Web-Books
im Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Geschichte
Historische Aufzeichnungen
Heimatrecht und Staatsbürgerschaft österreichischer Juden - Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart
Seite - 211 -
  • Benutzer
  • Version
    • Vollversion
    • Textversion
  • Sprache
    • Deutsch
    • English - Englisch

Seite - 211 - in Heimatrecht und Staatsbürgerschaft österreichischer Juden - Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart

Bild der Seite - 211 -

Bild der Seite - 211 - in Heimatrecht und Staatsbürgerschaft österreichischer Juden - Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart

Text der Seite - 211 -

Staatenlosigkeit als Massenschicksal 211 Wie Jenka Sperber in ihrem Essay über das letzte Jahr Sperbers schreibt, befiel ihn im Jahr 1952 (nach der Vollendung seiner Romantrilogie)734, eine schwere Depres- sion, die später in einer Angina pectoris mündete. Einen möglichen Grund nennt er selbst in »Churban oder die unfassbare Gewissheit«. Für Manès Sperber bestand im Sommer 1952 kein Zweifel mehr, dass Stalin fortsetzte, was vor dreihundert Jah- ren von Bogdan Chmelnitzkij begonnen worden war. »In den sowjetischen Zeitun- gen hetzt man gegen die ›Kosmopoliten‹, indem man ihre jüdische Abstammung enthüllt. Leute ohne Ausweis, als solche bezeichneten die Pogromisten seinerzeit die Juden. Der Ausdruck wird nun wieder verwandt und kehrt in der offiziellen Spra- che immer wieder. (…) Nach dem Churban lebten in der Sowjetunion noch eine Million Juden. Das autoritäre Regime kann ihre Existenz nicht dulden, weil es ist, was es ist. Und weil sie, die Juden, geblieben sind, die sie immer waren. (…) Ob man ihre Vernichtung »mit der Notwendigkeit begründen wird, die Kosmopoliten ohne Vorfahren, die Individuen ohne Reisepass endgültig zu beseitigen, um das Kom- plott der trotzkistisch-zionistischen Verschwörer in den Satellitenstaaten zu verhin- dern  – gleichviel. Die Juden können in der Sowjetunion zugrunde gehen, fast ohne Geräusch.«735 Als Manès Sperber dies im Juni 1952 schrieb, zur Zeit des Korea-Krieges und am Höhepunkt des Kalten Krieges, war er noch immer ohne Ausweis. Zwar wies ihn schon 1946 ein Dokument  – jener Ordre de Mission, mit dem ihn Malraux in das besetzte Deutschland schickt  – als »Franzose« aus, doch handelte es sich dabei um einen Pass der provisorischen Regierung. Naturalisiert wurde Sperber in Frankreich erst im Jahr 1960. Was erklärt sein langes Zögern ? Könnte es sein, dass es die Na- tion, der er angehören wollte, allein angehören konnte, noch nicht gab, dass Sperber, wie Jean Pierre Condere vermutet, trotz seiner Liebe zu Frankreich auf das Kom- men eines europäischen Passes gewartet habe ?736 Sperber selbst schreibt im dritten Band seiner Autobiographie, ohne das Faktum seiner Einbürgerung in Frankreich zu erwähnen : »Seit langem war ich kein Emigrant mehr ; die Hälfte des Lebens lag hinter mir, es war Zeit, dass da, wo ich lebte, für mich hier werde und jeder andere Ort dort«. Er hatte für sich nun auch die Frage der Sprache gelöst, wurde ein zwei- sprachiger Schriftsteller, schrieb die Romane deutsch und die Essais französisch.737 734 Vgl. Stancic, Manès Sperber, S.  521, sowie Jenka Sperber : Sein letztes Jahr (München 1985). 735 Manès Sperber : Mein Judesein, in : Churban oder Die unfassbare Gewissheit (Wien/München/ Zürich 1979), S.  109f. 736 »… malgré son amour de la France, ne peut se prendre pour un Français. Son arrangement intime, c’est d’avoir imaginé un passeport européen dont il serait l’unique détenteur«. Jean Pierre Condere in : L’Express v. 25.11.1983, S.  87. 737 Manès Sperber : Bis man mir Scherben auf die Augen legt. All das Vergangene. Band 3 (Frankfurt a. M. 1977), S.  364.
zurück zum  Buch Heimatrecht und Staatsbürgerschaft österreichischer Juden - Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart"
Heimatrecht und Staatsbürgerschaft österreichischer Juden Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Titel
Heimatrecht und Staatsbürgerschaft österreichischer Juden
Untertitel
Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart
Autor
Hannelore Burger
Ort
Wien
Datum
2014
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC-ND 3.0
ISBN
978-3-205-79495-0
Abmessungen
15.5 x 23.5 cm
Seiten
292
Schlagwörter
Heimatrecht, Staatsbürgerschaft, Juden, Österreichische Juden, Judenemanzipation, Toleranz, Josephinische Reformen, Österreichische Monarchie, Ausgleich, Österreich-Ungarn, Erste Republik, Nationalsozialistische Judenverfolgung, Ausbürgerung
Kategorien
Geschichte Historische Aufzeichnungen

Inhaltsverzeichnis

  1. Einführung 9
  2. Von der Epoche des josephinischen Reformabsolutismus bis zum Ende des Neoabsolutismus 15
  3. Die Frage der jüdischen Bürgerrechte in der Aufklärung 15
  4. Exkurs : Juden in den österreichischen Ländern vom Hochmittelalter bis in das Zeitalter der Emanzipation 19
  5. Die josephinische Zäsur 26
  6. Das böhmisch-mährische System der Familienstellen 29
  7. Das Toleranzpatent für die Juden Galiziens 34
  8. Anhaltende »Verschiedenheit des politischen Zustandes« 38
  9. Die Vertretung der Tolerierten 39
  10. Das Judenamt 40
  11. Die Hofkanzlei als Hüterin der Toleranz 45
  12. Taufen und Nobilitierungen 47
  13. Die Kodifizierung des Staatsbürgerschaftsrechts 51
  14. Die staatsbürgerliche Stellung der Juden im Vormärz
  15. und das Auftauchen der »Judenfrage« 53
  16. Die bürgerliche Revolution von 1848 und die veränderte staatsbürgerliche Stellung der Juden 59
  17. Juden als österreichische Reichsbürger 62
  18. Inklusion und Exklusion von Juden in der Zeit des Neoabsolutismus 64
  19. Das Heimatrecht der österreichischen Juden 70
  20. Die Sonderstellung der »türkischen« Juden 74
  21. Die Entwicklung von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft in der Epoche des Ausgleichs 77
  22. Der Anteil der Juden an den Einbürgerungen 77
  23. Die Vermehrung der jüdischen Bevölkerung in Cisleithanien 80
  24. Die rechtliche Gleichstellung der Juden durch das Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger im Dezember 1867 82
  25. Rückkehr in die »verbotene Stadt« 83
  26. Paradoxe Fremde 85
  27. Die dualistische Verschärfung 86
  28. Motive für den Erwerb von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft 88
  29. Heimatrecht und Staatsbürgerschaft jüdischer Frauen 90
  30. Heimatrecht und soziale Frage 91
  31. Der Fall Dr. Hugo Stark 92
  32. Der Fall Julia Singer 93
  33. Der Fall Lea Weitzmann 95
  34. »Schutzgenossen« und »Untertanen de facto« 96
  35. Zur Ambivalenz von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft 97
  36. Die Nationalitätenkonflikte der Verfassungszeit und die (sprach-)nationale Identität der Juden 100
  37. Kafkas Sprachen 100
  38. Die Bedeutung von Bildung im Judentum 103
  39. Sprache, Nationalität und Recht im Unterrichtswesen 105
  40. Jüdische Kinder in den Mühlen des Nationalitätenkampfes 109
  41. Der Anteil jüdischer Schüler am höheren Bildungswesen 112
  42. Sprachen, Nationalitäten, Identitäten 114
  43. Das mehrsprachige Unterrichtswesen in der Bukowina 115
  44. Der Verdacht gegen die Mehrsprachigkeit 116
  45. Die Ethnisierung der Nationalitätenkonflikte 117
  46. Die Wiederkehr der »Judenfrage« in der Epoche des Ausgleichs 119
  47. Juden im Ersten Weltkrieg 130
  48. Theorie und Praxis von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft in der Ersten Republik 132
  49. Die Aus- und Einbürgerungen des autoritären Ständestaates 141
  50. Verfolgung, Vertreibung, Ausbürgerung, Vernichtung während der NS-Herrschaft 146
  51. Die Implementierung der Nürnberger Gesetze in Österreich 146
  52. Signaturen der Vertreibung 152
  53. Die Ausbürgerung und der Befehl zur »Endlösung« 155
  54. Die Wiederherstellung der Staatsbürgerschaft in der Zweiten Republik 166
  55. Der Fall Raviv 172
  56. Staatenlosigkeit als Massenschicksal 187
  57. Der Fall Elias Canetti 188
  58. Der Fall Manès Sperber 200
  59. Semantische Nachbemerkungen 213
  60. Verzeichnis der Archive 222
  61. Literaturverzeichnis 223
  62. Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen 244
  63. Zeittafel 245
  64. Register 264
  65. Personen 264
  66. Orte 269
  67. Sachen 271
Web-Books
Bibliothek
Datenschutz
Impressum
Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Heimatrecht und Staatsbürgerschaft österreichischer Juden