Stark 92
  32. Der Fall Julia Singer 93
  33. Der Fall Lea Weitzmann 95
  34. »Schutzgenossen« und »Untertanen de facto« 96
  35. Zur Ambivalenz von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft 97
  36. Die Nationalitätenkonflikte der Verfassungszeit und die (sprach-)nationale Identität der Juden 100
  37. Kafkas Sprachen 100
  38. Die Bedeutung von Bildung im Judentum 103
  39. Sprache, Nationalität und Recht im Unterrichtswesen 105
  40. Jüdische Kinder in den Mühlen des Nationalitätenkampfes 109
  41. Der Anteil jüdischer Schüler am höheren Bildungswesen 112
  42. Sprachen, Nationalitäten, Identitäten 114
  43. Das mehrsprachige Unterrichtswesen in der Bukowina 115
  44. Der Verdacht gegen die Mehrsprachigkeit 116
  45. Die Ethnisierung der Nationalitätenkonflikte 117
  46. Die Wiederkehr der »Judenfrage« in der Epoche des Ausgleichs 119
  47. Juden im Ersten Weltkrieg 130
  48. Theorie und Praxis von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft in der Ersten Republik 132
  49. Die Aus- und Einbürgerungen des autoritären Ständestaates 141
  50. Verfolgung, Vertreibung, Ausbürgerung, Vernichtung während der NS-Herrschaft 146
  51. Die Implementierung der Nürnberger Gesetze in Österreich 146
  52. Signaturen der Vertreibung 152
  53. Die Ausbürgerung und der Befehl zur »Endlösung« 155
  54. Die Wiederherstellung der Staatsbürgerschaft in der Zweiten Republik 166
  55. Der Fall Raviv 172
  56. Staatenlosigkeit als Massenschicksal 187
  57. Der Fall Elias Canetti 188
  58. Der Fall Manès Sperber 200
  59. Semantische Nachbemerkungen 213
  60. Verzeichnis der Archive 222
  61. Literaturverzeichnis 223
  62. Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen 244
  63. Zeittafel 245
  64. Register 264
  65. Personen 264
  66. Orte 269
  67. Sachen 271
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