Seite - 152 - in Zeitwesen - Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
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ein Nachlass zustande, welche Quellen sind aus welchen Gründen erhalten, wel-
che möglicherweise nicht, wer griff wann wie ein, wer gab wann wem etwas wei-
ter, wie kam es zur gegenwärtigen Zusammensetzung eines biographischen Quel-
lenbestands und nicht zuletzt, welche möglichen Asymmetrien könnten dadurch
in Hinblick auf biographische Informationen entstanden sein oder entstehen? Im
Falle der Künstlerbiographik zeigt sich dieser quellenkritische Zugang als bislang
vernachlässigter Bereich. Während zwar vermehrt Arbeiten zum Bereich der ‚In-
szenierung‘ von Künstlerleben entstehen, gibt es kaum kritische Analysen dazu, wie
KünstlerInnen auch durch bewusste ‚Nachlass‘-Gestaltung ihr (posthumes) Bild von
sich mitkonstruieren.232
Im Falle von Erika Giovanna Klien war die Auffindung bzw. Rückbringung ihres
von ihrer Schwester verwahrten Nachlasses aus den USA nach Österreich in den
1970ern der Schlüssel für die (Wieder-)Entdeckung der Künstlerin. Als Klien 1957
in New York starb, waren ihr Name und Werk in Österreich völlig vergessen bezie-
hungsweise unbekannt. Im 1976/77 erschienenen Künstlerlexikon „Die österreichi-
schen Maler der Geburtsjahrgänge 1881–1900“, in dem insgesamt 1589 bildende
KünstlerInnen (davon 388 Frauen) genannt sind, scheint Klien nicht auf.233 Sie teilt
damit das Schicksal vieler entweder freiwillig oder im Zuge von NS-Verfolgung un-
freiwillig emigrierter KünstlerInnen, die in Österreich in Vergessenheit gerieten.234
Zweifellos war sie als emigrierte Künstlerin und Frau doppelt gefährdet, wenig(er)
Aufmerksamkeit zu erfahren.
Dies änderte sich in Kliens Fall erst langsam seit der Auffindung des Nachlasses.
Die Geschichte dazu schilderte Bernhard Leitner, der als damaliger Architekturstu-
dent und späterer Ordinarius der Universität für angewandte Kunst wesentlichen
Anteil daran hatte. Leitner konnte in den 1960er-Jahren Kliens Schwester ausfindig
machen und den Ankauf des bei ihr befindlichen Nachlasses durch den Münchner
232 In der Literaturwissenschaft hat sich dafür der Begriff ‚Nachlassbewusstsein‘ etabliert. Vgl. dazu
u.a. ein Forschungsprojekt des Deutschen Literaturarchivs Marbach, abrufbar unter http://www.
nachlassbewusstsein.de (2.9.2019). Vgl. weiters Wilhelm Füßl, Übrig bleibt, was übrig bleiben
soll. Zur Konstruktion von Biografien durch Nachlässe, in: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte
(2014), 240–262; 9. Workshop des Netzwerks Biographieforschung an der Universität Wien am
22.4.2016: Der Nachlass“ – Ergebnis von Strategien, Konventionen, Routinen und Zufällen?, ht-
tps://biographieforschung.univie.ac.at (2.9.2019).
233 Heinrich Fuchs, Die österreichischen Maler der Geburtsjahrgänge 1881–1900, 2 Bände, Wien
1976/ 1977. Angaben nach eigener Zählung.
234 Vgl. dazu u.a. John Czaplicka (Hg.), Emigrants and Exiles: A Lost Generation of Austrian Artists in
America 1920–1950, Evanston 1996; Andrea Winklbauer/Sabine Fellner (Hg.), Die bessere Hälfte.
Jüdische Künstlerinnen bis 1938, Wien 2016.
Open-Access-Publikation im Sinne der Lizenz CC BY 4.0
Zeitwesen
Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Titel
- Zeitwesen
- Untertitel
- Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Autor
- Birgit Kirchmayr
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23310-7
- Abmessungen
- 17.3 x 24.5 cm
- Seiten
- 468
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 11
- Fragestellung und Ausgangsthesen 11
- Theoretische Bezugsrahmen 14
- Quellen 17
- „Zeitwesen“ oder: die ProtagonistInnen 20
- 1 Auto/Biographieforschung – KünstlerInnenforschung 33
- 2 KünstlerInnen über sich 79
- 2.1 Alfred Kubin – ein autobiographical life 80
- 2.2 Oskar Kokoschka – der biographische „Jongleur“ 105
- 2.3 Aloys Wach – Selbstbespiegelungen eines Suchenden 136
- 2.4 Erika Giovanna Klien – Autobiographische Fragmente 150
- 2.5 Margret Bilger – Autobiographisches wider Willen 164
- 2.6 Erstes Resümee oder: Wie KünstlerInnen über sich schreiben und dabei „biographische Formeln“ verwenden 175
- 3 KünstlerInnen und gesellschaftliche Diskurse 179
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 3.1.1 Alfred Kubin und die Misogynie der Moderne 185
- 3.1.2 „Mörder, Hoffnung der Frauen“: Oskar Kokoschka und die (modernen) Amazonen 206
- 3.1.3 Erika Giovanna Klien – schwierige Emanzipationswege einer „neuen“ Frau 214
- 3.1.4 Zerrissenheit und Identitätssuche – Geschlechterbilder bei Margret Bilger 220
- 3.2 Geschwindigkeit – Fortschrittseuphorie versus Kulturpessimismus 232
- 3.2.1 Alfred Kubins Traumstadt „Perle“ als Versuchsstation der Fortschrittsverweigerung 236
- 3.2.2 „Im Riesengefängnis New York“: Erika Giovanna Klien und ihr Verhältnis zu Stadt, Geschwindigkeit und Technik 245
- 3.2.3 Der Rückzug aufs Land: Alfred Kubin und Margret Bilger 256
- 3.2.4 „Haste nicht und raste nie. Sonst hastet die Neurasthenie“: ein Exkurs zum Nervendiskurs 264
- 3.3 Esoterik – Spirituelle Sinnsuche im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert 271
- 3.4. Zweites Resümee oder: Welche Diskurse der Moderne die KünstlerInnen bewegten 308
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis zum Nationalsozialismus 313
- 4.1 Die Legende vom unpolitischen Künstler – Zum Verständnis von Kunst und Politik bis 1945 315
- 4.2 Erster Weltkrieg und das Ende der k. u. k. Monarchie 319
- 4.3 Zwischen den Kriegen: Revolution(en), Republik(en), „Ständestaat“ 349
- 4.3.1 Der „Kunstlump“ – Oskar Kokoschka und die (deutsche) Revolution 353
- 4.3.2 Aloys Wach und die Münchner Räterepublik 360
- 4.3.3 Aus der Distanz: Erika Giovanna Klien und die österreichische Zwischenkriegszeit 368
- 4.3.4 „Weil ich nicht in der Vaterlandspartei bin“: Positionen zum „Ständestaat“ bei Oskar Kokoschka und Alfred Kubin 373
- 4.4 Nationalsozialismus 382
- 4.4.1 „… diese stummen Geister der Auflehnung“: Alfred Kubin und der Nationalsozialismus 385
- 4.4.2 Oskar Kokoschka: Selbstbildnis eines „entarteten“ Künstlers 397
- 4.4.3 „22° Waage“: Aloys Wach und der Nationalsozialismus 404
- 4.4.4 „… hätte ich aber die conträren Gesinnungen“: Margret Bilger und der Nationalsozialismus 409
- 4.5 Drittes Resümee oder: Wie politisch waren die „unpolitischen“ KünstlerInnen? 422
- Dank 426
- Abkürzungsverzeichnis 428
- Tabellen- und Abbildungsverzeichnis 429
- Quellen- und Literaturverzeichnis 431
- Archive und Sammlungen 431
- Zeitungen/Zeitschriften/Jahrbücher 432
- Literatur und gedruckte Quellen 432
- Personenregister 463