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210 Staatenlosigkeit als Massenschicksal
Calmann-Lévy ein, zuständig für die Übersetzung ausländischer Literatur, darunter
die Herausgabe des Tagebuchs der Anne Frank.
1949 kann als das Jahr des eigentlichen Beginns von Sperbers literarischer Kar-
riere gelten. Mit »Der verbrannte Dornbusch« entstand der erste Teil seiner stark
autobiographisch getönten Komintern-Saga »Wie eine Träne im Ozean«. Daneben
schrieb er ungezählte Beiträge für den »Sender Freies Berlin« und die »Stimme Ame-
rikas«, arbeitete mit Arthur Koestler an einer Charta für Menschenrechte, wurde
Mitinitiator des ersten »Kongresses für kulturelle Freiheit« in Berlin (der später in
Verdacht geriet, eine CIA-Schöpfung zu sein), entfaltete in diesem Zusammenhang
in den 1960er- und 1970er-Jahren eine starke Reisetätigkeit nach Berlin und Wien,
reiste mehrfach nach Israel und in die USA.
Nach dem großen Erfolg seines Romans, der zuerst in Teilen auf Französisch pu-
bliziert wurde und 1960 auf Deutsch erschien, stellten sich Ehrungen und Preise
ein : 1975 der renommierte Büchner Preis der Deutschen Akademie für Sprache
und Dichtung in Darmstadt, 1977 der große Österreichische Staatspreis für Lite-
ratur, 1983 der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. In seinen Dankesreden
wurde Sperber immer mehr zum leidenschaftlichen Europäer, hoffte auf ein baldiges
Ende des Totalitarismus in Osteuropa, hoffte auf ein den USA ebenbürtiges, ver-
eintes demokratisches freies Europa. Dass er den Fall der Berliner Mauer, den Zu-
sammenbruch des sowjetischen Imperiums, den Demokratisierungsprozess in den
mittel-osteuropäischen Staaten und ihren Eintritt in die Europäische Union nicht
mehr erlebte, gehört zur Tragik seines Lebens, eines Lebens, das von scharfen Brü-
chen, Trennungen, Glaubensverlusten gekennzeichnet war. Manès Sperber wurde
oft als der »Romancier des Exils« gesehen, für den es, wie für seinen Helden Denis
Faber (Dojno), »keine Heimkehr« gab.732 Er selbst hat seine fundamentale »Heimat-
losigkeit«, sein »lebenslanges Exil« vielfach zum Thema gemacht, beschwört häufig
das Bild des ewigen Wanderers, der Ausschau hält nach den »Hügeln hinter den
Hügeln« – nach einem neuen Land. Dieses Ahasver-Motiv verdeckt nur eines : den
Tatbestand seiner beinahe lebenslangen Staatenlosigkeit. Manès Sperber hat, wie so
viele andere auch, darüber geschwiegen, hat
– als überzeugter Internationalist
– viel-
leicht sogar versucht, daraus eine Tugend zu machen. Nur allzu konsequent erscheint
es dann, dass die Gruppe, die Gemeinschaft, die Partei zur eigentlichen Heimat
wurde. »Nicht allein sein ist viel wichtiger« als Recht haben, lässt er einen seiner Ro-
manhelden einmal sagen. Doch als sich am Ende alle Gemeinschaften, alle Gruppen,
alle Parteien als Illusion erweisen, wird es ein Sturz ins Bodenlose, ein Sturz »Tiefer
als der Abgrund«.733
732 Vgl. Sperber, Träne im Ozean, S. 645.
733 So eine Kapitelüberschrift in »Wie eine Träne im Ozean«.
Heimatrecht und Staatsbürgerschaft österreichischer Juden
Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Heimatrecht und Staatsbürgerschaft österreichischer Juden
- Untertitel
- Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart
- Autor
- Hannelore Burger
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79495-0
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 292
- Schlagwörter
- Heimatrecht, Staatsbürgerschaft, Juden, Österreichische Juden, Judenemanzipation, Toleranz, Josephinische Reformen, Österreichische Monarchie, Ausgleich, Österreich-Ungarn, Erste Republik, Nationalsozialistische Judenverfolgung, Ausbürgerung
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Einführung 9
- Von der Epoche des josephinischen Reformabsolutismus bis zum Ende des Neoabsolutismus 15
- Die Frage der jüdischen Bürgerrechte in der Aufklärung 15
- Exkurs : Juden in den österreichischen Ländern vom Hochmittelalter bis in das Zeitalter der Emanzipation 19
- Die josephinische Zäsur 26
- Das böhmisch-mährische System der Familienstellen 29
- Das Toleranzpatent für die Juden Galiziens 34
- Anhaltende »Verschiedenheit des politischen Zustandes« 38
- Die Vertretung der Tolerierten 39
- Das Judenamt 40
- Die Hofkanzlei als Hüterin der Toleranz 45
- Taufen und Nobilitierungen 47
- Die Kodifizierung des Staatsbürgerschaftsrechts 51
- Die staatsbürgerliche Stellung der Juden im Vormärz
- und das Auftauchen der »Judenfrage« 53
- Die bürgerliche Revolution von 1848 und die veränderte staatsbürgerliche Stellung der Juden 59
- Juden als österreichische Reichsbürger 62
- Inklusion und Exklusion von Juden in der Zeit des Neoabsolutismus 64
- Das Heimatrecht der österreichischen Juden 70
- Die Sonderstellung der »türkischen« Juden 74
- Die Entwicklung von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft in der Epoche des Ausgleichs 77
- Der Anteil der Juden an den Einbürgerungen 77
- Die Vermehrung der jüdischen Bevölkerung in Cisleithanien 80
- Die rechtliche Gleichstellung der Juden durch das Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger im Dezember 1867 82
- Rückkehr in die »verbotene Stadt« 83
- Paradoxe Fremde 85
- Die dualistische Verschärfung 86
- Motive für den Erwerb von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft 88
- Heimatrecht und Staatsbürgerschaft jüdischer Frauen 90
- Heimatrecht und soziale Frage 91
- Der Fall Dr. Hugo Stark 92
- Der Fall Julia Singer 93
- Der Fall Lea Weitzmann 95
- »Schutzgenossen« und »Untertanen de facto« 96
- Zur Ambivalenz von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft 97
- Die Nationalitätenkonflikte der Verfassungszeit und die (sprach-)nationale Identität der Juden 100
- Kafkas Sprachen 100
- Die Bedeutung von Bildung im Judentum 103
- Sprache, Nationalität und Recht im Unterrichtswesen 105
- Jüdische Kinder in den Mühlen des Nationalitätenkampfes 109
- Der Anteil jüdischer Schüler am höheren Bildungswesen 112
- Sprachen, Nationalitäten, Identitäten 114
- Das mehrsprachige Unterrichtswesen in der Bukowina 115
- Der Verdacht gegen die Mehrsprachigkeit 116
- Die Ethnisierung der Nationalitätenkonflikte 117
- Die Wiederkehr der »Judenfrage« in der Epoche des Ausgleichs 119
- Juden im Ersten Weltkrieg 130
- Theorie und Praxis von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft in der Ersten Republik 132
- Die Aus- und Einbürgerungen des autoritären Ständestaates 141
- Verfolgung, Vertreibung, Ausbürgerung, Vernichtung während der NS-Herrschaft 146
- Die Implementierung der Nürnberger Gesetze in Österreich 146
- Signaturen der Vertreibung 152
- Die Ausbürgerung und der Befehl zur »Endlösung« 155
- Die Wiederherstellung der Staatsbürgerschaft in der Zweiten Republik 166
- Der Fall Raviv 172
- Staatenlosigkeit als Massenschicksal 187
- Der Fall Elias Canetti 188
- Der Fall Manès Sperber 200
- Semantische Nachbemerkungen 213
- Verzeichnis der Archive 222
- Literaturverzeichnis 223
- Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen 244
- Zeittafel 245
- Register 264
- Personen 264
- Orte 269
- Sachen 271