Web-Books
im Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Geschichte
Historische Aufzeichnungen
Heimatrecht und Staatsbürgerschaft österreichischer Juden - Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart
Seite - 199 -
  • Benutzer
  • Version
    • Vollversion
    • Textversion
  • Sprache
    • Deutsch
    • English - Englisch

Seite - 199 - in Heimatrecht und Staatsbürgerschaft österreichischer Juden - Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart

Bild der Seite - 199 -

Bild der Seite - 199 - in Heimatrecht und Staatsbürgerschaft österreichischer Juden - Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart

Text der Seite - 199 -

Staatenlosigkeit als Massenschicksal 199 Dorftrottel, die nie aus ihrem Tal herausgekommen sind.«699 Canetti, ein ironischer Kosmopolit ? Nicht ganz. Nationen waren ihm keineswegs gleichgültig. In »Masse und Macht« versucht er, ihnen auf den Grund zu kommen. Die alte Fichtesche Formel von der »Sprachnation« weist er zurück, ebenso Otto Bauers »Schicksalsgemeinschaft«. Ca- netti sieht die Nation als Modus der Masse, als ein Phänomen, das es allererst anzu- erkennen gilt. Er versucht, sich ihr über die Symbole zu nähern und über diese ihr Eigentümliches zu bestimmen : das Meer für die Englische Nation, den Deich für die holländische, die Revolution für die französische.700 Canetti war, wie er sagt, »keiner von ihnen hörig, aber redlich und zutiefst an ihnen allen interessiert«. Man müsse »jede von ihnen geistig so in sich aufgehen lassen, als wäre man dazu verurteilt, ihr für einen guten Teil seines Lebens wirklich anzugehören«.701 Hier spricht nicht die Gleichgültigkeit des Kosmopoliten, auch nicht die Sicherheit eines Weltbürgers, sondern die Verletzlichkeit eines überaus fraglichen, fragmentierten, hybriden »Ichs«, eines »Ichs«, das in Wahrheit »aus vielen Figuren« besteht, wobei es ihm selbst ver- borgen bleibt, »welche dieser Figuren es jeweils ist, die aus ihm spricht, und warum eine die andere ablöst.702 Canetti kam vom äußersten Rand »nach Europa«. Seine Zugehörigkeit musste er sich hart erkämpfen. Er tat es durch die Sprachen, von denen er eine nach der anderen lernte (meistens deren mehrere gleichzeitig), von denen sich ihm eine in die andere übersetzte. Ein »Vom-Rande-Kommen« bedeutet jedoch, worauf Jacques Derrida verweist, ein Offen-sein, ein »nicht mit sich selbst identisch sein«, bedeutet auch, aber nicht nur und nicht ausschließlich und »nicht durch und durch euro- päisch sein«.703 Vor einem »Durch-und-durch-europäisch-Sein« bewahrte ihn nicht zuletzt eine Philosophie (oder natürliche Religion), die ihn ein Leben lang beglei- tete : der Taoismus. Der Einfluss der taoistischen Philosophie auf Canettis Werk ist bislang wenig bemerkt worden. Doch schon auf den ersten Seiten der »Blendung« ist jenes Buch, das Kien, der Sinologe, einem »aufgeweckten Jungen« leiht, nicht zufäl- lig eine kostbare Ausgabe des Taoisten Mong Tse. Warum sich Canetti den Chinesen »so nahe fühlte«, darüber können wir nur Vermutungen anstellen, hat er doch dazu nur wenige Stichworte hinterlassen.704 Nicht zuletzt dürfte es das Motiv der Ver- 699 Vgl. Hanuschek, Canetti, S.  334. 700 Vgl. Das Kapitel »Massensymbole der Nationen«, in : Elias Canetti, Masse und Macht, Bd. 1 (Mün- chen, 2. Auflage 1976),, S.  185–196. 701 Canetti, Masse und Macht, Bd. 1 S.  185f. 702 Elias Canetti : Die Fackel im Ohr, Lebensgeschichte 1921–1931 (Wien 1980), S.  182. 703 Jacques Derrida : Das andere Kap (Frankfurt a. M. 1992), S.  60. 704 Siehe neuerdings dazu die an der Heinrich Heine Universität Düsseldorf vorgelegte Dissertation von Yun Chen : Canetti und die chinesische Kultur, phil. Diss. (Düsseldorf 2005).
zurück zum  Buch Heimatrecht und Staatsbürgerschaft österreichischer Juden - Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart"
Heimatrecht und Staatsbürgerschaft österreichischer Juden Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Titel
Heimatrecht und Staatsbürgerschaft österreichischer Juden
Untertitel
Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart
Autor
Hannelore Burger
Ort
Wien
Datum
2014
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC-ND 3.0
ISBN
978-3-205-79495-0
Abmessungen
15.5 x 23.5 cm
Seiten
292
Schlagwörter
Heimatrecht, Staatsbürgerschaft, Juden, Österreichische Juden, Judenemanzipation, Toleranz, Josephinische Reformen, Österreichische Monarchie, Ausgleich, Österreich-Ungarn, Erste Republik, Nationalsozialistische Judenverfolgung, Ausbürgerung
Kategorien
Geschichte Historische Aufzeichnungen

Inhaltsverzeichnis

  1. Einführung 9
  2. Von der Epoche des josephinischen Reformabsolutismus bis zum Ende des Neoabsolutismus 15
  3. Die Frage der jüdischen Bürgerrechte in der Aufklärung 15
  4. Exkurs : Juden in den österreichischen Ländern vom Hochmittelalter bis in das Zeitalter der Emanzipation 19
  5. Die josephinische Zäsur 26
  6. Das böhmisch-mährische System der Familienstellen 29
  7. Das Toleranzpatent für die Juden Galiziens 34
  8. Anhaltende »Verschiedenheit des politischen Zustandes« 38
  9. Die Vertretung der Tolerierten 39
  10. Das Judenamt 40
  11. Die Hofkanzlei als Hüterin der Toleranz 45
  12. Taufen und Nobilitierungen 47
  13. Die Kodifizierung des Staatsbürgerschaftsrechts 51
  14. Die staatsbürgerliche Stellung der Juden im Vormärz
  15. und das Auftauchen der »Judenfrage« 53
  16. Die bürgerliche Revolution von 1848 und die veränderte staatsbürgerliche Stellung der Juden 59
  17. Juden als österreichische Reichsbürger 62
  18. Inklusion und Exklusion von Juden in der Zeit des Neoabsolutismus 64
  19. Das Heimatrecht der österreichischen Juden 70
  20. Die Sonderstellung der »türkischen« Juden 74
  21. Die Entwicklung von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft in der Epoche des Ausgleichs 77
  22. Der Anteil der Juden an den Einbürgerungen 77
  23. Die Vermehrung der jüdischen Bevölkerung in Cisleithanien 80
  24. Die rechtliche Gleichstellung der Juden durch das Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger im Dezember 1867 82
  25. Rückkehr in die »verbotene Stadt« 83
  26. Paradoxe Fremde 85
  27. Die dualistische Verschärfung 86
  28. Motive für den Erwerb von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft 88
  29. Heimatrecht und Staatsbürgerschaft jüdischer Frauen 90
  30. Heimatrecht und soziale Frage 91
  31. Der Fall Dr. Hugo Stark 92
  32. Der Fall Julia Singer 93
  33. Der Fall Lea Weitzmann 95
  34. »Schutzgenossen« und »Untertanen de facto« 96
  35. Zur Ambivalenz von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft 97
  36. Die Nationalitätenkonflikte der Verfassungszeit und die (sprach-)nationale Identität der Juden 100
  37. Kafkas Sprachen 100
  38. Die Bedeutung von Bildung im Judentum 103
  39. Sprache, Nationalität und Recht im Unterrichtswesen 105
  40. Jüdische Kinder in den Mühlen des Nationalitätenkampfes 109
  41. Der Anteil jüdischer Schüler am höheren Bildungswesen 112
  42. Sprachen, Nationalitäten, Identitäten 114
  43. Das mehrsprachige Unterrichtswesen in der Bukowina 115
  44. Der Verdacht gegen die Mehrsprachigkeit 116
  45. Die Ethnisierung der Nationalitätenkonflikte 117
  46. Die Wiederkehr der »Judenfrage« in der Epoche des Ausgleichs 119
  47. Juden im Ersten Weltkrieg 130
  48. Theorie und Praxis von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft in der Ersten Republik 132
  49. Die Aus- und Einbürgerungen des autoritären Ständestaates 141
  50. Verfolgung, Vertreibung, Ausbürgerung, Vernichtung während der NS-Herrschaft 146
  51. Die Implementierung der Nürnberger Gesetze in Österreich 146
  52. Signaturen der Vertreibung 152
  53. Die Ausbürgerung und der Befehl zur »Endlösung« 155
  54. Die Wiederherstellung der Staatsbürgerschaft in der Zweiten Republik 166
  55. Der Fall Raviv 172
  56. Staatenlosigkeit als Massenschicksal 187
  57. Der Fall Elias Canetti 188
  58. Der Fall Manès Sperber 200
  59. Semantische Nachbemerkungen 213
  60. Verzeichnis der Archive 222
  61. Literaturverzeichnis 223
  62. Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen 244
  63. Zeittafel 245
  64. Register 264
  65. Personen 264
  66. Orte 269
  67. Sachen 271
Web-Books
Bibliothek
Datenschutz
Impressum
Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Heimatrecht und Staatsbürgerschaft österreichischer Juden