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Heimatrecht und Staatsbürgerschaft österreichischer Juden - Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart
Seite - 197 -
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Seite - 197 - in Heimatrecht und Staatsbürgerschaft österreichischer Juden - Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart

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Staatenlosigkeit als Massenschicksal 197 und selbst wenn es sich in den Zügen so deutlich verrät, dass ich, ein Fremder, es erkenne, glaubt jeder dieser Menschen doch fest daran, dass er in gerader Linie von den Leuten der Bibel abstammt.«689 Er begegnete Elié, einem Namensvetter, wurde von dessen Familie freundlich aufgenommen und bekam neben anderen Köstlich- keiten eingemachte Früchte angeboten, wie sie seine Mutter zu machen pflegte. Höf- lich, aber bestimmt, wies er die Früchte zurück, »vielleicht«, wie er sagt, »weil sie mich zu sehr anheimelten«. Dann sprach er davon, dass seine Vorfahren aus Spanien gekommen seien und fragte, »ob es noch Leute in der Mellah gäbe, die das alte Spa- nisch sprächen«. Doch es gab niemanden mehr und nur wenige Alte wussten noch von der Flucht der Juden aus Spanien.690 Am Ende schienen ihm die Einwohner sogar ein wenig enttäuscht zu sein über sein Outing als »Israelit«. Vielleicht, meint er, »hätten sie sich den Fremden ganz fremd gewünscht«.691 Und so erwies sich sein erstes Gefühl des Angekommenseins als Illusion und wurde mit den »Stimmen von Marrakesch« zu einem Stück berührender Literatur. Im Jahr 1952 endlich sollte sich Vezas Traum doch noch erfüllen. Elias Canetti (und mit ihm seine Ehefrau) wurden britische Staatsbürger. Er hatte sich mit diesem Schritt Zeit gelassen. Erst nach dem Erscheinen der Blendung in England, seinem ersten großen Erfolg, und nach über dreißig Jahren der Staatenlosigkeit, entschloss sich Canetti zu diesem Schritt. Hatte er noch während des Krieges sich eher als öster reichischer Exilant gefühlt und als solcher sich gemeinsam mit seinen Freunden Walter Hollitscher, Anna Mahler und Otto Erich Deutsch auch politisch engagiert  – gegen die Annexion Österreichs und für das Selbstbestimmungsrecht der österrei- chischen Nation692  –, so war ihm das Exilland nun »Heimat« geworden. »Ich spüre«, schreibt er in einem Brief an seine Freundin Marie-Louise von Motesiczky, »wie ich auf die Franzosen hier als Engländer reagiere, und nicht wie früher als Wiener, Schweizer oder Balkanese«.693 Und vielleicht entsprach ihm ja auch die britische Untertanenschaft (subjecthood) am ehesten, umfasste sie doch nicht nur das Com- monwealth mit seinen zahllosen Völkerschaften, sondern  – auch als europäischer Nationalstaat  – immer schon eine Vielheit von Nationalitäten (die walisische, die schottische, die irische und die englische). Seinen britischen Pass und seine Londoner Wohnung behielt Canetti auch nach dem Tod Vezas (1963) und seiner Heirat mit Hera Buschor (1971). Im Jahr 1972 begründete das Paar in Zürich einen gemeinsamen Wohnsitz. Erst 1988, nach dem 689 Elias Canetti : Die Stimmen von Marrakesch. Aufzeichnungen einer Reise (München 1968), S.  40. 690 Ebenda, S.  60. 691 Ebenda, S.  59. 692 So trägt eine Deklaration verschiedener Exilorganisationen von 1941 seine Unterschrift, auch un- terstützte er eine Aktion des linken Flügels des »Austrian Centre«, vgl. Hanuschek, Canetti, S.  320. 693 Ebenda, S.  377.
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Heimatrecht und Staatsbürgerschaft österreichischer Juden Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Titel
Heimatrecht und Staatsbürgerschaft österreichischer Juden
Untertitel
Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart
Autor
Hannelore Burger
Ort
Wien
Datum
2014
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC-ND 3.0
ISBN
978-3-205-79495-0
Abmessungen
15.5 x 23.5 cm
Seiten
292
Schlagwörter
Heimatrecht, Staatsbürgerschaft, Juden, Österreichische Juden, Judenemanzipation, Toleranz, Josephinische Reformen, Österreichische Monarchie, Ausgleich, Österreich-Ungarn, Erste Republik, Nationalsozialistische Judenverfolgung, Ausbürgerung
Kategorien
Geschichte Historische Aufzeichnungen

Inhaltsverzeichnis

  1. Einführung 9
  2. Von der Epoche des josephinischen Reformabsolutismus bis zum Ende des Neoabsolutismus 15
  3. Die Frage der jüdischen Bürgerrechte in der Aufklärung 15
  4. Exkurs : Juden in den österreichischen Ländern vom Hochmittelalter bis in das Zeitalter der Emanzipation 19
  5. Die josephinische Zäsur 26
  6. Das böhmisch-mährische System der Familienstellen 29
  7. Das Toleranzpatent für die Juden Galiziens 34
  8. Anhaltende »Verschiedenheit des politischen Zustandes« 38
  9. Die Vertretung der Tolerierten 39
  10. Das Judenamt 40
  11. Die Hofkanzlei als Hüterin der Toleranz 45
  12. Taufen und Nobilitierungen 47
  13. Die Kodifizierung des Staatsbürgerschaftsrechts 51
  14. Die staatsbürgerliche Stellung der Juden im Vormärz
  15. und das Auftauchen der »Judenfrage« 53
  16. Die bürgerliche Revolution von 1848 und die veränderte staatsbürgerliche Stellung der Juden 59
  17. Juden als österreichische Reichsbürger 62
  18. Inklusion und Exklusion von Juden in der Zeit des Neoabsolutismus 64
  19. Das Heimatrecht der österreichischen Juden 70
  20. Die Sonderstellung der »türkischen« Juden 74
  21. Die Entwicklung von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft in der Epoche des Ausgleichs 77
  22. Der Anteil der Juden an den Einbürgerungen 77
  23. Die Vermehrung der jüdischen Bevölkerung in Cisleithanien 80
  24. Die rechtliche Gleichstellung der Juden durch das Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger im Dezember 1867 82
  25. Rückkehr in die »verbotene Stadt« 83
  26. Paradoxe Fremde 85
  27. Die dualistische Verschärfung 86
  28. Motive für den Erwerb von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft 88
  29. Heimatrecht und Staatsbürgerschaft jüdischer Frauen 90
  30. Heimatrecht und soziale Frage 91
  31. Der Fall Dr. Hugo Stark 92
  32. Der Fall Julia Singer 93
  33. Der Fall Lea Weitzmann 95
  34. »Schutzgenossen« und »Untertanen de facto« 96
  35. Zur Ambivalenz von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft 97
  36. Die Nationalitätenkonflikte der Verfassungszeit und die (sprach-)nationale Identität der Juden 100
  37. Kafkas Sprachen 100
  38. Die Bedeutung von Bildung im Judentum 103
  39. Sprache, Nationalität und Recht im Unterrichtswesen 105
  40. Jüdische Kinder in den Mühlen des Nationalitätenkampfes 109
  41. Der Anteil jüdischer Schüler am höheren Bildungswesen 112
  42. Sprachen, Nationalitäten, Identitäten 114
  43. Das mehrsprachige Unterrichtswesen in der Bukowina 115
  44. Der Verdacht gegen die Mehrsprachigkeit 116
  45. Die Ethnisierung der Nationalitätenkonflikte 117
  46. Die Wiederkehr der »Judenfrage« in der Epoche des Ausgleichs 119
  47. Juden im Ersten Weltkrieg 130
  48. Theorie und Praxis von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft in der Ersten Republik 132
  49. Die Aus- und Einbürgerungen des autoritären Ständestaates 141
  50. Verfolgung, Vertreibung, Ausbürgerung, Vernichtung während der NS-Herrschaft 146
  51. Die Implementierung der Nürnberger Gesetze in Österreich 146
  52. Signaturen der Vertreibung 152
  53. Die Ausbürgerung und der Befehl zur »Endlösung« 155
  54. Die Wiederherstellung der Staatsbürgerschaft in der Zweiten Republik 166
  55. Der Fall Raviv 172
  56. Staatenlosigkeit als Massenschicksal 187
  57. Der Fall Elias Canetti 188
  58. Der Fall Manès Sperber 200
  59. Semantische Nachbemerkungen 213
  60. Verzeichnis der Archive 222
  61. Literaturverzeichnis 223
  62. Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen 244
  63. Zeittafel 245
  64. Register 264
  65. Personen 264
  66. Orte 269
  67. Sachen 271
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