Web-Books
im Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Kunst und Kultur
Zeitwesen - Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
Seite - 45 -
  • Benutzer
  • Version
    • Vollversion
    • Textversion
  • Sprache
    • Deutsch
    • English - Englisch

Seite - 45 - in Zeitwesen - Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945

Bild der Seite - 45 -

Bild der Seite - 45 - in Zeitwesen - Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945

Text der Seite - 45 -

1.1 Auto/Biographieforschung | 45 stellte.37 Das sozialgeschichtliche Paradigma der 1960er und 1970er war die Antwort darauf. Strukturhistoriker wie Hans Ulrich Wehler wandten sich dezidiert gegen die „Einseitigkeit“ der Biographie, individualhistorische Perspektiven galten als wenig aussagekräftig, vielmehr ging es um die – so Jürgen Kocka – „Geschichtsmächtigkeit kollektiver gesellschaftlicher Strukturen und Prozesse“.38 Auch die vorwiegend aus Frankreich kommenden Strömungen der Postmoderne, speziell der linguistic turn, stellten das Subjekt als Bezugspunkt der Auto/Biographie in Frage. Roland Barthes postulierte in „Der Tod des Autors“ das Recht des Textes, den Autor „umzubringen“ und „seine Biographie auszulöschen“.39 Insbesondere für die Kunst- und Literaturwissenschaft geht es dabei um die relevante Frage der Vor- rangstellung von Werk oder Autor, die Frage, ob und wie viel biographisches Wissen zum Verständnis des Werks nötig sei. Nach Barthes schlicht keines, der Sinn des Werks ergibt sich bei jeder Lektüre neu durch den Leser/die Leserin. Interessanter- weise verfasste aber auch Roland Barthes als Kritiker der Biographie – wie schon Jahrzehnte zuvor Siegfried Kracauer – selbst eine solche: In seiner Autobiographie versuchte der Autor, die konventionellen narrativen Erzählformen zu verlassen und der Fragmenthaftigkeit des Lebenslaufs mit aneinandergereihten Sprachfragmenten zu begegnen.40 In der Traditionslinie von Barthes und Foucault muss auch Pierre Bourdieus vielzitierter Beitrag zur „biographischen Illusion“ genannt werden.41 Tat- sächlich kommt kaum ein Beitrag zur Biographieforschung – auch der vorliegende nicht – ohne eine Erwähnung dieses Aufsatzes aus, was zweifellos auch auf den spre- 37 Klein/Schnicke, 20.  Jahrhundert, in: Klein (Hg.), Handbuch Biographie, 257f. 38 Zit. nach Klein/Schnicke, 20.  Jahrhundert, in: Klein (Hg.), Handbuch Biographie, 258. 39 So die drastische Formulierung bei Christopher  F. Laferl/Anja Tippner, Vorwort, Dies. (Hg.), Le- ben als Kunstwerk. Künstlerbiographien im 20.  Jahrhundert, Bielefeld 2011, 7–28, 7. Die Begriff- lichkeiten von „umbringen“ und „auslöschen“ finden sich in Barthes Text nicht, sehr wohl aber „stirbt“ der Autor, sobald der Text (‚écriture‘) auftritt und das Ereignis zur Schrift wird. Autor und biographisch interpretierender Kritiker werden für tot erklärt, ein „Dechiffrieren“ bzw. Interpretie- ren von Texten ist damit obsolet, die Dominanz wandert vom Autor zum Text bzw. Leser. Vgl. Ro- land Barthes, Der Tod des Autors, in: Uwe Wirth (Hg.), Performanz. Zwischen Sprachphilosophie und Kulturwissenschaften, Frankfurt am Main 2002, 104–110 [frz. EA 1968]. 40 In Barthes Autobiographie „Roland Barthes par Roland Barthes“ (1975) [dt: „Über mich selbst“] kann der Autor wegen seiner starken Präsenz sicherlich nicht für „tot“ erklärt werden. Allein schon die deutsche Übersetzung zeigt, dass Barthes Ansatz, nicht über „sich selbst“, sondern über „Ro- land Barthes“ zu schreiben, sich nicht durchsetzen konnte. Vgl. dazu auch Thomas Etzemüller, Biographien. Lesen – erforschen – erzählen, Frankfurt am Main, New York 2012, 158  f. 41 Pierre Bourdieu, Die biographische Illusion, in: BIOS. Zeitschrift für Biographieforschung, Oral His- tory und Lebensverlaufsanalysen 3 (1990) 1, 75–81. In einer neueren, und meines Erachtens präzi- seren deutschen Übersetzung in: Bernhard Fetz/Wilhelm Hemecker (Hg.), Theorie der Biographie. Grundlagentexte und Kommentar, Wien, New York 2011, 303–310. Open-Access-Publikation im Sinne der Lizenz CC BY 4.0
zurück zum  Buch Zeitwesen - Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945"
Zeitwesen Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
Titel
Zeitwesen
Untertitel
Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
Autor
Birgit Kirchmayr
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2020
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY 4.0
ISBN
978-3-205-23310-7
Abmessungen
17.3 x 24.5 cm
Seiten
468
Kategorie
Kunst und Kultur

Inhaltsverzeichnis

  1. Einleitung 11
  2. Fragestellung und Ausgangsthesen 11
  3. Theoretische Bezugsrahmen 14
  4. Quellen 17
  5. „Zeitwesen“ oder: die ProtagonistInnen 20
  6. 1 Auto/Biographieforschung – KünstlerInnenforschung 33
    1. 1.1 Auto/Biographieforschung 33
      1. 1.1.1 Lebenslauf, Biographie, Autobiographie oder Auto/Biographie? 34
      2. 1.1.2 Auto/Biographie und Geschichtswissenschaft 39
      3. 1.1.3 Auto/Biographie und Geschlecht 47
    2. 1.2 Künstlerauto/biographie 51
      1. 1.2.1 Von Vasaris Viten bis „Inventing Leonardo“: Zur Geschichte der Künstlerbiographik 51
      2. 1.2.2 „Biographische Formeln“: Die „Legende vom Künstler“ 54
      3. 1.2.3 Geniekonzept und Autobiographical Life 59
    3. 1.3 Auto/Biographische Quellen 63
      1. 1.3.1 Autobiographie 65
      2. 1.3.2 Brief 66
      3. 1.3.3 Tagebuch 72
  7. 2 KünstlerInnen über sich 79
    1. 2.1 Alfred Kubin – ein autobiographical life 80
      1. 2.1.1 Der Künstler, sein Archivar und sein Nachlass 80
      2. 2.1.2 Die Autobiographie „Aus meinem Leben“ (1911–1952) 83
    2. 2.2 Oskar Kokoschka – der biographische „Jongleur“ 105
      1. 2.2.1 Der Künstler als Erzähler 105
      2. 2.2.2 Die Autobiographie „Mein Leben“ (1971) 109
    3. 2.3 Aloys Wach – Selbstbespiegelungen eines Suchenden 136
      1. 2.3.1 Autobiographisches in Tagebüchern und Briefen 136
      2. 2.3.2 „Biographische Notizen“ (1929) 138
    4. 2.4 Erika Giovanna Klien – Autobiographische Fragmente 150
      1. 2.4.1 Erklärungen zu einem Negativbefund 150
      2. 2.4.2 Die „Klessheimer Sendboten“ (1927) 154
    5. 2.5 Margret Bilger – Autobiographisches wider Willen 164
      1. 2.5.1 Versuch einer Verweigerung 164
      2. 2.5.2 Der „Lebensbericht“ (1968) 166
    6. 2.6 Erstes Resümee oder: Wie KünstlerInnen über sich schreiben und dabei „biographische Formeln“ verwenden 175
  8. 3 KünstlerInnen und gesellschaftliche Diskurse 179
    1. 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
      1. 3.1.1 Alfred Kubin und die Misogynie der Moderne 185
      2. 3.1.2 „Mörder, Hoffnung der Frauen“: Oskar Kokoschka und die (modernen) Amazonen 206
      3. 3.1.3 Erika Giovanna Klien – schwierige Emanzipationswege einer „neuen“ Frau 214
      4. 3.1.4 Zerrissenheit und Identitätssuche – Geschlechterbilder bei Margret Bilger 220
    2. 3.2 Geschwindigkeit – Fortschrittseuphorie versus Kulturpessimismus 232
      1. 3.2.1 Alfred Kubins Traumstadt „Perle“ als Versuchsstation der Fortschrittsverweigerung 236
      2. 3.2.2 „Im Riesengefängnis New York“: Erika Giovanna Klien und ihr Verhältnis zu Stadt, Geschwindigkeit und Technik 245
      3. 3.2.3 Der Rückzug aufs Land: Alfred Kubin und Margret Bilger 256
      4. 3.2.4 „Haste nicht und raste nie. Sonst hastet die Neurasthenie“: ein Exkurs zum Nervendiskurs 264
    3. 3.3 Esoterik – Spirituelle Sinnsuche im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert 271
      1. 3.3.1 Alfred Kubin: Von der Ariosophie zum Buddhismus 277
      2. 3.3.2 Aloys Wach, die Kabbala und Jesus Christus als „Okkultist“ . . . . . . . 284 Exkurs: Die „Affäre Schappeller“ 291
    4. 3.4. Zweites Resümee oder: Welche Diskurse der Moderne die KünstlerInnen bewegten 308
  9. 4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis zum Nationalsozialismus 313
    1. 4.1 Die Legende vom unpolitischen Künstler – Zum Verständnis von Kunst und Politik bis 1945 315
    2. 4.2 Erster Weltkrieg und das Ende der k. u. k. Monarchie 319
      1. 4.2.1 Kubin, der Krieg und das Ende der „alten Ruhe“ 321
      2. 4.2.2 „Ich bin so froh, dass ich noch lebe“: Oskar Kokoschka und der Erste Weltkrieg 328
    3. 4.3 Zwischen den Kriegen: Revolution(en), Republik(en), „Ständestaat“ 349
      1. 4.3.1 Der „Kunstlump“ – Oskar Kokoschka und die (deutsche) Revolution 353
      2. 4.3.2 Aloys Wach und die Münchner Räterepublik 360
      3. 4.3.3 Aus der Distanz: Erika Giovanna Klien und die österreichische Zwischenkriegszeit 368
      4. 4.3.4 „Weil ich nicht in der Vaterlandspartei bin“: Positionen zum „Ständestaat“ bei Oskar Kokoschka und Alfred Kubin 373
    4. 4.4 Nationalsozialismus 382
      1. 4.4.1 „… diese stummen Geister der Auflehnung“: Alfred Kubin und der Nationalsozialismus 385
      2. 4.4.2 Oskar Kokoschka: Selbstbildnis eines „entarteten“ Künstlers 397
      3. 4.4.3 „22° Waage“: Aloys Wach und der Nationalsozialismus 404
      4. 4.4.4 „… hätte ich aber die conträren Gesinnungen“: Margret Bilger und der Nationalsozialismus 409
    5. 4.5 Drittes Resümee oder: Wie politisch waren die „unpolitischen“ KünstlerInnen? 422
  10. Dank 426
  11. Abkürzungsverzeichnis 428
  12. Tabellen- und Abbildungsverzeichnis 429
  13. Quellen- und Literaturverzeichnis 431
  14. Archive und Sammlungen 431
  15. Zeitungen/Zeitschriften/Jahrbücher 432
  16. Literatur und gedruckte Quellen 432
  17. Personenregister 463
Web-Books
Bibliothek
Datenschutz
Impressum
Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Zeitwesen