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15Einleitung
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Methodisch steht die Arbeit mit auto/biographischen Quellen im Mittelpunkt.
Über die angemessene Methode des auto/biographischen Schreibens und des Um-
gangs mit auto/biographischen Quellen ist schon seit dem 19. Jahrhundert viel re-
flektiert worden, und gerade in jüngster Zeit erfolgten zentrale Anstöße der Biogra-
phieforschung, die nicht zuletzt aus der radikalen Kritik und Infragestellung durch
die Postmoderne rühren. Auto/biographische Konzepte, die aus den aktuellen Me-
thoden- und Theoriediskussionen ihr toolkit5 beziehen und im Wesentlichen auf der
Grundannahme eines aktiven Selektions- und Konstruktionsprozesses in der auto/
biographischen Arbeit beruhen, bestimmen meinen Forschungszugang. Einige An-
sätze erwiesen sich für meine Fragestellung als besonders produktiv. Zu nennen sind
hier vor allem Liz Stanleys Überlegungen zum auto/biographical I und Carl Pletschs
Konzept des autobiographical life.
Die englische Soziologin Liz Stanley lieferte mit ihrem 1992 erschienenen Band
„The Auto/Biographical I“ einen zentralen Beitrag zur Debatte um das auto/biogra-
phische Subjekt.6 Sie verwehrt sich darin gegen die gängige Praxis des unsichtbaren
und gleichzeitig allwissenden Biographen, dessen eigene Position nicht sichtbar ge-
macht und reflektiert wird. In ihre Kritik schließt sie die Autobiographie mit ein, die
sich genau wie die Biographie als Ergebnis einer Selektions- und Konstruktionsleis-
tung des Autors oder der Autorin präsentiert. Ausgehend von einem Verständnis
von Autobiographik, das die Genregrenzen öffnen möchte („There are many forms
that writing a life can take“),7 verweist Stanley auf die zentrale Rolle, die lebens-
geschichtliche AutorInnen einnehmen, indem sie aus einer unendlichen Fülle an
Lebensereignissen und -erfahrungen, die bereits durch den Gedächtnisprozess
nur mehr selektiv und fragmentiert vorhanden sind, eine weitere Selektions- und
schließlich Konstruktionsaufgabe übernehmen.
Stanleys Zugang zu auto/biographischer Forschung wurde für die vorliegende
Studie mit einem Konzept kombiniert, das sich für die Analyse der ausgewählten
Künstlerbiographien als besonders gewinnbringend erwies: Carl Pletschs These
eines autobiographical life.8 Ausgehend von der biographischen Beschäftigung mit
Friedrich Nietzsche entwickelte der amerikanische Historiker ein Modell, das seinen
Ursprung in der Auseinandersetzung mit der Geniekonzeption des 19.
Jahrhunderts
5 Sidonie Smith/Julia Watson (Hg.), Reading autobiography. A Guide for Interpreting Life Narrati-
ves, Minneapolis 2010, 235 ff.
6 Liz Stanley, The Auto/Biographical I. The Theory and Practice of Feminist Auto/Biography, Man-
chester, New York 1995, 3.
7 Stanley, The Auto/Biographical I, 124.
8 Carl Pletsch, On the Autobiographical Life of Nietzsche, in: George Moraitis/George H. Pollock
(Hg.), Psychoanalytic Studies of Biography, Madison 1987, 405–444.
Open-Access-Publikation im Sinne der Lizenz CC BY 4.0
Zeitwesen
Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Titel
- Zeitwesen
- Untertitel
- Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Autor
- Birgit Kirchmayr
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23310-7
- Abmessungen
- 17.3 x 24.5 cm
- Seiten
- 468
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 11
- Fragestellung und Ausgangsthesen 11
- Theoretische Bezugsrahmen 14
- Quellen 17
- „Zeitwesen“ oder: die ProtagonistInnen 20
- 1 Auto/Biographieforschung – KünstlerInnenforschung 33
- 2 KünstlerInnen über sich 79
- 2.1 Alfred Kubin – ein autobiographical life 80
- 2.2 Oskar Kokoschka – der biographische „Jongleur“ 105
- 2.3 Aloys Wach – Selbstbespiegelungen eines Suchenden 136
- 2.4 Erika Giovanna Klien – Autobiographische Fragmente 150
- 2.5 Margret Bilger – Autobiographisches wider Willen 164
- 2.6 Erstes Resümee oder: Wie KünstlerInnen über sich schreiben und dabei „biographische Formeln“ verwenden 175
- 3 KünstlerInnen und gesellschaftliche Diskurse 179
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 3.1.1 Alfred Kubin und die Misogynie der Moderne 185
- 3.1.2 „Mörder, Hoffnung der Frauen“: Oskar Kokoschka und die (modernen) Amazonen 206
- 3.1.3 Erika Giovanna Klien – schwierige Emanzipationswege einer „neuen“ Frau 214
- 3.1.4 Zerrissenheit und Identitätssuche – Geschlechterbilder bei Margret Bilger 220
- 3.2 Geschwindigkeit – Fortschrittseuphorie versus Kulturpessimismus 232
- 3.2.1 Alfred Kubins Traumstadt „Perle“ als Versuchsstation der Fortschrittsverweigerung 236
- 3.2.2 „Im Riesengefängnis New York“: Erika Giovanna Klien und ihr Verhältnis zu Stadt, Geschwindigkeit und Technik 245
- 3.2.3 Der Rückzug aufs Land: Alfred Kubin und Margret Bilger 256
- 3.2.4 „Haste nicht und raste nie. Sonst hastet die Neurasthenie“: ein Exkurs zum Nervendiskurs 264
- 3.3 Esoterik – Spirituelle Sinnsuche im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert 271
- 3.4. Zweites Resümee oder: Welche Diskurse der Moderne die KünstlerInnen bewegten 308
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis zum Nationalsozialismus 313
- 4.1 Die Legende vom unpolitischen Künstler – Zum Verständnis von Kunst und Politik bis 1945 315
- 4.2 Erster Weltkrieg und das Ende der k. u. k. Monarchie 319
- 4.3 Zwischen den Kriegen: Revolution(en), Republik(en), „Ständestaat“ 349
- 4.3.1 Der „Kunstlump“ – Oskar Kokoschka und die (deutsche) Revolution 353
- 4.3.2 Aloys Wach und die Münchner Räterepublik 360
- 4.3.3 Aus der Distanz: Erika Giovanna Klien und die österreichische Zwischenkriegszeit 368
- 4.3.4 „Weil ich nicht in der Vaterlandspartei bin“: Positionen zum „Ständestaat“ bei Oskar Kokoschka und Alfred Kubin 373
- 4.4 Nationalsozialismus 382
- 4.4.1 „… diese stummen Geister der Auflehnung“: Alfred Kubin und der Nationalsozialismus 385
- 4.4.2 Oskar Kokoschka: Selbstbildnis eines „entarteten“ Künstlers 397
- 4.4.3 „22° Waage“: Aloys Wach und der Nationalsozialismus 404
- 4.4.4 „… hätte ich aber die conträren Gesinnungen“: Margret Bilger und der Nationalsozialismus 409
- 4.5 Drittes Resümee oder: Wie politisch waren die „unpolitischen“ KünstlerInnen? 422
- Dank 426
- Abkürzungsverzeichnis 428
- Tabellen- und Abbildungsverzeichnis 429
- Quellen- und Literaturverzeichnis 431
- Archive und Sammlungen 431
- Zeitungen/Zeitschriften/Jahrbücher 432
- Literatur und gedruckte Quellen 432
- Personenregister 463