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170 Die Wiederherstellung der Staatsbürgerschaft in der Zweiten Republik
men. Damit aber hatten sie (nach dem fiktiv geltenden Bundesbürgerschaftsgesetz
von 1925) einen Verlusttatbestand gesetzt, der ihnen, kehrten sie erst nach 1950 zu-
rück, zum Verhängnis wurde. Die Betroffenen, wie etwa der in der Frage der Resti-
tution der Staatsbürgerschaft engagierte Autor Albert Sternfeld, der anlässlich seiner
Wiedereinbürgerung mit großer Bitterkeit feststellte, wie jeder beliebige Fremde
(d. h. lange Wartefristen, Aufgabe der eigenen Staatsbürgerschaft, hohe Kosten) be-
handelt worden zu sein620, oder der Maler Oskar Kokoschka, dessen komplizierte
Wiedereinbürgerung (Kokoschka weigerte sich beharrlich, sowohl einen Antrag zu
stellen, als auch einen Wohnsitz zu begründen) zum Anlassfall für die Novellierung
des Staatsbürgerschaftsgesetzes im Jahr 1973 wurde621, empfanden es als eine Zu-
mutung, um etwas ansuchen zu müssen, von dem sie annahmen, dass es ihnen, da
gewaltsam genommen, selbstverständlich zustand : ihre österreichische Staatsbürger-
schaft. Nach Harald Wendelin erhielten nach den Reformen im Jahr 1965 und 1973
(als die Bedingung der Aufgabe der fremden Staatsbürgerschaft entfiel, dafür aber
die Bedingung einer Wohnsitzbegründung eingeführt worden war) nur sehr wenige
Personen die Staatsbürgerschaft zurück.622
Zwar gab es immer auch die Möglichkeit einer Einbürgerung im Staatsinteresse,
d. h. im Ausland zu Ruhm gelangten ehemaligen Österreichern und Österreiche-
rinnen wegen »besonderer Verdienste um die Republik« via Ministerratsbeschluss
eine (Wieder-)Einbürgerung zu ermöglichen : etwa im Fall der Schriftstellerin Hilde
Spiel, die 1973 aufgrund ihrer Tätigkeit als Generalsekretärin des österreichischen
Pen-Clubs eingebürgert wurde, im Fall des Philosophen Sir Karl Popper, der 1976
auf eigenen Antrag, doch ohne einen Wohnsitz zu begründen, die österreichische
Staatsbürgerschaft zurückerhielt oder des Dichters Erich Fried, dem 1980 die Verlei-
hung der österreichischen Staatsbürgerschaft angetragen wurde, ohne dass er seine
britische Staatsbürgerschaft hatte aufgeben müssen623, doch handelte es sich dabei
um Einzelfälle Prominenter. Für die große Mehrheit der Vertriebenen erwies sich die
Staatsbürgerschaftsgesetzgebung – so eine Rückkehr aus dem Exil überhaupt erwo-
gen wurde
– eher als ein Hindernis.
Schwerer aber als eine unübersichtliche und teilweise verfehlte Gesetzgebung
aber wog, dass keinerlei politischer Wille erkennbar war, die vertriebenen österrei-
620 Albert Sternfeld : Betrifft : Österreich. Von Österreich betroffen (Wien/Köln/Weimar 2001), S.
252ff.
621 Bundeskanzler Bruno Kreisky löste schließlich das Problem der »Wohnsitzbegründung«, indem er
den Maler Oskar Kokoschka in seiner eigenen Wohnung anmeldete und ihm somit den verlangten
Wohnsitz verschaffte. Ausführlich dazu Harald Wendelin, in : Burger/Wendelin, Staatsbürgerschaft
und Vertreibung, S. 383ff.
622 1965 waren es 51, 1973 283 Fälle. Burger/Wendelin, Staatsbürgerschaft und Vertreibung, S. 386
sowie Diagramm 3, S. 399.
623 Vgl. Burger/Wendelin, Staatsbürgerschaft und Vertreibung, S. 388f.
Heimatrecht und Staatsbürgerschaft österreichischer Juden
Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Heimatrecht und Staatsbürgerschaft österreichischer Juden
- Untertitel
- Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart
- Autor
- Hannelore Burger
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79495-0
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 292
- Schlagwörter
- Heimatrecht, Staatsbürgerschaft, Juden, Österreichische Juden, Judenemanzipation, Toleranz, Josephinische Reformen, Österreichische Monarchie, Ausgleich, Österreich-Ungarn, Erste Republik, Nationalsozialistische Judenverfolgung, Ausbürgerung
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Einführung 9
- Von der Epoche des josephinischen Reformabsolutismus bis zum Ende des Neoabsolutismus 15
- Die Frage der jüdischen Bürgerrechte in der Aufklärung 15
- Exkurs : Juden in den österreichischen Ländern vom Hochmittelalter bis in das Zeitalter der Emanzipation 19
- Die josephinische Zäsur 26
- Das böhmisch-mährische System der Familienstellen 29
- Das Toleranzpatent für die Juden Galiziens 34
- Anhaltende »Verschiedenheit des politischen Zustandes« 38
- Die Vertretung der Tolerierten 39
- Das Judenamt 40
- Die Hofkanzlei als Hüterin der Toleranz 45
- Taufen und Nobilitierungen 47
- Die Kodifizierung des Staatsbürgerschaftsrechts 51
- Die staatsbürgerliche Stellung der Juden im Vormärz
- und das Auftauchen der »Judenfrage« 53
- Die bürgerliche Revolution von 1848 und die veränderte staatsbürgerliche Stellung der Juden 59
- Juden als österreichische Reichsbürger 62
- Inklusion und Exklusion von Juden in der Zeit des Neoabsolutismus 64
- Das Heimatrecht der österreichischen Juden 70
- Die Sonderstellung der »türkischen« Juden 74
- Die Entwicklung von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft in der Epoche des Ausgleichs 77
- Der Anteil der Juden an den Einbürgerungen 77
- Die Vermehrung der jüdischen Bevölkerung in Cisleithanien 80
- Die rechtliche Gleichstellung der Juden durch das Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger im Dezember 1867 82
- Rückkehr in die »verbotene Stadt« 83
- Paradoxe Fremde 85
- Die dualistische Verschärfung 86
- Motive für den Erwerb von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft 88
- Heimatrecht und Staatsbürgerschaft jüdischer Frauen 90
- Heimatrecht und soziale Frage 91
- Der Fall Dr. Hugo Stark 92
- Der Fall Julia Singer 93
- Der Fall Lea Weitzmann 95
- »Schutzgenossen« und »Untertanen de facto« 96
- Zur Ambivalenz von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft 97
- Die Nationalitätenkonflikte der Verfassungszeit und die (sprach-)nationale Identität der Juden 100
- Kafkas Sprachen 100
- Die Bedeutung von Bildung im Judentum 103
- Sprache, Nationalität und Recht im Unterrichtswesen 105
- Jüdische Kinder in den Mühlen des Nationalitätenkampfes 109
- Der Anteil jüdischer Schüler am höheren Bildungswesen 112
- Sprachen, Nationalitäten, Identitäten 114
- Das mehrsprachige Unterrichtswesen in der Bukowina 115
- Der Verdacht gegen die Mehrsprachigkeit 116
- Die Ethnisierung der Nationalitätenkonflikte 117
- Die Wiederkehr der »Judenfrage« in der Epoche des Ausgleichs 119
- Juden im Ersten Weltkrieg 130
- Theorie und Praxis von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft in der Ersten Republik 132
- Die Aus- und Einbürgerungen des autoritären Ständestaates 141
- Verfolgung, Vertreibung, Ausbürgerung, Vernichtung während der NS-Herrschaft 146
- Die Implementierung der Nürnberger Gesetze in Österreich 146
- Signaturen der Vertreibung 152
- Die Ausbürgerung und der Befehl zur »Endlösung« 155
- Die Wiederherstellung der Staatsbürgerschaft in der Zweiten Republik 166
- Der Fall Raviv 172
- Staatenlosigkeit als Massenschicksal 187
- Der Fall Elias Canetti 188
- Der Fall Manès Sperber 200
- Semantische Nachbemerkungen 213
- Verzeichnis der Archive 222
- Literaturverzeichnis 223
- Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen 244
- Zeittafel 245
- Register 264
- Personen 264
- Orte 269
- Sachen 271