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| 3 KünstlerInnen und gesellschaftliche
Diskurse260
der Innviertler Künstlergilde bei, pflegte als deren prominentes Mitglied aber nur
distanzierten, wenn auch wohlwollenden Kontakt zu den lokalen Kollegen.246 Im
Jahr 1938 tauchte eine neue Bezugsperson in Kubins Innviertler Universum auf:
Margret Bilger hatte das von ihrer Familie sonst nur zur Sommerfrische genutzte
Haus der Großmutter in Taufkirchen an der Pram zum Lebensmittelpunkt erkoren.
Taufkirchen liegt wie Wernstein im Bezirk Schärding, die beiden Orte sind nur etwa
15 Kilometer voneinander entfernt. Zu einem ersten Treffen kam es im Herbst 1938,
wie aus der erhaltenen Korrespondenz hervorgeht.
„Sehr geehrte Frau, Auf Ihre Anfrage teile ich Ihnen mit daß ich also am nächsten Mitt-
woch (19) Ihrem Besuch entgegensehen werde und andre Abhaltungen für Nachmittag
verschieben werde – Es grüßt bestens! Kubin“247
Dem ersten Treffen folgte die Einladung auf einen weiteren Besuch im Winter und
schließlich eine Künstlerfreundschaft, die bis zum Tod von Kubin im Jahr 1959 Be-
stand hatte und für beide eine wichtige Rolle in ihrem Leben einnahm.
Margret Bilger hatte schon vor ihrem endgültigen Umzug nach Taufkirchen viel
Zeit in jenem Haus verbracht, in dem bis 1911 ihre Großmutter väterlicherseits ge-
lebt hatte.248 Die in Graz ansässige Familie Bilger nutzte das Haus in den Sommerfe-
rien, als Erwachsene kam Bilger auch häufig ohne ihre Familie in das Innviertel, um
Abstand von der Stadt und Ruhe zu finden. Als Mitglied der Wandervogelbewegung
pflegte sie eine tiefe, ihrem Wesen nach ins Mythische gehende Naturverbunden-
heit.249 Franz Xaver Hofer, langjähriger Freund Bilgers, schrieb über die Stadt/Land-
246 Vgl. dazu auch Sieglinde Baumgartner, Alfred Kubin und sein künstlerisches Umfeld im Innviertel,
in: Peter Assmann (Hg.), Alfred Kubin – Kunstbeziehungen, Linz, Salzburg 1995, 205–226; ONB,
Teilnachlass Wach, Mappe 624/99, Alfred Kubin.
247 AK an MB, Zwickledt 14.10.1938, zit. nach Bilger/Kubin, Briefwechsel, 1.
248 Das Haus war 1864 vom Urgroßvater Margret Bilgers als bäuerliches „Auszugshäusl“ errichtet wor-
den, laut Häuserchronik Taufkirchens ging der Besitz Leoprechting Nr. 10 im Jahr 1900 auf die
Großmutter, die damals in 2. Ehe verheiratete Anna Lang, über. Nach deren Tod 1911 erbte ihr
Sohn Ferdinand Bilger, Margret Bilgers Vater, das Haus und nach dessen Tod im Jahr 1952 ging
es in den Besitz von Margret Bilger und ihrer Schwester Irmtraut Ring über. Vgl. Marktgemeinde
Taufkirchen an der Pram (Hg.), Häuserchronik Taufkirchen an der Pram, Ried im Innkreis 2010,
85. Vgl. auch Verein Bilger-Haus (Hg.), Das Bilger-Breustedt-Haus, Schärding 2004.
249 Interessante Dokumente zu Margret Bilgers Verbundenheit mit dem Grazer Wandervogel finden
sich im Bilger-Archiv Taufkirchen: Ernst Matthäus Fürböck, Versuch über Margret Bilger. Zur
Geistesgeschichte der Jugendbewegung, unveröff. Manuskript, 10 Seiten, o. D.; Anni Gamerith an
Melchior Frommel, Graz 15.1.1972.
Open-Access-Publikation im Sinne der Lizenz CC BY 4.0
Zeitwesen
Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Titel
- Zeitwesen
- Untertitel
- Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Autor
- Birgit Kirchmayr
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23310-7
- Abmessungen
- 17.3 x 24.5 cm
- Seiten
- 468
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 11
- Fragestellung und Ausgangsthesen 11
- Theoretische Bezugsrahmen 14
- Quellen 17
- „Zeitwesen“ oder: die ProtagonistInnen 20
- 1 Auto/Biographieforschung – KünstlerInnenforschung 33
- 2 KünstlerInnen über sich 79
- 2.1 Alfred Kubin – ein autobiographical life 80
- 2.2 Oskar Kokoschka – der biographische „Jongleur“ 105
- 2.3 Aloys Wach – Selbstbespiegelungen eines Suchenden 136
- 2.4 Erika Giovanna Klien – Autobiographische Fragmente 150
- 2.5 Margret Bilger – Autobiographisches wider Willen 164
- 2.6 Erstes Resümee oder: Wie KünstlerInnen über sich schreiben und dabei „biographische Formeln“ verwenden 175
- 3 KünstlerInnen und gesellschaftliche Diskurse 179
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 3.1.1 Alfred Kubin und die Misogynie der Moderne 185
- 3.1.2 „Mörder, Hoffnung der Frauen“: Oskar Kokoschka und die (modernen) Amazonen 206
- 3.1.3 Erika Giovanna Klien – schwierige Emanzipationswege einer „neuen“ Frau 214
- 3.1.4 Zerrissenheit und Identitätssuche – Geschlechterbilder bei Margret Bilger 220
- 3.2 Geschwindigkeit – Fortschrittseuphorie versus Kulturpessimismus 232
- 3.2.1 Alfred Kubins Traumstadt „Perle“ als Versuchsstation der Fortschrittsverweigerung 236
- 3.2.2 „Im Riesengefängnis New York“: Erika Giovanna Klien und ihr Verhältnis zu Stadt, Geschwindigkeit und Technik 245
- 3.2.3 Der Rückzug aufs Land: Alfred Kubin und Margret Bilger 256
- 3.2.4 „Haste nicht und raste nie. Sonst hastet die Neurasthenie“: ein Exkurs zum Nervendiskurs 264
- 3.3 Esoterik – Spirituelle Sinnsuche im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert 271
- 3.4. Zweites Resümee oder: Welche Diskurse der Moderne die KünstlerInnen bewegten 308
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis zum Nationalsozialismus 313
- 4.1 Die Legende vom unpolitischen Künstler – Zum Verständnis von Kunst und Politik bis 1945 315
- 4.2 Erster Weltkrieg und das Ende der k. u. k. Monarchie 319
- 4.3 Zwischen den Kriegen: Revolution(en), Republik(en), „Ständestaat“ 349
- 4.3.1 Der „Kunstlump“ – Oskar Kokoschka und die (deutsche) Revolution 353
- 4.3.2 Aloys Wach und die Münchner Räterepublik 360
- 4.3.3 Aus der Distanz: Erika Giovanna Klien und die österreichische Zwischenkriegszeit 368
- 4.3.4 „Weil ich nicht in der Vaterlandspartei bin“: Positionen zum „Ständestaat“ bei Oskar Kokoschka und Alfred Kubin 373
- 4.4 Nationalsozialismus 382
- 4.4.1 „… diese stummen Geister der Auflehnung“: Alfred Kubin und der Nationalsozialismus 385
- 4.4.2 Oskar Kokoschka: Selbstbildnis eines „entarteten“ Künstlers 397
- 4.4.3 „22° Waage“: Aloys Wach und der Nationalsozialismus 404
- 4.4.4 „… hätte ich aber die conträren Gesinnungen“: Margret Bilger und der Nationalsozialismus 409
- 4.5 Drittes Resümee oder: Wie politisch waren die „unpolitischen“ KünstlerInnen? 422
- Dank 426
- Abkürzungsverzeichnis 428
- Tabellen- und Abbildungsverzeichnis 429
- Quellen- und Literaturverzeichnis 431
- Archive und Sammlungen 431
- Zeitungen/Zeitschriften/Jahrbücher 432
- Literatur und gedruckte Quellen 432
- Personenregister 463