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21Einleitung
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Wesen – Lage, Zustand, Essenz – einer Zeit. In diesem Sinne wurde das Wort von
Goethe und von Kubin gebraucht.
Für den Titel der vorliegenden Studie übernehme ich den Ausdruck in seiner
Doppeldeutigkeit und bezeichne auch die ProtagonistInnen dieser Studie als „Zeit-
wesen“. Damit soll der Fokus der vorliegenden Forschungsarbeit ausgedrückt wer-
den, der die dargestellten Künstlerpersönlichkeiten – die Wesen – mit ihrem zeitge-
nössischen diskursiven Umfeld – der Zeit – in Verbindung setzt. Aufgegriffen wird
damit eine der Grundfragen im historischen Zugang zur Auto/Biographie: der Zu-
sammenhang zwischen dem individuellen Leben und der es umgebenden zeitlich
bestimmten Sozietät.
Die „Zeitwesen“ in diesem Buch sind KünstlerInnen, die zwischen etwa 1880 und
1900 geboren wurden und die im frühen 20. Jahrhundert (manche auch noch da-
rüber hinaus) ihre künstlerische Entwicklung und Hauptschaffensperiode hatten.
Inwieweit es sich dabei um eine Generation von KünstlerInnen handelt, hängt von
dem jeweiligen Verständnis des Generationenbegriffs ab, dem bis dato keine über-
einstimmende Definition zugrunde liegt. In der gängigen Interpretation von Gene-
ration – im Sinne einer Alterskohorte – müssten Alfred Kubin (geboren 1877) und
Margret Bilger (geboren 1904) schon eher zwei Generationen zugerechnet werden –
Bilgers Vater war nur wenige Jahre älter als Kubin. Ich orientiere mich aber an einem
Generationenverständnis, das vom Erleben und der Beeinflussung durch dieselben
zentralen Ereignisse und Zäsuren ausgeht, auch wenn dies in verschiedenen Le-
bensaltern der Fall ist.19 Im Konkreten heißt dies, dass alle hier analysierten Künst-
lerInnen in der österreichischen Monarchie (sowohl räumlich wie zeitlich) gebo-
ren wurden, den Ersten Weltkrieg und die Phase der Zwischenkriegszeit bis hin zu
Nationalsozialismus und Zweiten Weltkrieg erlebt haben. Der anvisierte Zeitraum
der Geburtsjahrgänge zwischen 1880 und 1900 wurde zugunsten der Berücksichti-
gung mancher Biographien, die nur wenig außerhalb dieses Zeitraums liegen, etwas
ausgedehnt, womit sich die Geburtsjahrgänge der ausgewählten KünstlerInnen von
1877 bis 1904 erstrecken.
19 Zu den möglichen Deutungen des Begriffs Generation vgl. u.a. Ute Daniel, Kompendium Kul-
turgeschichte. Theorien, Praxis, Schlüsselwörter, Frankfurt am Main 2001; Jürgen Reulecke (Hg.),
Generationalität und Lebensgeschichte im 20. Jahrhundert, München 2003.
Open-Access-Publikation im Sinne der Lizenz CC BY 4.0
Zeitwesen
Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Titel
- Zeitwesen
- Untertitel
- Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Autor
- Birgit Kirchmayr
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23310-7
- Abmessungen
- 17.3 x 24.5 cm
- Seiten
- 468
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 11
- Fragestellung und Ausgangsthesen 11
- Theoretische Bezugsrahmen 14
- Quellen 17
- „Zeitwesen“ oder: die ProtagonistInnen 20
- 1 Auto/Biographieforschung – KünstlerInnenforschung 33
- 2 KünstlerInnen über sich 79
- 2.1 Alfred Kubin – ein autobiographical life 80
- 2.2 Oskar Kokoschka – der biographische „Jongleur“ 105
- 2.3 Aloys Wach – Selbstbespiegelungen eines Suchenden 136
- 2.4 Erika Giovanna Klien – Autobiographische Fragmente 150
- 2.5 Margret Bilger – Autobiographisches wider Willen 164
- 2.6 Erstes Resümee oder: Wie KünstlerInnen über sich schreiben und dabei „biographische Formeln“ verwenden 175
- 3 KünstlerInnen und gesellschaftliche Diskurse 179
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 3.1.1 Alfred Kubin und die Misogynie der Moderne 185
- 3.1.2 „Mörder, Hoffnung der Frauen“: Oskar Kokoschka und die (modernen) Amazonen 206
- 3.1.3 Erika Giovanna Klien – schwierige Emanzipationswege einer „neuen“ Frau 214
- 3.1.4 Zerrissenheit und Identitätssuche – Geschlechterbilder bei Margret Bilger 220
- 3.2 Geschwindigkeit – Fortschrittseuphorie versus Kulturpessimismus 232
- 3.2.1 Alfred Kubins Traumstadt „Perle“ als Versuchsstation der Fortschrittsverweigerung 236
- 3.2.2 „Im Riesengefängnis New York“: Erika Giovanna Klien und ihr Verhältnis zu Stadt, Geschwindigkeit und Technik 245
- 3.2.3 Der Rückzug aufs Land: Alfred Kubin und Margret Bilger 256
- 3.2.4 „Haste nicht und raste nie. Sonst hastet die Neurasthenie“: ein Exkurs zum Nervendiskurs 264
- 3.3 Esoterik – Spirituelle Sinnsuche im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert 271
- 3.4. Zweites Resümee oder: Welche Diskurse der Moderne die KünstlerInnen bewegten 308
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis zum Nationalsozialismus 313
- 4.1 Die Legende vom unpolitischen Künstler – Zum Verständnis von Kunst und Politik bis 1945 315
- 4.2 Erster Weltkrieg und das Ende der k. u. k. Monarchie 319
- 4.3 Zwischen den Kriegen: Revolution(en), Republik(en), „Ständestaat“ 349
- 4.3.1 Der „Kunstlump“ – Oskar Kokoschka und die (deutsche) Revolution 353
- 4.3.2 Aloys Wach und die Münchner Räterepublik 360
- 4.3.3 Aus der Distanz: Erika Giovanna Klien und die österreichische Zwischenkriegszeit 368
- 4.3.4 „Weil ich nicht in der Vaterlandspartei bin“: Positionen zum „Ständestaat“ bei Oskar Kokoschka und Alfred Kubin 373
- 4.4 Nationalsozialismus 382
- 4.4.1 „… diese stummen Geister der Auflehnung“: Alfred Kubin und der Nationalsozialismus 385
- 4.4.2 Oskar Kokoschka: Selbstbildnis eines „entarteten“ Künstlers 397
- 4.4.3 „22° Waage“: Aloys Wach und der Nationalsozialismus 404
- 4.4.4 „… hätte ich aber die conträren Gesinnungen“: Margret Bilger und der Nationalsozialismus 409
- 4.5 Drittes Resümee oder: Wie politisch waren die „unpolitischen“ KünstlerInnen? 422
- Dank 426
- Abkürzungsverzeichnis 428
- Tabellen- und Abbildungsverzeichnis 429
- Quellen- und Literaturverzeichnis 431
- Archive und Sammlungen 431
- Zeitungen/Zeitschriften/Jahrbücher 432
- Literatur und gedruckte Quellen 432
- Personenregister 463