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Ebenso wie die Pariser Zeit wurde also auch das politische Engagement in München
sehr kurz und eher in Form eines Irrwegs abgetan. Dies entsprach sicherlich Wachs
eigener Einschätzung dieser Lebensphase, andererseits darf nicht übersehen werden,
dass Wach mittlerweile ein etablierter Künstler im konservativen Milieu der öster-
reichischen Zwischenkriegszeit war, links-revolutionäre Kontakte wären bei allem
Zugeständnis an künstlerische Extravaganzen kaum karrierefördernd gewesen.214
Mit der Ankunft in „Österreichs Einöde“ nach all den abenteuerlichen Streifzü-
gen in der großen Welt kehrte für Wach, biographisch wie künstlerisch, so etwas wie
Ruhe und Friede ein. Er stellte dies wie folgt dar:
„Unsere schönste Zeit begann. Einsamkeit, Wald, Ruhe. Meine Frau wurde gesund und
heiter. Zu Neujahr 1919 kam unser Kind zu uns. In der ländlichen Umgebung gedieh der
Expressionismus nicht. Er war im Wald und in der natürlichen Atmosphäre absurd. So
artete er aus, er führte ins Extrem und ging an sich selbst zugrunde.“215
Die folgenden Abschnitte sind der Kunst gewidmet, die in jenen Jahren entstand.
Wach berichtete von den religiösen Bildern, „die mir heut keinesfalls mehr entspre-
chen“, womit er nicht meinte, dass er von der religiösen Kunst abgekehrt sei, sondern
vielmehr, dass sich seine religiösen Vorstellungen verändert hätten: „Dieser Jesus
Christ ist nicht der Heiland, der Allgütige, Sanfte, sondern ein abgründiger Okkul-
tist! Ich habe das seinerzeit nicht verstanden.“216
Zwischen den Auflistungen an Werken und philosophischen Gedankenskizzen
tauchte in einem Eintrag von August 1929 erstmals eine Anspielung auf, die Be-
zug nimmt auf Wachs großes „Schappeller-Abenteuer“.217 Es ist verwunderlich, dass
Wach dieses Thema nur mit einer kurzen Erwähnung in seine Notizen einbrachte,
zumal zum Zeitpunkt der Aufzeichnungen, im Jahr 1929, die Affäre rund um Carl
Schappeller an einem medialen Höhepunkt angelangt war.
Kurz nach dieser Passage, im Eintrag vom 9. August, vermerkte Wach, dass nun
die Aufzeichnungen endeten, die er für P. Laurenz Kilger verfasst hatte. Offenbar
hat Wach seine Notizen aber nicht nur Kilger übergeben, denn in einem nächsten
Eintrag (24. September) führte er an:
214 Interessant ist daher auch, dass Laurenz Kilger diese Passage in seiner sonst so eng auf den biogra-
phischen Notizen Wachs beruhenden Darstellung nicht aufgenommen bzw. das Engagement für
die Räterepublik generell nicht erwähnt hat. Vgl. Kilger, Aloys Wach.
215 Aloys Wach, Biographische Notizen 1929 (mit Nachträgen 1931), Eintrag 1.8.1929.
216 Aloys Wach, Biographische Notizen 1929 (mit Nachträgen 1931), Eintrag 1.8.1929.
217 Zur „Affäre Schappeller“ vgl. ausführlich im Kapitel 3.3.2.
Open-Access-Publikation im Sinne der Lizenz CC BY 4.0
Zeitwesen
Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Titel
- Zeitwesen
- Untertitel
- Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Autor
- Birgit Kirchmayr
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23310-7
- Abmessungen
- 17.3 x 24.5 cm
- Seiten
- 468
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 11
- Fragestellung und Ausgangsthesen 11
- Theoretische Bezugsrahmen 14
- Quellen 17
- „Zeitwesen“ oder: die ProtagonistInnen 20
- 1 Auto/Biographieforschung – KünstlerInnenforschung 33
- 2 KünstlerInnen über sich 79
- 2.1 Alfred Kubin – ein autobiographical life 80
- 2.2 Oskar Kokoschka – der biographische „Jongleur“ 105
- 2.3 Aloys Wach – Selbstbespiegelungen eines Suchenden 136
- 2.4 Erika Giovanna Klien – Autobiographische Fragmente 150
- 2.5 Margret Bilger – Autobiographisches wider Willen 164
- 2.6 Erstes Resümee oder: Wie KünstlerInnen über sich schreiben und dabei „biographische Formeln“ verwenden 175
- 3 KünstlerInnen und gesellschaftliche Diskurse 179
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 3.1.1 Alfred Kubin und die Misogynie der Moderne 185
- 3.1.2 „Mörder, Hoffnung der Frauen“: Oskar Kokoschka und die (modernen) Amazonen 206
- 3.1.3 Erika Giovanna Klien – schwierige Emanzipationswege einer „neuen“ Frau 214
- 3.1.4 Zerrissenheit und Identitätssuche – Geschlechterbilder bei Margret Bilger 220
- 3.2 Geschwindigkeit – Fortschrittseuphorie versus Kulturpessimismus 232
- 3.2.1 Alfred Kubins Traumstadt „Perle“ als Versuchsstation der Fortschrittsverweigerung 236
- 3.2.2 „Im Riesengefängnis New York“: Erika Giovanna Klien und ihr Verhältnis zu Stadt, Geschwindigkeit und Technik 245
- 3.2.3 Der Rückzug aufs Land: Alfred Kubin und Margret Bilger 256
- 3.2.4 „Haste nicht und raste nie. Sonst hastet die Neurasthenie“: ein Exkurs zum Nervendiskurs 264
- 3.3 Esoterik – Spirituelle Sinnsuche im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert 271
- 3.4. Zweites Resümee oder: Welche Diskurse der Moderne die KünstlerInnen bewegten 308
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis zum Nationalsozialismus 313
- 4.1 Die Legende vom unpolitischen Künstler – Zum Verständnis von Kunst und Politik bis 1945 315
- 4.2 Erster Weltkrieg und das Ende der k. u. k. Monarchie 319
- 4.3 Zwischen den Kriegen: Revolution(en), Republik(en), „Ständestaat“ 349
- 4.3.1 Der „Kunstlump“ – Oskar Kokoschka und die (deutsche) Revolution 353
- 4.3.2 Aloys Wach und die Münchner Räterepublik 360
- 4.3.3 Aus der Distanz: Erika Giovanna Klien und die österreichische Zwischenkriegszeit 368
- 4.3.4 „Weil ich nicht in der Vaterlandspartei bin“: Positionen zum „Ständestaat“ bei Oskar Kokoschka und Alfred Kubin 373
- 4.4 Nationalsozialismus 382
- 4.4.1 „… diese stummen Geister der Auflehnung“: Alfred Kubin und der Nationalsozialismus 385
- 4.4.2 Oskar Kokoschka: Selbstbildnis eines „entarteten“ Künstlers 397
- 4.4.3 „22° Waage“: Aloys Wach und der Nationalsozialismus 404
- 4.4.4 „… hätte ich aber die conträren Gesinnungen“: Margret Bilger und der Nationalsozialismus 409
- 4.5 Drittes Resümee oder: Wie politisch waren die „unpolitischen“ KünstlerInnen? 422
- Dank 426
- Abkürzungsverzeichnis 428
- Tabellen- und Abbildungsverzeichnis 429
- Quellen- und Literaturverzeichnis 431
- Archive und Sammlungen 431
- Zeitungen/Zeitschriften/Jahrbücher 432
- Literatur und gedruckte Quellen 432
- Personenregister 463