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Heimatrecht und Staatsbürgerschaft österreichischer Juden - Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart
Seite - 190 -
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Seite - 190 - in Heimatrecht und Staatsbürgerschaft österreichischer Juden - Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart

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190 Staatenlosigkeit als Massenschicksal Staatenwelt herrschte in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg Reisefreiheit. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts waren laufend Maut-, Zoll- und Binnengrenzen und selbst die Kontrolle der Reisenden an den Außengrenzen aufgehoben worden.664 Stefan Zweig beschreibt mit Wehmut die nach dem Ersten Weltkrieg verloren gegangene Reise- freiheit seiner Jugend : »… die ganze Welt stand uns offen. Wir konnten reisen ohne Pass und Erlaubnisschein, wohin es uns beliebte, niemand examinierte uns auf Ge- sinnung, auf Herkunft, Rasse und Religion«.665 Auch für die zunächst in Manchester sich niederlassende Familie Canetti war ihr ausländischer Pass kein Hindernis, nicht in England und auch nicht in Wien, wohin Mathilde Canetti mit ihren Söhnen nach dem frühen Tod ihres Mannes übersiedelte. Als Elias Canetti im September 1913 im zweiten Wiener Gemeindebezirk einge- schult wurde, wurde er dort als »türkisch mosaisch« geführt, was eine reine Konfessi- onsbezeichnung war.666 Formal war er ein Ausländerkind  – aber ein Fremder ? Der Aufenthalt türkischer Juden in der Habsburgermonarchie war seit dem 17.  Jahrhundert durch die verschiedenen mit der Hohen Pforte geschlossenen Frie- dens- und Staatsverträge (Karlowitz 1699, Passarowitz 1718, Belgrad 1739 und Sistowa 1791)reglementiert. Sie enthielten umfangreiche Bestimmungen über die Behandlung der im jeweils anderen Hoheitsbereich sich aufhaltenden Staatsbürger : Handelsbestimmungen, Begünstigungsklauseln, Übertrittsbedingungen.667 Beson- ders detaillierte Bestimmungen hinsichtlich des Aufenthaltsrechtes enthielt ein im Jahre 1784 zwischen der Pforte und dem österreichischen Hof geschlossenes Ab- kommen, das sogenannte »Si(e)net« (Einverständnis), das Gleichbehandlung und Bewegungsfreiheit für Kaufleute vorsah.668 Grundsätzlich sah das Sienet auch vor, dass türkische Kaufleute in die österreichische Bothmäßigkeit übertreten, d. h. die österreichische Staatsangehörigkeit erwerben konnten, eine Möglichkeit, die aller- dings nur sehr wohlhabenden osmanischen Untertanen offen stand. Im Allgemeinen war es jedoch für Juden günstiger, die osmanische Staatsangehörigkeit zu behalten. Eine der Paradoxien des österreichischen Staatsbürgerschaftsrechts bestand nämlich darin, dass fremde Juden  – insbesondere osmanische Untertanen  – in vieler Hinsicht größere Freiheiten genossen als ihre österreichischen Glaubensbrüder. Während die »türkischen Juden« (Sepharden) in Wien und Triest unbeschränktes Aufenthaltsrecht genossen, eine eigene jüdische Gemeinde unterhalten durften, deren Reichtum sich aus dem florierenden Orienthandel speiste (führende Familien waren die Ephrussi, Moreno, de Majo, Arditti, von deren Anwesenheit noch die prächtigen Gräber auf 664 Burger, Passwesen, S.  9. 665 Zweig, Welt von Gestern, S.  111. 666 Hanuschek, Canetti, S.  59. 667 Burger, Passwesen, S.  58. 668 Burger, Passwesen, S.  669f.
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Heimatrecht und Staatsbürgerschaft österreichischer Juden Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Titel
Heimatrecht und Staatsbürgerschaft österreichischer Juden
Untertitel
Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart
Autor
Hannelore Burger
Ort
Wien
Datum
2014
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC-ND 3.0
ISBN
978-3-205-79495-0
Abmessungen
15.5 x 23.5 cm
Seiten
292
Schlagwörter
Heimatrecht, Staatsbürgerschaft, Juden, Österreichische Juden, Judenemanzipation, Toleranz, Josephinische Reformen, Österreichische Monarchie, Ausgleich, Österreich-Ungarn, Erste Republik, Nationalsozialistische Judenverfolgung, Ausbürgerung
Kategorien
Geschichte Historische Aufzeichnungen

Inhaltsverzeichnis

  1. Einführung 9
  2. Von der Epoche des josephinischen Reformabsolutismus bis zum Ende des Neoabsolutismus 15
  3. Die Frage der jüdischen Bürgerrechte in der Aufklärung 15
  4. Exkurs : Juden in den österreichischen Ländern vom Hochmittelalter bis in das Zeitalter der Emanzipation 19
  5. Die josephinische Zäsur 26
  6. Das böhmisch-mährische System der Familienstellen 29
  7. Das Toleranzpatent für die Juden Galiziens 34
  8. Anhaltende »Verschiedenheit des politischen Zustandes« 38
  9. Die Vertretung der Tolerierten 39
  10. Das Judenamt 40
  11. Die Hofkanzlei als Hüterin der Toleranz 45
  12. Taufen und Nobilitierungen 47
  13. Die Kodifizierung des Staatsbürgerschaftsrechts 51
  14. Die staatsbürgerliche Stellung der Juden im Vormärz
  15. und das Auftauchen der »Judenfrage« 53
  16. Die bürgerliche Revolution von 1848 und die veränderte staatsbürgerliche Stellung der Juden 59
  17. Juden als österreichische Reichsbürger 62
  18. Inklusion und Exklusion von Juden in der Zeit des Neoabsolutismus 64
  19. Das Heimatrecht der österreichischen Juden 70
  20. Die Sonderstellung der »türkischen« Juden 74
  21. Die Entwicklung von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft in der Epoche des Ausgleichs 77
  22. Der Anteil der Juden an den Einbürgerungen 77
  23. Die Vermehrung der jüdischen Bevölkerung in Cisleithanien 80
  24. Die rechtliche Gleichstellung der Juden durch das Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger im Dezember 1867 82
  25. Rückkehr in die »verbotene Stadt« 83
  26. Paradoxe Fremde 85
  27. Die dualistische Verschärfung 86
  28. Motive für den Erwerb von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft 88
  29. Heimatrecht und Staatsbürgerschaft jüdischer Frauen 90
  30. Heimatrecht und soziale Frage 91
  31. Der Fall Dr. Hugo Stark 92
  32. Der Fall Julia Singer 93
  33. Der Fall Lea Weitzmann 95
  34. »Schutzgenossen« und »Untertanen de facto« 96
  35. Zur Ambivalenz von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft 97
  36. Die Nationalitätenkonflikte der Verfassungszeit und die (sprach-)nationale Identität der Juden 100
  37. Kafkas Sprachen 100
  38. Die Bedeutung von Bildung im Judentum 103
  39. Sprache, Nationalität und Recht im Unterrichtswesen 105
  40. Jüdische Kinder in den Mühlen des Nationalitätenkampfes 109
  41. Der Anteil jüdischer Schüler am höheren Bildungswesen 112
  42. Sprachen, Nationalitäten, Identitäten 114
  43. Das mehrsprachige Unterrichtswesen in der Bukowina 115
  44. Der Verdacht gegen die Mehrsprachigkeit 116
  45. Die Ethnisierung der Nationalitätenkonflikte 117
  46. Die Wiederkehr der »Judenfrage« in der Epoche des Ausgleichs 119
  47. Juden im Ersten Weltkrieg 130
  48. Theorie und Praxis von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft in der Ersten Republik 132
  49. Die Aus- und Einbürgerungen des autoritären Ständestaates 141
  50. Verfolgung, Vertreibung, Ausbürgerung, Vernichtung während der NS-Herrschaft 146
  51. Die Implementierung der Nürnberger Gesetze in Österreich 146
  52. Signaturen der Vertreibung 152
  53. Die Ausbürgerung und der Befehl zur »Endlösung« 155
  54. Die Wiederherstellung der Staatsbürgerschaft in der Zweiten Republik 166
  55. Der Fall Raviv 172
  56. Staatenlosigkeit als Massenschicksal 187
  57. Der Fall Elias Canetti 188
  58. Der Fall Manès Sperber 200
  59. Semantische Nachbemerkungen 213
  60. Verzeichnis der Archive 222
  61. Literaturverzeichnis 223
  62. Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen 244
  63. Zeittafel 245
  64. Register 264
  65. Personen 264
  66. Orte 269
  67. Sachen 271
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