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132 | Ferdinand Opll
offensiv vorzugehen. Die eigentliche Ursache für die Entwicklung der neuen Defen-
sivsysteme lag im Aufkommen der neuen Angriffswaffen der Artillerie, wobei nicht
zuletzt die Verwendung von Stein- oder Metallkugeln eine große Rolle spielte. In
Reaktion auf diese Neuerungen entstand die Bastion, die im Vergleich mit den älteren
Türmen im Zuge von Stadtmauern nicht nur für die Verteidigung, sondern auch für
die Attacke, den Angriff auf den Feind, verwendet werden konnte.29 Im Zuge der wei-
teren Ausbildung des Bastionärsystems wurden von neuem Erdwälle zu maßgeblichen
Bestandteilen der Konstruktion. In veränderter, breiterer Form waren sie besser geeig-
net, Artilleriebeschuss standzuhalten, als dies bei schwach dimensionierten Mauern
der Fall war.30 Rasch sollte sich diese neue Festungsart ausbreiten, und ihre Anfänge
hat man schon im 16. Jahrhundert mit einigem Eifer dingfest zu machen versucht.31
Niemand Geringerer als Giorgio Vasari (1511–1574), der im Jahre 1550 in Florenz
sein großes Werk mit Lebensbeschreibungen der Künstler seit Cimabue publizierte,
aber auch selbst als Maler und Architekt aktiv war,32 hat Michele Sanmicheli, den
Erneuerer der Veroneser Stadtbefestigung, als den Erfinder bezeichnet, doch existier-
ten bereits vor dessen Schaffenszeit eine Reihe von Festungsanlagen mit polygonalen
Bastionen. Der im Verhältnis zu Vasari jüngere Florentiner Militärarchitekt Buon-
aiuto Lorini33 schrieb die Erfindung dagegen den Franzosen zu. Auch die moderne
wissenschaftliche Literatur34 hat bisher keine eindeutige, über allen Zweifel erhabene
Zuweisung vornehmen können, wenngleich Namen wie der des Francesco di Giorgio
und die der Familie Sangallo vor allen anderen genannt werden.
In zeitlicher wie in theoretischer Hinsicht hat in jedem Fall die bereits im frühen
15. Jahrhundert einsetzende Auseinandersetzung mit dem Werk »De architectura libri
decem« des römischen Architekten und Architekturtheoretikers des ersten vorchrist-
lichen Jahrhunderts Marcus Vitruvius Pollio, gen. Vitruv, die Bedeutung einer regel-
rechten Initialzündung für eine intensivere Beschäftigung auch mit Wehrbauten als
Aufgabe der Architektur.35 Für Vitruv standen dabei die Wehrtürme im Zentrum des
29 Vgl. Hale, Development of the bastion, 475 : »The tower was basically a defensive, the bastion an aggres-
sive form.«
30 Vgl. Schweizer, Repräsentation und Funktion, 30 und 32.
31 Zum Folgenden vgl. Reinisch, Angst, 269–271.
32 Vgl. zu ihm die Hinweise bei Frommel, Architektur der Renaissance, 249 f.
33 Vgl. zu ihm Doti, Lorini ; auch Büchi, Fortifikationsliteratur, 53, und insbesondere 115‒145.
34 Büchi, Fortifikationsliteratur, 54, weist jüngst darauf hin, dass spitze Bollwerke in Nord- und Südeuropa
bereits in der mittelalterlichen Baukunst vorkamen.
35 Die Entdeckung der Vitruv-Überlieferung – vor allem auch in deutschen Klöstern gab es zahlreiche
Vitruv-Handschriften – geht auf den Fund zurück, den Poggio Bracciolini gemeinsam mit seinen Kolle-
gen 1416 in St. Gallen machte, vgl. dazu Oechslin, »Vitruvianismus«, 53.
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Wien als Festungsstadt im 16.Jahrhundert
Zum kartografischen Werk der Mailänder Familie Angielini
- Titel
- Wien als Festungsstadt im 16.Jahrhundert
- Untertitel
- Zum kartografischen Werk der Mailänder Familie Angielini
- Autoren
- Ferdinand Opll
- Heike Krause
- Christoph Sonnlechner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20210-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 586
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Inhalt
- Einleitung 9
- Die Angielinis, ihr Werk und Wirken 10
- Wien als Festungsstadt 13
- Terminologie und Onomastik 14
- Internet 16
- Abbildungen 17
- Dank 17
- 1 Die Familie Angielini und ihr kartografisches Schaffen 21
- 1.1 Biografisches 21
- 1.2 Das beruflich-persönliche Umfeld der Angielinis 38
- 1.3 Das kartografische Werk der Familie Angielini 44
- 1.4 Die Überlieferungen der »Angielini«-Atlanten in Wien, Dresden und Karlsruhe 51
- 1.5 Exkurs : Die in den fünf »Angielini«-Atlanten vorkommenden Wasserzeichen 52
- 1.6 Analyse und Autopsie der fünf »Angielini«-Atlanten 59
- 2 Der in den »Angielini«-Atlanten erfasste Raum 87
- 3 Der ungarische Raum und die Stadt Wien in frühen kartografischen Zeugnissen 101
- 4 Der frühneuzeitliche Festungsbau in Theorie und Praxis 127
- 5 Wien wird Festungsstadt – Der Ausbau nach der Belagerung von 1529 bis in die Mitte der 1560er Jahre 147
- 5.1 Die fortifikatorischen Folgen der Ersten Türkenbelagerung von Wien im Jahr 1529 147
- 5.2 Der Festungsbau aus umwelthistorischer Perspektive 197
- 6 Autopsie und Kontextualisierung der drei »Angielini«-Pläne von Wien 221
- 6.1 Das weitere Umfeld – eine Annäherung an die Stadt 221
- 6.2 Die unmittelbare Umgebung der Stadt 228
- 6.3 Die Befestigung 250
- 6.3.1 Bastei bei dem Burgtor 252
- 6.3.2 Bastei zwischen Burg- und Schottentor 255
- 6.3.3 Bastei beim Schottentor 258
- 6.3.4 Elendbastei 261
- 6.3.5 Arsenal und Reste der mittelalterlichen Stadtmauer 263
- 6.3.6 Neutorbastei 267
- 6.3.7 Mittelalterliche Stadtmauer zwischen Werdertor und Piattaforma samt neuer Kurtine 268
- 6.3.8 Piattaforma 268
- 6.3.9 Mittelalterliche Stadtmauer zwischen Piattaforma und Biberbastei 270
- 6.3.10 Biberbastei 272
- 6.3.11 Bastei bei den Predigern 274
- 6.3.12 Stubentor und angrenzende Kurtinen 277
- 6.3.13 Untere Paradeisbastei 278
- 6.3.14 Unteres Zeughaus auf der Seilerstätte 281
- 6.3.15 Obere Paradeisbastei 282
- 6.3.16 Bastei beim Kärntner Tor 286
- 6.3.17 Mittelalterliche Stadtmauer und sogenannter Augustinerturm 290
- 6.3.18 Stadtgraben 292
- 6.3.19 Resümee 293
- 6.4 Das Stadtinnere 294
- 7 Zusammenfassung und Summary 305
- 8 Tafeln 313
- 9 Anhang 325
- 9.1 Die mit dem kartografischen Schaffen der Familie Angielini in Verbindung stehenden kartografischen Darstellungen 325
- 9.2 Anzahl der in den »Angielini«-Atlanten enthaltenen Stadtpläne, Festungsgrundrisse und -schrägansichten 457
- 9.3 Reihenfolge der in den Überlieferungen der »Angielini«-Atlanten enthaltenen kartografischen Darstellungen 459
- 9.4 Konkordanz der in den Stadtplänen, Festungsgrundrissen und -schrägansichten der »Angielini«-Atlanten verwendeten Ortsnamen 462
- 9.5 Italienische Festungsbaumeister des 16. Jahrhunderts (bis ca. 1580) und ihre Einsatzgebiete im habsburgisch-osmanischen Grenzbereich 466
- 9.6 Festungsbautraktate des 15. und 16. Jahrhunderts und ihre Autoren 479
- 9.7 Chronologisches Verzeichnis der im Buch häufig verwendeten Wien-Pläne und Wien-Ansichten (15.‒18. Jahrhundert) 483
- 10 Glossar 494
- 11 Verzeichnisse 499