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Die Ausbürgerung und der Befehl zur »Endlösung« 165
men der Nürnberger Gesetze vom 15. September 1935 (in Österreich kundgemacht
am 20. Mai 1938). Es folgten (wie oben ausgeführt) die Kenntlichmachung ihrer
Pässe mit einem J für Juden, das Diktat der Zusatznamen Sara und Israel, schließlich,
mit Erlass vom 15. September 1941, der Zwang, ein sie als Juden identifizierendes
Zeichen, den gelben Stern, tragen zu müssen – ein weiterer Schritt der Sichtbar-
machung und Absonderung. Der Prozess endete mit dem Entzug ihrer
– wenn auch
längst jeden materiellen Inhalts entkleideten – Staatsangehörigkeit im Zuge der De-
portation in die Ghettos und Konzentrationslager. Mit einer 13. Verordnung zum
Reichsbürgerschaftsgesetz am 1. Juli 1943 wurden Juden dann unter bloßes Poli-
zeirecht gestellt, d. h. es gab für sie keinerlei Rechtsinstanzen mehr. Damit war der
»bürgerliche Tod« der deutschen und österreichischen Juden herbeigeführt. Erst jetzt,
als sie ihres Personseins beraubt waren, ging man dazu über, sie systematisch zu er-
morden. Mit der Staatsbürgerschaft verliert, nach Hannah Arendt, der Mensch viel
mehr als einen bloßen Status, er verliert damit den Standort in der Welt, »durch den
allein er überhaupt Rechte haben kann.«604 Als jetzt Staatenlose waren Juden gleich-
sam vogelfrei. Ihre Unbezogenheit, ihre Weltlosigkeit wirkte, so Hannah Arendt, »wie
eine Aufforderung zum Mord, insofern der Tod von Menschen, die außerhalb al-
ler weltlichen Bezüge (…) stehen, ohne jede Konsequenzen für die Überlebenden
bleibt«.605 Die Elfte Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25. November 1941
war ein Mordinstrument, genauso wie die Gaskammern, die zu jenem Zeitpunkt
gerade in »Probebetrieb« gingen. Sie steht exakt am Wendepunkt von einer Politik
der Vertreibung zu einer Politik der Vernichtung der Juden. Sie steht im Horizont
der »Endlösung«
– und sie bereitet diese vor.
604 Hannah Arendt : Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft (München 1986), S. 461.
605 Ebenda, S. 470.
Heimatrecht und Staatsbürgerschaft österreichischer Juden
Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Heimatrecht und Staatsbürgerschaft österreichischer Juden
- Untertitel
- Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart
- Autor
- Hannelore Burger
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79495-0
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 292
- Schlagwörter
- Heimatrecht, Staatsbürgerschaft, Juden, Österreichische Juden, Judenemanzipation, Toleranz, Josephinische Reformen, Österreichische Monarchie, Ausgleich, Österreich-Ungarn, Erste Republik, Nationalsozialistische Judenverfolgung, Ausbürgerung
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Einführung 9
- Von der Epoche des josephinischen Reformabsolutismus bis zum Ende des Neoabsolutismus 15
- Die Frage der jüdischen Bürgerrechte in der Aufklärung 15
- Exkurs : Juden in den österreichischen Ländern vom Hochmittelalter bis in das Zeitalter der Emanzipation 19
- Die josephinische Zäsur 26
- Das böhmisch-mährische System der Familienstellen 29
- Das Toleranzpatent für die Juden Galiziens 34
- Anhaltende »Verschiedenheit des politischen Zustandes« 38
- Die Vertretung der Tolerierten 39
- Das Judenamt 40
- Die Hofkanzlei als Hüterin der Toleranz 45
- Taufen und Nobilitierungen 47
- Die Kodifizierung des Staatsbürgerschaftsrechts 51
- Die staatsbürgerliche Stellung der Juden im Vormärz
- und das Auftauchen der »Judenfrage« 53
- Die bürgerliche Revolution von 1848 und die veränderte staatsbürgerliche Stellung der Juden 59
- Juden als österreichische Reichsbürger 62
- Inklusion und Exklusion von Juden in der Zeit des Neoabsolutismus 64
- Das Heimatrecht der österreichischen Juden 70
- Die Sonderstellung der »türkischen« Juden 74
- Die Entwicklung von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft in der Epoche des Ausgleichs 77
- Der Anteil der Juden an den Einbürgerungen 77
- Die Vermehrung der jüdischen Bevölkerung in Cisleithanien 80
- Die rechtliche Gleichstellung der Juden durch das Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger im Dezember 1867 82
- Rückkehr in die »verbotene Stadt« 83
- Paradoxe Fremde 85
- Die dualistische Verschärfung 86
- Motive für den Erwerb von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft 88
- Heimatrecht und Staatsbürgerschaft jüdischer Frauen 90
- Heimatrecht und soziale Frage 91
- Der Fall Dr. Hugo Stark 92
- Der Fall Julia Singer 93
- Der Fall Lea Weitzmann 95
- »Schutzgenossen« und »Untertanen de facto« 96
- Zur Ambivalenz von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft 97
- Die Nationalitätenkonflikte der Verfassungszeit und die (sprach-)nationale Identität der Juden 100
- Kafkas Sprachen 100
- Die Bedeutung von Bildung im Judentum 103
- Sprache, Nationalität und Recht im Unterrichtswesen 105
- Jüdische Kinder in den Mühlen des Nationalitätenkampfes 109
- Der Anteil jüdischer Schüler am höheren Bildungswesen 112
- Sprachen, Nationalitäten, Identitäten 114
- Das mehrsprachige Unterrichtswesen in der Bukowina 115
- Der Verdacht gegen die Mehrsprachigkeit 116
- Die Ethnisierung der Nationalitätenkonflikte 117
- Die Wiederkehr der »Judenfrage« in der Epoche des Ausgleichs 119
- Juden im Ersten Weltkrieg 130
- Theorie und Praxis von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft in der Ersten Republik 132
- Die Aus- und Einbürgerungen des autoritären Ständestaates 141
- Verfolgung, Vertreibung, Ausbürgerung, Vernichtung während der NS-Herrschaft 146
- Die Implementierung der Nürnberger Gesetze in Österreich 146
- Signaturen der Vertreibung 152
- Die Ausbürgerung und der Befehl zur »Endlösung« 155
- Die Wiederherstellung der Staatsbürgerschaft in der Zweiten Republik 166
- Der Fall Raviv 172
- Staatenlosigkeit als Massenschicksal 187
- Der Fall Elias Canetti 188
- Der Fall Manès Sperber 200
- Semantische Nachbemerkungen 213
- Verzeichnis der Archive 222
- Literaturverzeichnis 223
- Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen 244
- Zeittafel 245
- Register 264
- Personen 264
- Orte 269
- Sachen 271