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deutschen Beitrag der Biennale 1922, für den Posse verantwortlich zeichnete,
findet sich ebenfalls keine Information, auch nicht über Posses spätere Tätigkeit
als Adolf Hitlers „Sonderbeauftragter für Linz“.160 Erwähnt wurden hingegen die
Wirtschafterin Posses161 sowie das Hausmädchen namens Hulda, die von Ko-
koschka „Reserl“ genannt wurde. Über Reserl, die „beim imaginären Spiel mit
meiner Puppe“162 half, hielt die in der Kokoschka-Rezeption intensiv diskutierte
Episode mit der „Puppe“ Einzug in die Autobiographie. Kokoschka hatte sich von
einer Münchner Kunstgewerblerin eine lebensechte Puppe anfertigen lassen, die
er in der Autobiographie nur in einem Nebensatz mit Alma Mahler in Verbin-
dung brachte:
„[…] doch jetzt dachte ich mit Spannung an die Ankunft der Puppe, für welche ich auch
Pariser Unterwäsche und Kleider gekauft hatte, um endlich die Alma-Mahler-Geschichte
in Ordnung zu bringen und um nicht erneut der fatalen Pandorabüchse zum Opfer zu
fallen, von der ich bereits genug Unheil erfahren hatte.“163
Die Episode mit der Puppe, die auch eine wichtige Rolle in Kokoschkas Werk ein-
nahm, erscheint in der Autobiographie lediglich als humoristische Anekdote. Der
Kammerdiener sei so schockiert gewesen, dass er seine Stellung kündigte; Nachbarn
hätten die nach einem Gelage ramponierte Puppe im Garten für eine Leiche gehal-
ten, was zu einer Meldung wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses geführt habe.164
160 1939 wurde Hans Posse von Adolf Hitler mit dem Aufbau der Kunstsammlung für das von Hitler
geplante Kunstmuseum für Linz beauftragt. Bis zu seinem Tod im Jahr 1942 war Posse dafür tätig,
kam dabei auch in unmittelbaren Kontakt mit dem System des NS-Kunstraubs. Vgl. Gilbert Lup-
fer/Thomas Rudert (Hg.), Kennerschaft zwischen Macht und Moral. Annäherungen an Hans Posse
(1879–1942), Köln 2015.
161 Elise Käpernick, Posses jahrelange Wirtschafterin und ab Juli 1933 dessen Ehefrau. Kokoschkas
Erinnerung, dass Hans Posse „ein Leben lang Junggeselle geblieben war“, ist somit unrichtig. Die
Eheschließung Posses mit Käpernick, zu diesem Zeitpunkt bereits NSDAP-Mitglied, wird in der
jüngeren Forschung kritisch betrachtet, möglicherweise sollte die Ehe den (kultur-)politisch an-
greifbaren Posse politisch schützen. Vgl. Thomas Rudert, Konservativer Galeriedirektor – Kul-
turdiplomat der Weimarer Republik – NS-Sonderbeauftragter. Bausteine zu einer Biografie Hans
Posses, in: Lupfer/Rudert (Hg.), Kennerschaft zwischen Macht und Moral. Zu Elise Posse, geb.
Käpernick vgl. auch Birgit Kirchmayr, Der Briefwechsel August Zöhrer – Elise Posse im Archiv
der Stadt Linz. Eine „Fußnote“ zur Geschichte des „Linzer Führermuseums“, in: Walter Schuster/
Maximilian Schimböck/Anneliese Schweiger (Hg.), Stadtarchiv und Stadtgeschichte. Forschungen
und Innovationen, Linz 2004, 515–522.
162 Kokoschka, Mein Leben, 182.
163 Kokoschka, Mein Leben, 183.
164 Kokoschka, Mein Leben, 184f.
Open-Access-Publikation im Sinne der Lizenz CC BY 4.0
Zeitwesen
Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Titel
- Zeitwesen
- Untertitel
- Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Autor
- Birgit Kirchmayr
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23310-7
- Abmessungen
- 17.3 x 24.5 cm
- Seiten
- 468
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 11
- Fragestellung und Ausgangsthesen 11
- Theoretische Bezugsrahmen 14
- Quellen 17
- „Zeitwesen“ oder: die ProtagonistInnen 20
- 1 Auto/Biographieforschung – KünstlerInnenforschung 33
- 2 KünstlerInnen über sich 79
- 2.1 Alfred Kubin – ein autobiographical life 80
- 2.2 Oskar Kokoschka – der biographische „Jongleur“ 105
- 2.3 Aloys Wach – Selbstbespiegelungen eines Suchenden 136
- 2.4 Erika Giovanna Klien – Autobiographische Fragmente 150
- 2.5 Margret Bilger – Autobiographisches wider Willen 164
- 2.6 Erstes Resümee oder: Wie KünstlerInnen über sich schreiben und dabei „biographische Formeln“ verwenden 175
- 3 KünstlerInnen und gesellschaftliche Diskurse 179
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 3.1.1 Alfred Kubin und die Misogynie der Moderne 185
- 3.1.2 „Mörder, Hoffnung der Frauen“: Oskar Kokoschka und die (modernen) Amazonen 206
- 3.1.3 Erika Giovanna Klien – schwierige Emanzipationswege einer „neuen“ Frau 214
- 3.1.4 Zerrissenheit und Identitätssuche – Geschlechterbilder bei Margret Bilger 220
- 3.2 Geschwindigkeit – Fortschrittseuphorie versus Kulturpessimismus 232
- 3.2.1 Alfred Kubins Traumstadt „Perle“ als Versuchsstation der Fortschrittsverweigerung 236
- 3.2.2 „Im Riesengefängnis New York“: Erika Giovanna Klien und ihr Verhältnis zu Stadt, Geschwindigkeit und Technik 245
- 3.2.3 Der Rückzug aufs Land: Alfred Kubin und Margret Bilger 256
- 3.2.4 „Haste nicht und raste nie. Sonst hastet die Neurasthenie“: ein Exkurs zum Nervendiskurs 264
- 3.3 Esoterik – Spirituelle Sinnsuche im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert 271
- 3.4. Zweites Resümee oder: Welche Diskurse der Moderne die KünstlerInnen bewegten 308
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis zum Nationalsozialismus 313
- 4.1 Die Legende vom unpolitischen Künstler – Zum Verständnis von Kunst und Politik bis 1945 315
- 4.2 Erster Weltkrieg und das Ende der k. u. k. Monarchie 319
- 4.3 Zwischen den Kriegen: Revolution(en), Republik(en), „Ständestaat“ 349
- 4.3.1 Der „Kunstlump“ – Oskar Kokoschka und die (deutsche) Revolution 353
- 4.3.2 Aloys Wach und die Münchner Räterepublik 360
- 4.3.3 Aus der Distanz: Erika Giovanna Klien und die österreichische Zwischenkriegszeit 368
- 4.3.4 „Weil ich nicht in der Vaterlandspartei bin“: Positionen zum „Ständestaat“ bei Oskar Kokoschka und Alfred Kubin 373
- 4.4 Nationalsozialismus 382
- 4.4.1 „… diese stummen Geister der Auflehnung“: Alfred Kubin und der Nationalsozialismus 385
- 4.4.2 Oskar Kokoschka: Selbstbildnis eines „entarteten“ Künstlers 397
- 4.4.3 „22° Waage“: Aloys Wach und der Nationalsozialismus 404
- 4.4.4 „… hätte ich aber die conträren Gesinnungen“: Margret Bilger und der Nationalsozialismus 409
- 4.5 Drittes Resümee oder: Wie politisch waren die „unpolitischen“ KünstlerInnen? 422
- Dank 426
- Abkürzungsverzeichnis 428
- Tabellen- und Abbildungsverzeichnis 429
- Quellen- und Literaturverzeichnis 431
- Archive und Sammlungen 431
- Zeitungen/Zeitschriften/Jahrbücher 432
- Literatur und gedruckte Quellen 432
- Personenregister 463