Seite - 13 - in Zeitwesen - Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
Bild der Seite - 13 -
Text der Seite - 13 -
13Einleitung
|
die versteht sich dabei nicht als Diskursanalyse im Sinne einer Methode, in der die
Untersuchung semantischer Fragestellungen dominiert. Es geht vielmehr darum,
vor der Folie des Diskursbegriffs die Rolle der ProtagonistInnen in einem klassisch
hermeneutischen Zugang zu analysieren.
Methodisch bildete die Auseinandersetzung mit auto/biographischen Doku-
menten die Basis der vorliegenden Analyse, um primär die Selbstwahrnehmung
und die auto/biographischen Strategien der ProtagonistInnen abbilden zu können.
Ausgewählt für die Studie wurden fünf Künstlerpersönlichkeiten, deren zentrale
Schaffensperiode sich vom beginnenden 20. Jahrhundert bis zur Zeit des Nati-
onalsozialismus und Zweiten Weltkriegs sowie gegebenenfalls darüber hinaus
erstreckte, das heißt KünstlerInnen, die etwa zwischen 1880 und 1900 geboren
waren. Auf den konkreten Auswahlprozess werde ich an späterer Stelle noch nä-
her eingehen, hier soll der Blick zunächst noch auf den Untersuchungs(zeit)raum
gelenkt werden.
Von der Jahrhundertwende weg erlebte die österreichische Bevölkerung schnell
aufeinanderfolgende einschneidende Zäsuren: den Ersten Weltkrieg, das Ende der
k. u. k. Monarchie, die Etablierung der Republik, den Übergang in den autoritären
„Ständestaat“ und die Machtübernahme der Nationalsozialisten. Ausgehend von der
eingangs skizzierten apolitischen Künstlerattitüde gehe ich von der Annahme aus,
dass diese genau in jenen Jahrzehnten des frühen 20. Jahrhunderts immer schwerer
aufrechtzuerhalten war und spätestens mit dem Nationalsozialismus eine nachhal-
tige Änderung erfahren musste. Parallel zum politischen vollzog sich ein tiefgreifen-
der gesellschaftlicher Wandel – etwa im Bereich der Geschlechterverhältnisse oder
der zunehmenden Technisierung und Beschleunigung –, dem in der vorliegenden
Studie ebenso nachgespürt wird. Interessiert hat mich dabei die Frage, ob Künst-
lerInnen innerhalb dieses Wandlungsprozesses eine spezielle Rolle einnahmen. Ich
gehe davon aus, dass KünstlerInnen in Bezug auf gesellschaftliche Neuerungen prin-
zipiell größere Freiräume zugestanden werden. Einem Außenseiter- oder Exzentri-
kerstereotyp folgend war es für KünstlerInnen – um ein Beispiel zu nennen – um
1910 leichter oder naheliegender, sich dem Buddhismus zuzuwenden als für Perso-
nen, die dem bürgerlichen Milieu verhaftet waren.
Die Fragestellung nach den gesellschaftlichen Wandlungsprozessen und damit
zusammenhängenden Diskursen ist dabei zutiefst verbunden mit der Frage nach
dem politischen Verhalten von KünstlerInnen. Der Versuch, politische Haltungen
festzumachen, wird oftmals in einem zu engen Rahmen angesetzt. Eine analytische
Ausweitung auf zunächst nicht explizit politisch erscheinende Diskurse kann das
Bild überraschend verändern. Um auch hier wieder ein konkretes Beispiel zu nen-
nen: Während sich aus der kunst- und kulturpolitischen Haltung Alfred Kubins auf
Open-Access-Publikation im Sinne der Lizenz CC BY 4.0
Zeitwesen
Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Titel
- Zeitwesen
- Untertitel
- Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Autor
- Birgit Kirchmayr
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23310-7
- Abmessungen
- 17.3 x 24.5 cm
- Seiten
- 468
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 11
- Fragestellung und Ausgangsthesen 11
- Theoretische Bezugsrahmen 14
- Quellen 17
- „Zeitwesen“ oder: die ProtagonistInnen 20
- 1 Auto/Biographieforschung – KünstlerInnenforschung 33
- 2 KünstlerInnen über sich 79
- 2.1 Alfred Kubin – ein autobiographical life 80
- 2.2 Oskar Kokoschka – der biographische „Jongleur“ 105
- 2.3 Aloys Wach – Selbstbespiegelungen eines Suchenden 136
- 2.4 Erika Giovanna Klien – Autobiographische Fragmente 150
- 2.5 Margret Bilger – Autobiographisches wider Willen 164
- 2.6 Erstes Resümee oder: Wie KünstlerInnen über sich schreiben und dabei „biographische Formeln“ verwenden 175
- 3 KünstlerInnen und gesellschaftliche Diskurse 179
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 3.1.1 Alfred Kubin und die Misogynie der Moderne 185
- 3.1.2 „Mörder, Hoffnung der Frauen“: Oskar Kokoschka und die (modernen) Amazonen 206
- 3.1.3 Erika Giovanna Klien – schwierige Emanzipationswege einer „neuen“ Frau 214
- 3.1.4 Zerrissenheit und Identitätssuche – Geschlechterbilder bei Margret Bilger 220
- 3.2 Geschwindigkeit – Fortschrittseuphorie versus Kulturpessimismus 232
- 3.2.1 Alfred Kubins Traumstadt „Perle“ als Versuchsstation der Fortschrittsverweigerung 236
- 3.2.2 „Im Riesengefängnis New York“: Erika Giovanna Klien und ihr Verhältnis zu Stadt, Geschwindigkeit und Technik 245
- 3.2.3 Der Rückzug aufs Land: Alfred Kubin und Margret Bilger 256
- 3.2.4 „Haste nicht und raste nie. Sonst hastet die Neurasthenie“: ein Exkurs zum Nervendiskurs 264
- 3.3 Esoterik – Spirituelle Sinnsuche im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert 271
- 3.4. Zweites Resümee oder: Welche Diskurse der Moderne die KünstlerInnen bewegten 308
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis zum Nationalsozialismus 313
- 4.1 Die Legende vom unpolitischen Künstler – Zum Verständnis von Kunst und Politik bis 1945 315
- 4.2 Erster Weltkrieg und das Ende der k. u. k. Monarchie 319
- 4.3 Zwischen den Kriegen: Revolution(en), Republik(en), „Ständestaat“ 349
- 4.3.1 Der „Kunstlump“ – Oskar Kokoschka und die (deutsche) Revolution 353
- 4.3.2 Aloys Wach und die Münchner Räterepublik 360
- 4.3.3 Aus der Distanz: Erika Giovanna Klien und die österreichische Zwischenkriegszeit 368
- 4.3.4 „Weil ich nicht in der Vaterlandspartei bin“: Positionen zum „Ständestaat“ bei Oskar Kokoschka und Alfred Kubin 373
- 4.4 Nationalsozialismus 382
- 4.4.1 „… diese stummen Geister der Auflehnung“: Alfred Kubin und der Nationalsozialismus 385
- 4.4.2 Oskar Kokoschka: Selbstbildnis eines „entarteten“ Künstlers 397
- 4.4.3 „22° Waage“: Aloys Wach und der Nationalsozialismus 404
- 4.4.4 „… hätte ich aber die conträren Gesinnungen“: Margret Bilger und der Nationalsozialismus 409
- 4.5 Drittes Resümee oder: Wie politisch waren die „unpolitischen“ KünstlerInnen? 422
- Dank 426
- Abkürzungsverzeichnis 428
- Tabellen- und Abbildungsverzeichnis 429
- Quellen- und Literaturverzeichnis 431
- Archive und Sammlungen 431
- Zeitungen/Zeitschriften/Jahrbücher 432
- Literatur und gedruckte Quellen 432
- Personenregister 463