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Die Familie Angielini und ihr kartografisches Schaffen | 77
Unter Kurfürst August erfolgte bald ein Nach- und Aufholprozess. Er hatte bereits
1555 den Leipziger Mathematikprofessor Johannes Humelius mit Vermessungsarbei-
ten beauftragt, der vor seinem Tod (1562) noch eine Reihe aufwendig gestalteter far-
biger Karten kurfürstlicher Wälder abschließen konnte. Im ältesten erhaltenen Kunst-
kammerinventar von 1587, das ein Jahr nach Augusts Ableben dessen Sammlungen
ganz wunderbar dokumentiert, wird erwähnt, dass der Kurfürst eine dieser Spezialkar-
ten, eine ufgetzogene Holzmappe der Annaburger Heide, selbst verfertigt hat. Nicht zu-
letzt, um Vermessungen einfacher und effizienter zu gestalten, ließ sich der sächsische
Kurfürst einen Wegmesser für die Kutsche anfertigen, der ähnlich einem modernen
Kilometerzähler die zurückgelegte Strecke misst.248 Trotz dieser auffälligen Freude an
technischen Innovationen und dem Streben nach Erfassung seines Landes – was wei-
terhin vorwaltete, war das strikte Bestreben des Kurfürsten, kartografische Operate
zwar für seinen persönlichen Gebrauch zu besitzen, sie aber eben nicht im Druck ver-
öffentlichen zu lassen und damit geheimzuhalten. Zu einer Wende sollte es erst unter
Augusts Sohn Kurfürst Christian (1586–1591) kommen, der schon im Frühjahr 1586
die Anfertigung einer Mappa unsers ganzen Landes Umbkreiße beauftragte.249
Das schon erwähnte Kunstkammerinventar, ebenfalls unter Kurfürst Christian 1587
angelegt, beweist, dass die beiden Dresdner »Angielini«-Atlanten zum ältesten Be-
stand der unter Kurfürst August ins Leben gerufene Kunstkammer250 gehörten. Mit
gutem Grund wird die Dresdner Kunstkammer in ihrer Frühzeit nicht nur als Proto-
typensammlung für technisches Gerät bezeichnet, sie entwickelte zugleich »Züge ei-
nes kartographischen Musterarchivs für die kursächsische Landesvermessung«251. Das
248 Geräte zur Distanzmessung, sogenannte Hodometer, waren schon in der Antike in Gebrauch. Im Zeit-
alter der Renaissance sind Überlegungen zur Herstellung derartiger Geräte im Renaissancezeitalter
von Leon Battista Alberti und Leonardo da Vinci bekannt, vgl. Schulz, La veduta, 19.
249 Vgl. zu diesen Ausführungen Dolz, Herausbildung des albertinischen Sachsen, 13–14, Ders., Von
den Gelehrtenkarten zur ersten Landesvermessung, 19–25, Ders., Kurfürst Augusts Wegmesser, 44–
53, Fritz, Die Kunstkammer und das Reißgemach, 14–18, Dies., Wissensaustausch mit anderen Höfen,
53–56, Wiegand, Johannes Humelius, 25–28, Ders., »ufgetzogene Holzmappe«, 32–34, und Ders.,
Die erste Landesaufnahme von Sachsen, 73–78. – Zur Entwicklung der Kartografie für den kursächsi-
schen Bereich in der Frühzeit vgl. Bönisch u. a. (Hgg.), Kursächsische Kartographie.
250 Wiegand, Kunstkammer, 404, zeigt, dass die organisatorischen Anfänge dieser Institution zwischen
1560 und 1575 gelegt wurden und David Uslaub 1572 unter dem Titel »Kunstkämmerer« zum ersten
Vorstand derselben bestellt wurde. – Zum Kunstkammerinventar von 1640, aus dem hervorgeht, dass
im fünfte(n) gross Gemach gegen dem Zwinger … allerley Mathematische Bücher, Instrumenta und Land-
carten zufinden, darunter unter Nr. 787 (bzw. im Hinblick auf die Objekte in diesem Gemach Nr. 24)
Ungarische gerißene und Illuminirte Vestung (= die beiden »Angielini«-Atlanten Dresden Nr. 11 und Nr.
6) verwahrt wurden, vgl. jetzt Marx/Plassmeyer (Hgg.), Sehen und Staunen, 253 (Edition) und
459 Nr. 87 (Erläuterungen).
251 Wiegand, Kunstkammer, 422.
Wien als Festungsstadt im 16.Jahrhundert
Zum kartografischen Werk der Mailänder Familie Angielini
- Titel
- Wien als Festungsstadt im 16.Jahrhundert
- Untertitel
- Zum kartografischen Werk der Mailänder Familie Angielini
- Autoren
- Ferdinand Opll
- Heike Krause
- Christoph Sonnlechner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20210-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 586
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Inhalt
- Einleitung 9
- Die Angielinis, ihr Werk und Wirken 10
- Wien als Festungsstadt 13
- Terminologie und Onomastik 14
- Internet 16
- Abbildungen 17
- Dank 17
- 1 Die Familie Angielini und ihr kartografisches Schaffen 21
- 1.1 Biografisches 21
- 1.2 Das beruflich-persönliche Umfeld der Angielinis 38
- 1.3 Das kartografische Werk der Familie Angielini 44
- 1.4 Die Überlieferungen der »Angielini«-Atlanten in Wien, Dresden und Karlsruhe 51
- 1.5 Exkurs : Die in den fünf »Angielini«-Atlanten vorkommenden Wasserzeichen 52
- 1.6 Analyse und Autopsie der fünf »Angielini«-Atlanten 59
- 2 Der in den »Angielini«-Atlanten erfasste Raum 87
- 3 Der ungarische Raum und die Stadt Wien in frühen kartografischen Zeugnissen 101
- 4 Der frühneuzeitliche Festungsbau in Theorie und Praxis 127
- 5 Wien wird Festungsstadt – Der Ausbau nach der Belagerung von 1529 bis in die Mitte der 1560er Jahre 147
- 5.1 Die fortifikatorischen Folgen der Ersten Türkenbelagerung von Wien im Jahr 1529 147
- 5.2 Der Festungsbau aus umwelthistorischer Perspektive 197
- 6 Autopsie und Kontextualisierung der drei »Angielini«-Pläne von Wien 221
- 6.1 Das weitere Umfeld – eine Annäherung an die Stadt 221
- 6.2 Die unmittelbare Umgebung der Stadt 228
- 6.3 Die Befestigung 250
- 6.3.1 Bastei bei dem Burgtor 252
- 6.3.2 Bastei zwischen Burg- und Schottentor 255
- 6.3.3 Bastei beim Schottentor 258
- 6.3.4 Elendbastei 261
- 6.3.5 Arsenal und Reste der mittelalterlichen Stadtmauer 263
- 6.3.6 Neutorbastei 267
- 6.3.7 Mittelalterliche Stadtmauer zwischen Werdertor und Piattaforma samt neuer Kurtine 268
- 6.3.8 Piattaforma 268
- 6.3.9 Mittelalterliche Stadtmauer zwischen Piattaforma und Biberbastei 270
- 6.3.10 Biberbastei 272
- 6.3.11 Bastei bei den Predigern 274
- 6.3.12 Stubentor und angrenzende Kurtinen 277
- 6.3.13 Untere Paradeisbastei 278
- 6.3.14 Unteres Zeughaus auf der Seilerstätte 281
- 6.3.15 Obere Paradeisbastei 282
- 6.3.16 Bastei beim Kärntner Tor 286
- 6.3.17 Mittelalterliche Stadtmauer und sogenannter Augustinerturm 290
- 6.3.18 Stadtgraben 292
- 6.3.19 Resümee 293
- 6.4 Das Stadtinnere 294
- 7 Zusammenfassung und Summary 305
- 8 Tafeln 313
- 9 Anhang 325
- 9.1 Die mit dem kartografischen Schaffen der Familie Angielini in Verbindung stehenden kartografischen Darstellungen 325
- 9.2 Anzahl der in den »Angielini«-Atlanten enthaltenen Stadtpläne, Festungsgrundrisse und -schrägansichten 457
- 9.3 Reihenfolge der in den Überlieferungen der »Angielini«-Atlanten enthaltenen kartografischen Darstellungen 459
- 9.4 Konkordanz der in den Stadtplänen, Festungsgrundrissen und -schrägansichten der »Angielini«-Atlanten verwendeten Ortsnamen 462
- 9.5 Italienische Festungsbaumeister des 16. Jahrhunderts (bis ca. 1580) und ihre Einsatzgebiete im habsburgisch-osmanischen Grenzbereich 466
- 9.6 Festungsbautraktate des 15. und 16. Jahrhunderts und ihre Autoren 479
- 9.7 Chronologisches Verzeichnis der im Buch häufig verwendeten Wien-Pläne und Wien-Ansichten (15.‒18. Jahrhundert) 483
- 10 Glossar 494
- 11 Verzeichnisse 499