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| 3 KünstlerInnen und gesellschaftliche
Diskurse194
resten Höhlen??? Mein Geschlechtsnamen sollte eigentlich Don Manuel sein. – Hier will
jeder Fratz sich nur ‚unterm Altar‘ öffnen lassen. – Alle Hoffnungen liegen in München.“53
Von der (vermutlich) selben Köchin war bereits in einem Brief aus dem Sommer
1901 die Rede, ebenso wie von einer Krankheit. So schrieb er an seinen Freund
Rudolf Levy54 wie folgt:
„Meine Krankheit besteht noch immer und daher bin ich nicht so guter Dinge als Du
vielleicht denkst. Alles was gut schmecken würde darf ich nicht essen und trinken. Die
schöne Landschaft um Schärding ist mir verbotenes Gebiet. Ich darf ja nicht viel gehen.
Eine bereits zu Ostern angefickte Köchin ist nicht benutzbar, auch eine alte Cousine weilt
momentan zur Cur hier, leider – leider.“55
Kurze Zeit darauf verfasste Briefe machen klar, dass es sich bei der erwähnten
Krankheit um Gonorrhoe (Tripper) gehandelt hat, die Kubin während eines län-
geren Schärdingaufenthalts im Jahr 1901 ausheilte. So schrieb er am 11. November
1901 an Levy:
„Tripper ist bis auf ein klein wenig Gummi arabicum in den Morgenstunden ganz ver-
schwunden, wahrscheinlich in der unterirdischen Versenkung woraus alles Übel heraus-
tritt und schleicht gleich einer Schlange.“56
In einem Brief vom 15.
November an Levy wurde die Krankheit nochmals erwähnt.
Kubin klagte, aufgrund ärztlichen Rates noch länger in Schärding bleiben zu müs-
sen:
„Lieber Levy, Es ist eine ganze verfluchte Geschichte, – das Leben überhaupt und alles
was drum und dran hängt. Jetzt hat sich der Arzt welchen ich in meinem Tropfstadium
hatte, dagegengesträubt daß ich schon am Mittwoch 18. fort will und meinem Alten davon
erzählt wie gut es für meinen Leichnam wäre, wenn ich mir noch 8 Tage Schärdinger ekle
[sic] Schlaraffenruhe gönnen würde.“57
53 AK an Hans von Weber, Schärding 16.3.1903, zit. nach Assmann (Hg.), Kubin handschriftlich, 67.
54 Eine Auswahl von Briefen an den Maler und Freund Rudolf Levy (1875–1944) ist publiziert (und
als Faksimile abgedruckt) in: Peters/Brockhaus (Hg.), Alfred Kubin, 11–15.
55 AK an Rudolf Levy, Schärding 19.8.1901, zit. nach Peters/Brockhaus (Hg.), Alfred Kubin, 13.
56 AK an Rudolf Levy, Schärding 11.11.1901, zit. nach Peters/Brockhaus (Hg.), Alfred Kubin, 14.
57 AK an Rudolf Levy, Schärding 15.11.1901, zit. nach Peters/Brockhaus (Hg.), Alfred Kubin, 14
f.
Open-Access-Publikation im Sinne der Lizenz CC BY 4.0
Zeitwesen
Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Titel
- Zeitwesen
- Untertitel
- Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Autor
- Birgit Kirchmayr
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23310-7
- Abmessungen
- 17.3 x 24.5 cm
- Seiten
- 468
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 11
- Fragestellung und Ausgangsthesen 11
- Theoretische Bezugsrahmen 14
- Quellen 17
- „Zeitwesen“ oder: die ProtagonistInnen 20
- 1 Auto/Biographieforschung – KünstlerInnenforschung 33
- 2 KünstlerInnen über sich 79
- 2.1 Alfred Kubin – ein autobiographical life 80
- 2.2 Oskar Kokoschka – der biographische „Jongleur“ 105
- 2.3 Aloys Wach – Selbstbespiegelungen eines Suchenden 136
- 2.4 Erika Giovanna Klien – Autobiographische Fragmente 150
- 2.5 Margret Bilger – Autobiographisches wider Willen 164
- 2.6 Erstes Resümee oder: Wie KünstlerInnen über sich schreiben und dabei „biographische Formeln“ verwenden 175
- 3 KünstlerInnen und gesellschaftliche Diskurse 179
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 3.1.1 Alfred Kubin und die Misogynie der Moderne 185
- 3.1.2 „Mörder, Hoffnung der Frauen“: Oskar Kokoschka und die (modernen) Amazonen 206
- 3.1.3 Erika Giovanna Klien – schwierige Emanzipationswege einer „neuen“ Frau 214
- 3.1.4 Zerrissenheit und Identitätssuche – Geschlechterbilder bei Margret Bilger 220
- 3.2 Geschwindigkeit – Fortschrittseuphorie versus Kulturpessimismus 232
- 3.2.1 Alfred Kubins Traumstadt „Perle“ als Versuchsstation der Fortschrittsverweigerung 236
- 3.2.2 „Im Riesengefängnis New York“: Erika Giovanna Klien und ihr Verhältnis zu Stadt, Geschwindigkeit und Technik 245
- 3.2.3 Der Rückzug aufs Land: Alfred Kubin und Margret Bilger 256
- 3.2.4 „Haste nicht und raste nie. Sonst hastet die Neurasthenie“: ein Exkurs zum Nervendiskurs 264
- 3.3 Esoterik – Spirituelle Sinnsuche im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert 271
- 3.4. Zweites Resümee oder: Welche Diskurse der Moderne die KünstlerInnen bewegten 308
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis zum Nationalsozialismus 313
- 4.1 Die Legende vom unpolitischen Künstler – Zum Verständnis von Kunst und Politik bis 1945 315
- 4.2 Erster Weltkrieg und das Ende der k. u. k. Monarchie 319
- 4.3 Zwischen den Kriegen: Revolution(en), Republik(en), „Ständestaat“ 349
- 4.3.1 Der „Kunstlump“ – Oskar Kokoschka und die (deutsche) Revolution 353
- 4.3.2 Aloys Wach und die Münchner Räterepublik 360
- 4.3.3 Aus der Distanz: Erika Giovanna Klien und die österreichische Zwischenkriegszeit 368
- 4.3.4 „Weil ich nicht in der Vaterlandspartei bin“: Positionen zum „Ständestaat“ bei Oskar Kokoschka und Alfred Kubin 373
- 4.4 Nationalsozialismus 382
- 4.4.1 „… diese stummen Geister der Auflehnung“: Alfred Kubin und der Nationalsozialismus 385
- 4.4.2 Oskar Kokoschka: Selbstbildnis eines „entarteten“ Künstlers 397
- 4.4.3 „22° Waage“: Aloys Wach und der Nationalsozialismus 404
- 4.4.4 „… hätte ich aber die conträren Gesinnungen“: Margret Bilger und der Nationalsozialismus 409
- 4.5 Drittes Resümee oder: Wie politisch waren die „unpolitischen“ KünstlerInnen? 422
- Dank 426
- Abkürzungsverzeichnis 428
- Tabellen- und Abbildungsverzeichnis 429
- Quellen- und Literaturverzeichnis 431
- Archive und Sammlungen 431
- Zeitungen/Zeitschriften/Jahrbücher 432
- Literatur und gedruckte Quellen 432
- Personenregister 463