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kurze Einführung in seine Familienverhältnisse mit einer Reflexion über das auto-
biographische Schreiben:
„Man sagt es sei der Mensch, wie er geboren ist, die Summe von Generationen. Ich habe
viel nachdenken müssen darüber und es ist viel Wahres daran. Was aber aufersteht und
wach wird, wenn man aus den Kräften der Generationen schöpft, ist sehr merkwürdig.
Wenn man dann versucht, über sich selbst zu schreiben, so wird das Bild etwas vielseitig;
denn man ist wahrhaft nicht allein. Es spielt so viel mit herein, das gesagt sein muss, sonst
kann man das eigene Wesen nicht verständlich machen. Ich selbst, wer bin ich selbst?
Und wie erscheine ich, wenn ich mich objektiviere? So möchte ich, ehe ich mich selbst
beschreibe; was ich getan habe und wie ich wurde, was ich jetzt bin – so möchte ich ganz
klar meine Bedingnis aufzeigen.“195
Mit diesen grundsätzlichen Überlegungen leitete Wach von der Schilderung der
„äußeren“ Bedingungen seiner Kindheit über zu den „inneren“. Er beschrieb sich –
und hier lässt sich ein zentrales Narrativ der Künstlerauto/biographik finden – als
Außenseiter-Kind:
„Seit meiner frühesten Kindheit habe ich eine merkwürdige Neigung zu einer sonderba-
ren Art von Phantastik. Wie ich klein war und dann ein Junge, war ich gern allein. Und
absonderbare Gedanken und Vorstellungen führten in mir ein Eigenleben. Allein sein, das
habe ich gern gehabt. War ich mit meinen Geschwistern zusammen, so war ich ein Übel-
täter, der Unfrieden stiftete. So ein richtiges kindhaftes Kind war ich wohl niemals.“196
Nicht nur sein Außenseitertum führte Wach bereits ganz zu Beginn seines Lebens-
berichts an. Besonders bedeutsam – er bemühte sich sichtlich um eine möglichst
präzise Beschreibung des schwer Darstellbaren – erschien ihm auch seine „natur-
hafte okkulte Begabung“, die er als Kind aufgewiesen habe und die ihm für zentrale
Züge seiner Persönlichkeit, das heißt auch seiner Künstlerpersönlichkeit, bedeutend
erschien.
„Wie ich es heute sage, hatte ich als Kind eine naturhafte, okkulte Begabung, d.h. eine an-
geborene Art Hellsicht. Mein Bewusstseinszustand war dem heutigen ganz verschieden,
195 Aloys Wach, Biographische Notizen 1929 (mit Nachträgen 1931), Eintrag 15.7.1929.
196 Aloys Wach, Biographische Notizen 1929 (mit Nachträgen 1931), Eintrag 15.7.1929. Der Biograph
Laurenz Kilger nahm in seiner biographischen Darstellung dieses Motiv nur allzu gern auf: „Der
kleine Aloys war ein einsames, mit seltener Phantasie begabtes Kind.“ Vgl. Kilger, Aloys Wach, o.
S.
Open-Access-Publikation im Sinne der Lizenz CC BY 4.0
Zeitwesen
Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Titel
- Zeitwesen
- Untertitel
- Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Autor
- Birgit Kirchmayr
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23310-7
- Abmessungen
- 17.3 x 24.5 cm
- Seiten
- 468
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 11
- Fragestellung und Ausgangsthesen 11
- Theoretische Bezugsrahmen 14
- Quellen 17
- „Zeitwesen“ oder: die ProtagonistInnen 20
- 1 Auto/Biographieforschung – KünstlerInnenforschung 33
- 2 KünstlerInnen über sich 79
- 2.1 Alfred Kubin – ein autobiographical life 80
- 2.2 Oskar Kokoschka – der biographische „Jongleur“ 105
- 2.3 Aloys Wach – Selbstbespiegelungen eines Suchenden 136
- 2.4 Erika Giovanna Klien – Autobiographische Fragmente 150
- 2.5 Margret Bilger – Autobiographisches wider Willen 164
- 2.6 Erstes Resümee oder: Wie KünstlerInnen über sich schreiben und dabei „biographische Formeln“ verwenden 175
- 3 KünstlerInnen und gesellschaftliche Diskurse 179
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 3.1.1 Alfred Kubin und die Misogynie der Moderne 185
- 3.1.2 „Mörder, Hoffnung der Frauen“: Oskar Kokoschka und die (modernen) Amazonen 206
- 3.1.3 Erika Giovanna Klien – schwierige Emanzipationswege einer „neuen“ Frau 214
- 3.1.4 Zerrissenheit und Identitätssuche – Geschlechterbilder bei Margret Bilger 220
- 3.2 Geschwindigkeit – Fortschrittseuphorie versus Kulturpessimismus 232
- 3.2.1 Alfred Kubins Traumstadt „Perle“ als Versuchsstation der Fortschrittsverweigerung 236
- 3.2.2 „Im Riesengefängnis New York“: Erika Giovanna Klien und ihr Verhältnis zu Stadt, Geschwindigkeit und Technik 245
- 3.2.3 Der Rückzug aufs Land: Alfred Kubin und Margret Bilger 256
- 3.2.4 „Haste nicht und raste nie. Sonst hastet die Neurasthenie“: ein Exkurs zum Nervendiskurs 264
- 3.3 Esoterik – Spirituelle Sinnsuche im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert 271
- 3.4. Zweites Resümee oder: Welche Diskurse der Moderne die KünstlerInnen bewegten 308
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis zum Nationalsozialismus 313
- 4.1 Die Legende vom unpolitischen Künstler – Zum Verständnis von Kunst und Politik bis 1945 315
- 4.2 Erster Weltkrieg und das Ende der k. u. k. Monarchie 319
- 4.3 Zwischen den Kriegen: Revolution(en), Republik(en), „Ständestaat“ 349
- 4.3.1 Der „Kunstlump“ – Oskar Kokoschka und die (deutsche) Revolution 353
- 4.3.2 Aloys Wach und die Münchner Räterepublik 360
- 4.3.3 Aus der Distanz: Erika Giovanna Klien und die österreichische Zwischenkriegszeit 368
- 4.3.4 „Weil ich nicht in der Vaterlandspartei bin“: Positionen zum „Ständestaat“ bei Oskar Kokoschka und Alfred Kubin 373
- 4.4 Nationalsozialismus 382
- 4.4.1 „… diese stummen Geister der Auflehnung“: Alfred Kubin und der Nationalsozialismus 385
- 4.4.2 Oskar Kokoschka: Selbstbildnis eines „entarteten“ Künstlers 397
- 4.4.3 „22° Waage“: Aloys Wach und der Nationalsozialismus 404
- 4.4.4 „… hätte ich aber die conträren Gesinnungen“: Margret Bilger und der Nationalsozialismus 409
- 4.5 Drittes Resümee oder: Wie politisch waren die „unpolitischen“ KünstlerInnen? 422
- Dank 426
- Abkürzungsverzeichnis 428
- Tabellen- und Abbildungsverzeichnis 429
- Quellen- und Literaturverzeichnis 431
- Archive und Sammlungen 431
- Zeitungen/Zeitschriften/Jahrbücher 432
- Literatur und gedruckte Quellen 432
- Personenregister 463