Seite - 124 - in Zeitwesen - Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
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lierte, „die Wandlung vom Rausch zum Katzenjammer“ zur Darstellung komme.141
Kokoschka beendete das „Wieder in Wien“-Kapitel mit einer Erinnerung an Georg
Trakl, der bei einem Besuch dem auf der Staffelei befindlichen Gemälde von Alma
Mahler den Titel „Die Windsbraut“ gegeben haben soll. Mit Bezug auf Trakl endet
das Kapitel düster:
„Er [Anm.: Trakl] ist bald nachher als Sanitätsgehilfe in Verzweiflung über die Schlächte-
rei bei Grodek an einer Überdosis von Tabletten im Kriegsspital in Krakau gestorben.“142
Damit ist auch der Übergang in das nächste Kapitel, das den Titel „Krieg“ trägt und
in das die Beziehung mit Alma Mahler noch hineinspielt, hergestellt. Es beginnt mit
folgender Erinnerung:
„Als ich am 28.
Juli 1914 durchs offene Fenster – es war ein heißer Sommermorgen – eine
Extraausgabe ‚Österreich hat Serbien den Krieg erklärt‘ ausrufen hörte, schloß ich schnell
das Fenster, saß nieder auf den Bettrand und dachte: ‚Tu felix Austria nube!‘ […] An den
Gott, der Schlachten lenkt, glaube ich nicht, wundere mich bloß, daß ich auf einem Pul-
verfaß gesessen haben kann, ohne zu ahnen, daß es explodieren könnte. Ich war im Jahr
1914 achtundzwanzig Jahre alt geworden, also wehrpflichtig.“143
Die publizierte Fassung von „Mein Leben“ weicht an dieser Stelle – und generell im
Kapitel „Krieg“ – stark von den Erstfassungen ab. Während der obige Einstieg an
allgemeinen Daten des Kriegsausbruchs orientiert ist, findet sich im Typoskript der
ersten Fassung ein ganz anderer, nämlich viel stärker individualisierter, Kapitelbe-
ginn:
„Für mich war notwendig, einen Ausweg aus meiner fast ausweglosen [Anm.: durchge-
strichen und ersetzt durch ‚schlimmen‘] Situation zu finden. Es war ja ein innerer Zusam-
menbruch, aus dem ich ohne äußeres Eingreifen mich nicht retten konnte. Meine künst-
lerische Arbeit drohte mir vollkommen unwesentlich zu werden. Da geschieht plötzlich
in der Außenwelt der Eklat, der eigentliche Anfang des absoluten Zusammenbruchs einer
großen Völkergemeinschaft.“144
141 Kokoschka, Mein Leben, 131.
142 Kokoschka, Mein Leben, 132.
143 Kokoschka, Mein Leben, 133.
144 ZBZ, NL F. Witz, Karton 81, Fasz. 81.9., fol. 6.
Open-Access-Publikation im Sinne der Lizenz CC BY 4.0
Zeitwesen
Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Titel
- Zeitwesen
- Untertitel
- Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Autor
- Birgit Kirchmayr
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23310-7
- Abmessungen
- 17.3 x 24.5 cm
- Seiten
- 468
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 11
- Fragestellung und Ausgangsthesen 11
- Theoretische Bezugsrahmen 14
- Quellen 17
- „Zeitwesen“ oder: die ProtagonistInnen 20
- 1 Auto/Biographieforschung – KünstlerInnenforschung 33
- 2 KünstlerInnen über sich 79
- 2.1 Alfred Kubin – ein autobiographical life 80
- 2.2 Oskar Kokoschka – der biographische „Jongleur“ 105
- 2.3 Aloys Wach – Selbstbespiegelungen eines Suchenden 136
- 2.4 Erika Giovanna Klien – Autobiographische Fragmente 150
- 2.5 Margret Bilger – Autobiographisches wider Willen 164
- 2.6 Erstes Resümee oder: Wie KünstlerInnen über sich schreiben und dabei „biographische Formeln“ verwenden 175
- 3 KünstlerInnen und gesellschaftliche Diskurse 179
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 3.1.1 Alfred Kubin und die Misogynie der Moderne 185
- 3.1.2 „Mörder, Hoffnung der Frauen“: Oskar Kokoschka und die (modernen) Amazonen 206
- 3.1.3 Erika Giovanna Klien – schwierige Emanzipationswege einer „neuen“ Frau 214
- 3.1.4 Zerrissenheit und Identitätssuche – Geschlechterbilder bei Margret Bilger 220
- 3.2 Geschwindigkeit – Fortschrittseuphorie versus Kulturpessimismus 232
- 3.2.1 Alfred Kubins Traumstadt „Perle“ als Versuchsstation der Fortschrittsverweigerung 236
- 3.2.2 „Im Riesengefängnis New York“: Erika Giovanna Klien und ihr Verhältnis zu Stadt, Geschwindigkeit und Technik 245
- 3.2.3 Der Rückzug aufs Land: Alfred Kubin und Margret Bilger 256
- 3.2.4 „Haste nicht und raste nie. Sonst hastet die Neurasthenie“: ein Exkurs zum Nervendiskurs 264
- 3.3 Esoterik – Spirituelle Sinnsuche im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert 271
- 3.4. Zweites Resümee oder: Welche Diskurse der Moderne die KünstlerInnen bewegten 308
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis zum Nationalsozialismus 313
- 4.1 Die Legende vom unpolitischen Künstler – Zum Verständnis von Kunst und Politik bis 1945 315
- 4.2 Erster Weltkrieg und das Ende der k. u. k. Monarchie 319
- 4.3 Zwischen den Kriegen: Revolution(en), Republik(en), „Ständestaat“ 349
- 4.3.1 Der „Kunstlump“ – Oskar Kokoschka und die (deutsche) Revolution 353
- 4.3.2 Aloys Wach und die Münchner Räterepublik 360
- 4.3.3 Aus der Distanz: Erika Giovanna Klien und die österreichische Zwischenkriegszeit 368
- 4.3.4 „Weil ich nicht in der Vaterlandspartei bin“: Positionen zum „Ständestaat“ bei Oskar Kokoschka und Alfred Kubin 373
- 4.4 Nationalsozialismus 382
- 4.4.1 „… diese stummen Geister der Auflehnung“: Alfred Kubin und der Nationalsozialismus 385
- 4.4.2 Oskar Kokoschka: Selbstbildnis eines „entarteten“ Künstlers 397
- 4.4.3 „22° Waage“: Aloys Wach und der Nationalsozialismus 404
- 4.4.4 „… hätte ich aber die conträren Gesinnungen“: Margret Bilger und der Nationalsozialismus 409
- 4.5 Drittes Resümee oder: Wie politisch waren die „unpolitischen“ KünstlerInnen? 422
- Dank 426
- Abkürzungsverzeichnis 428
- Tabellen- und Abbildungsverzeichnis 429
- Quellen- und Literaturverzeichnis 431
- Archive und Sammlungen 431
- Zeitungen/Zeitschriften/Jahrbücher 432
- Literatur und gedruckte Quellen 432
- Personenregister 463