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Diskurse216
ein „Sendbote“ dem Thema der Treue gewidmet. Die darauf befindlichen Zeichnun-
gen und Schriftpassagen thematisieren die Treue, ein scheinbar doch von Frauen so
ersehnter Wert in Beziehungen, als langweiligen Zustand, der die junge Frau auf den
einzelnen Bildsequenzen zum dauerhaften Gähnen bringt. Die eingefügten Schrift-
elemente lauten wie folgt:
„Das Gähnen der Treue
Liebesbrief: Geliebter! Hundert Nächte habe ich tausendmal gegähnt
Die Treue ist kein leerer Wahn, ebenso wenig wie ihre Langweiligkeit
Der Nullpunkt im Leben einer verschlampten Existenz: Treue“123
Kokett spielt Klien mit traditionellen Vorstellungen, gibt sich als „verschlampte Exis-
tenz“ bewusst unangepasst und beansprucht als männlich definierte Vorstellungen
in Bezug auf Beziehungen und Treue/Untreue für sich. Auf dem „Sendboten Mai
1927“ findet sich die dazu passende Meldung:
„Sensationsnachricht. Erika Giovanna Klien ist seit einem Monat ‚treu‘. Ein sonderbarer
Zustand (Anm. d. R.)“124
Auf dem Blatt mit dem Titel „Drama“ findet sich ein kurzes Theaterstück, das das
Wesen oder die Definition von Liebe zum Inhalt hat. Die Personen des Stückes sind
„Das Vogerl – staatlich geprüfte Brieftaube von Österreich“, das einen Brief aus Wien
bringt, und „die arme Malerin“:
„V (Vogerl zuckt nervös mit den Schwanz-Federn)
Liebe ist auch eine philosophische Angelegenheit!!!
M (Malerin-Herzmuskeln zucken nervös – in Ermangelung von Schwanzfedern)
Liebe?!?!?!?!?!?!?!?
Malerin denkt:
‚Liebe ist der grösste Schwindel der Natur‘ Regrs. [sic] Prof. F. Cizek
‚Liebe ist eine Drüsen-Tätigkeit‘ Dr. Freud
‚Liebe ist die Vereinigung des männlichen und weiblichen Principes‘ Prentic [sic] Mulford
‚Es gibt eine Liebe – die über jede Definition erhaben ist‘ E.G.Klien“125
123 Erika Giovanna Klien, Klessheimer Sendbote „Die Treue“.
124 Erika Giovanna Klien, „Klessheimer Sendbote Mai 1927“.
125 Erika Giovanna Klien, Klessheimer Sendbote, „Drama“.
Open-Access-Publikation im Sinne der Lizenz CC BY 4.0
Zeitwesen
Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Titel
- Zeitwesen
- Untertitel
- Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Autor
- Birgit Kirchmayr
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23310-7
- Abmessungen
- 17.3 x 24.5 cm
- Seiten
- 468
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 11
- Fragestellung und Ausgangsthesen 11
- Theoretische Bezugsrahmen 14
- Quellen 17
- „Zeitwesen“ oder: die ProtagonistInnen 20
- 1 Auto/Biographieforschung – KünstlerInnenforschung 33
- 2 KünstlerInnen über sich 79
- 2.1 Alfred Kubin – ein autobiographical life 80
- 2.2 Oskar Kokoschka – der biographische „Jongleur“ 105
- 2.3 Aloys Wach – Selbstbespiegelungen eines Suchenden 136
- 2.4 Erika Giovanna Klien – Autobiographische Fragmente 150
- 2.5 Margret Bilger – Autobiographisches wider Willen 164
- 2.6 Erstes Resümee oder: Wie KünstlerInnen über sich schreiben und dabei „biographische Formeln“ verwenden 175
- 3 KünstlerInnen und gesellschaftliche Diskurse 179
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 3.1.1 Alfred Kubin und die Misogynie der Moderne 185
- 3.1.2 „Mörder, Hoffnung der Frauen“: Oskar Kokoschka und die (modernen) Amazonen 206
- 3.1.3 Erika Giovanna Klien – schwierige Emanzipationswege einer „neuen“ Frau 214
- 3.1.4 Zerrissenheit und Identitätssuche – Geschlechterbilder bei Margret Bilger 220
- 3.2 Geschwindigkeit – Fortschrittseuphorie versus Kulturpessimismus 232
- 3.2.1 Alfred Kubins Traumstadt „Perle“ als Versuchsstation der Fortschrittsverweigerung 236
- 3.2.2 „Im Riesengefängnis New York“: Erika Giovanna Klien und ihr Verhältnis zu Stadt, Geschwindigkeit und Technik 245
- 3.2.3 Der Rückzug aufs Land: Alfred Kubin und Margret Bilger 256
- 3.2.4 „Haste nicht und raste nie. Sonst hastet die Neurasthenie“: ein Exkurs zum Nervendiskurs 264
- 3.3 Esoterik – Spirituelle Sinnsuche im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert 271
- 3.4. Zweites Resümee oder: Welche Diskurse der Moderne die KünstlerInnen bewegten 308
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis zum Nationalsozialismus 313
- 4.1 Die Legende vom unpolitischen Künstler – Zum Verständnis von Kunst und Politik bis 1945 315
- 4.2 Erster Weltkrieg und das Ende der k. u. k. Monarchie 319
- 4.3 Zwischen den Kriegen: Revolution(en), Republik(en), „Ständestaat“ 349
- 4.3.1 Der „Kunstlump“ – Oskar Kokoschka und die (deutsche) Revolution 353
- 4.3.2 Aloys Wach und die Münchner Räterepublik 360
- 4.3.3 Aus der Distanz: Erika Giovanna Klien und die österreichische Zwischenkriegszeit 368
- 4.3.4 „Weil ich nicht in der Vaterlandspartei bin“: Positionen zum „Ständestaat“ bei Oskar Kokoschka und Alfred Kubin 373
- 4.4 Nationalsozialismus 382
- 4.4.1 „… diese stummen Geister der Auflehnung“: Alfred Kubin und der Nationalsozialismus 385
- 4.4.2 Oskar Kokoschka: Selbstbildnis eines „entarteten“ Künstlers 397
- 4.4.3 „22° Waage“: Aloys Wach und der Nationalsozialismus 404
- 4.4.4 „… hätte ich aber die conträren Gesinnungen“: Margret Bilger und der Nationalsozialismus 409
- 4.5 Drittes Resümee oder: Wie politisch waren die „unpolitischen“ KünstlerInnen? 422
- Dank 426
- Abkürzungsverzeichnis 428
- Tabellen- und Abbildungsverzeichnis 429
- Quellen- und Literaturverzeichnis 431
- Archive und Sammlungen 431
- Zeitungen/Zeitschriften/Jahrbücher 432
- Literatur und gedruckte Quellen 432
- Personenregister 463