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Einleitung18
ich damit ebenso die scharfe Grenzziehung von biographisch und autobiographisch
in Frage stellen. Andererseits verwende ich den Doppelbegriff in dieser Studie im-
mer auch dann, wenn sowohl klassisch „biographische“ wie „autobiographische“
Quellen gemeint sind. Handelt es sich bei einer Quelle aber im Konkreten um eine
Autobiographie oder Biographie im klassischen Genre-Sinne, verzichte ich anders
als Stanley zur besseren Verständlichkeit auf den Doppelbegriff.
Wichtig im quellenanalytischen Zugang ist mir zudem die Thematik von Nachläs-
sen. Gerade in Bezug auf Künstlernachlässe erweist sich die archivalische Situation
großteils als unbefriedigend. Nicht nur fehlt in Österreich eine Institution, die sich
der Sammlung und Erschließung von Nachlässen bildender KünstlerInnen widmet,
wie es beispielsweise im Fall von SchriftstellerInnen in Form des Österreichischen
Literaturarchivs besteht. Viele Nachlassbestände von KünstlerInnen befinden sich
in Privatbesitz, ihr Vorhandensein muss daher zunächst einmal überhaupt festge-
stellt werden, der Zugang zum Material stellt dann oft ein weiteres Problem dar. Die
Überlieferungsgeschichte von in Nachlässen befindlichen Dokumenten ist zumeist
schlecht oder gar nicht dokumentiert, sowohl in öffentlichen Archiven und noch
viel mehr in Privatarchiven. Es war mir für diese Studie wichtig, dieser Frage beson-
dere Aufmerksamkeit zu widmen und möglichst minutiös nachzuverfolgen, welche
Dokumente zu welcher Zeit an welche Orte kamen und welche AkteurInnen diesen
Weg beeinflussten.13 Das konnte nicht in allen Fällen gelingen, manches Geheimnis
um die Herkunft und den Weg einer Quelle blieb bestehen. Klar ist, dass es sich bei
den überlieferten Quellen immer nur um fragmentarische Bestände handelt, nicht
selten ist dem Zufall geschuldet, was erhalten blieb und was verloren ging. Im Be-
wusstsein um den konstruktivistischen Charakter von Geschichtsschreibung ver-
stehe ich das Wissen um die Fragmenthaftigkeit von Quellen als wichtiges Korrektiv
in Bezug auf überstürzte Schlüsse und Analysen im eigenen historiographischen
Narrativ.
Im Konkreten erwies sich die Quellensituation in Bezug auf die analysierten
KünstlerInnen naturgemäß sehr unterschiedlich. Wenig überraschend findet sich
ein umfassender Quellenbestand zu den aus kunsthistorischer Perspektive betrach-
tet „berühmteren“ Persönlichkeiten Alfred Kubin und Oskar Kokoschka. Die Über-
13 Zum steigenden Bewusstsein in Bezug auf die Genese von Nachlässen vgl. Bernold/Gehmacher,
Auto/Biographie und Frauenfrage; Wilhelm Füßl, Übrig bleibt, was übrig bleiben soll. Zur Kon-
struktion von Biografien durch Nachlässe, in: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 37 (2014) 3,
240–262. Vgl. auch 9. Workshop des Netzwerks Biographieforschung an der Universität Wien am
22.4.2016: Der Nachlass – Ergebnis von Strategien, Konventionen, Routinen und Zufällen?, https://
biographieforschung.univie.ac.at (2.9.2019).
Open-Access-Publikation im Sinne der Lizenz CC BY 4.0
Zeitwesen
Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Titel
- Zeitwesen
- Untertitel
- Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Autor
- Birgit Kirchmayr
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23310-7
- Abmessungen
- 17.3 x 24.5 cm
- Seiten
- 468
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 11
- Fragestellung und Ausgangsthesen 11
- Theoretische Bezugsrahmen 14
- Quellen 17
- „Zeitwesen“ oder: die ProtagonistInnen 20
- 1 Auto/Biographieforschung – KünstlerInnenforschung 33
- 2 KünstlerInnen über sich 79
- 2.1 Alfred Kubin – ein autobiographical life 80
- 2.2 Oskar Kokoschka – der biographische „Jongleur“ 105
- 2.3 Aloys Wach – Selbstbespiegelungen eines Suchenden 136
- 2.4 Erika Giovanna Klien – Autobiographische Fragmente 150
- 2.5 Margret Bilger – Autobiographisches wider Willen 164
- 2.6 Erstes Resümee oder: Wie KünstlerInnen über sich schreiben und dabei „biographische Formeln“ verwenden 175
- 3 KünstlerInnen und gesellschaftliche Diskurse 179
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 3.1.1 Alfred Kubin und die Misogynie der Moderne 185
- 3.1.2 „Mörder, Hoffnung der Frauen“: Oskar Kokoschka und die (modernen) Amazonen 206
- 3.1.3 Erika Giovanna Klien – schwierige Emanzipationswege einer „neuen“ Frau 214
- 3.1.4 Zerrissenheit und Identitätssuche – Geschlechterbilder bei Margret Bilger 220
- 3.2 Geschwindigkeit – Fortschrittseuphorie versus Kulturpessimismus 232
- 3.2.1 Alfred Kubins Traumstadt „Perle“ als Versuchsstation der Fortschrittsverweigerung 236
- 3.2.2 „Im Riesengefängnis New York“: Erika Giovanna Klien und ihr Verhältnis zu Stadt, Geschwindigkeit und Technik 245
- 3.2.3 Der Rückzug aufs Land: Alfred Kubin und Margret Bilger 256
- 3.2.4 „Haste nicht und raste nie. Sonst hastet die Neurasthenie“: ein Exkurs zum Nervendiskurs 264
- 3.3 Esoterik – Spirituelle Sinnsuche im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert 271
- 3.4. Zweites Resümee oder: Welche Diskurse der Moderne die KünstlerInnen bewegten 308
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis zum Nationalsozialismus 313
- 4.1 Die Legende vom unpolitischen Künstler – Zum Verständnis von Kunst und Politik bis 1945 315
- 4.2 Erster Weltkrieg und das Ende der k. u. k. Monarchie 319
- 4.3 Zwischen den Kriegen: Revolution(en), Republik(en), „Ständestaat“ 349
- 4.3.1 Der „Kunstlump“ – Oskar Kokoschka und die (deutsche) Revolution 353
- 4.3.2 Aloys Wach und die Münchner Räterepublik 360
- 4.3.3 Aus der Distanz: Erika Giovanna Klien und die österreichische Zwischenkriegszeit 368
- 4.3.4 „Weil ich nicht in der Vaterlandspartei bin“: Positionen zum „Ständestaat“ bei Oskar Kokoschka und Alfred Kubin 373
- 4.4 Nationalsozialismus 382
- 4.4.1 „… diese stummen Geister der Auflehnung“: Alfred Kubin und der Nationalsozialismus 385
- 4.4.2 Oskar Kokoschka: Selbstbildnis eines „entarteten“ Künstlers 397
- 4.4.3 „22° Waage“: Aloys Wach und der Nationalsozialismus 404
- 4.4.4 „… hätte ich aber die conträren Gesinnungen“: Margret Bilger und der Nationalsozialismus 409
- 4.5 Drittes Resümee oder: Wie politisch waren die „unpolitischen“ KünstlerInnen? 422
- Dank 426
- Abkürzungsverzeichnis 428
- Tabellen- und Abbildungsverzeichnis 429
- Quellen- und Literaturverzeichnis 431
- Archive und Sammlungen 431
- Zeitungen/Zeitschriften/Jahrbücher 432
- Literatur und gedruckte Quellen 432
- Personenregister 463