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3.2 Geschwindigkeit – Fortschrittseuphorie versus Kulturpessimismus | 263
ihre künstlerische Entwicklung wichtig gewesen zu sein. Das abgeschiedene Haus am
Land wurde ihr nicht nur zum Lebensmittelpunkt, in den Briefen an den Vater und
die Geschwister machte sie den Ort auch zur Quelle ihrer künstlerischen Inspiration:
„[…] wie dankbar, unendlich dankbar ich es empfinde, Taufkirchen zu wissen einen Fleck
Erde den ich liebe wo ich aufbauen kann. Ich kann Euch nicht sagen wie froh u. beruhigt
ich bin über Taufkirchen. So schwer das jetzt ist, diese Kälte, ohne Holz, den ganzen Tag
kein warmes Essen, doppelt, da ich so verwöhnt wurde, fühle ich doch, dass der Boden
hier ist wo ich arbeiten kann. Ich bin dankbar nach Taufkirchen zu können, der Stätte
woher ich alle Nahrung für die Arbeit ziehe.“ 259
Wie bei Alfred Kubin wurde auch bei Margret Bilger der gewählte ländliche Rück-
zugsort zu einem dauerhaften Lebensmittelpunkt. Während Kubin bis zu seinem
Tod 1959 durchgehend in Zwickledt lebte, fand die Künstlerin Bilger in den Jahr-
zehnten vor ihrem Tod in der oberösterreichischen Gemeinde Schlierbach und dem
dortigen Kloster noch einen weiteren für sie bestimmenden ländlichen Lebensort.
Zentraler Wohnsitz blieb aber Taufkirchen. Sowohl Bilger wie auch Kubin wurden
nach ihrem Tod in ihren selbstgewählten Heimatorten begraben, ihre ehemaligen
Wohnstätten dienen heute als Museen.260
259 Bilger-Archiv, MB an Ferdinand Bilger (Vater), Homburg 9. März 1940; MB an Irmtraut Bilger
(Schwester), Taufkirchen o. D. [März 1940]; MB an Ferdinand Bilger (Vater), Homburg 7.12.1940.
260 Das ehemalige Wohnhaus von Alfred und Hedwig Kubin befindet sich heute im Besitz des Lan-
des Oberösterreich und wird vom Oberösterreichischen Landesmuseum betreut. Es ist öffentlich
zugänglich, die Wohnräume sowie die Bibliothek sind mit einem Anspruch auf originalgetreuen
Zustand erhalten (inklusive Kubins Pelerine und Gehstock an der Garderobe), in einem eigens
adaptierten Raum finden wechselnde Veranstaltungen und Ausstellungen statt. Vgl. http://www.
landesmuseum.at/standorte/kubin-haus-zwickledt.html (2.9.2019) Das ehemalige Wohnhaus von
Margret Bilger und ihrem zweiten Mann Hans Breustedt wird vom 1998 gegründeten Verein „Bil-
ger-Breustedt-Haus“ betreut. Es ist ebenfalls öffentlich zugänglich, Wohn- und Arbeitsräume kön-
nen besichtigt werden, auch Ausstellungen werden veranstaltet. Vgl. http://www.bilger-breustedt.at/
site.html (2.9.2019).
Open-Access-Publikation im Sinne der Lizenz CC BY 4.0
Zeitwesen
Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Titel
- Zeitwesen
- Untertitel
- Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Autor
- Birgit Kirchmayr
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23310-7
- Abmessungen
- 17.3 x 24.5 cm
- Seiten
- 468
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 11
- Fragestellung und Ausgangsthesen 11
- Theoretische Bezugsrahmen 14
- Quellen 17
- „Zeitwesen“ oder: die ProtagonistInnen 20
- 1 Auto/Biographieforschung – KünstlerInnenforschung 33
- 2 KünstlerInnen über sich 79
- 2.1 Alfred Kubin – ein autobiographical life 80
- 2.2 Oskar Kokoschka – der biographische „Jongleur“ 105
- 2.3 Aloys Wach – Selbstbespiegelungen eines Suchenden 136
- 2.4 Erika Giovanna Klien – Autobiographische Fragmente 150
- 2.5 Margret Bilger – Autobiographisches wider Willen 164
- 2.6 Erstes Resümee oder: Wie KünstlerInnen über sich schreiben und dabei „biographische Formeln“ verwenden 175
- 3 KünstlerInnen und gesellschaftliche Diskurse 179
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 3.1.1 Alfred Kubin und die Misogynie der Moderne 185
- 3.1.2 „Mörder, Hoffnung der Frauen“: Oskar Kokoschka und die (modernen) Amazonen 206
- 3.1.3 Erika Giovanna Klien – schwierige Emanzipationswege einer „neuen“ Frau 214
- 3.1.4 Zerrissenheit und Identitätssuche – Geschlechterbilder bei Margret Bilger 220
- 3.2 Geschwindigkeit – Fortschrittseuphorie versus Kulturpessimismus 232
- 3.2.1 Alfred Kubins Traumstadt „Perle“ als Versuchsstation der Fortschrittsverweigerung 236
- 3.2.2 „Im Riesengefängnis New York“: Erika Giovanna Klien und ihr Verhältnis zu Stadt, Geschwindigkeit und Technik 245
- 3.2.3 Der Rückzug aufs Land: Alfred Kubin und Margret Bilger 256
- 3.2.4 „Haste nicht und raste nie. Sonst hastet die Neurasthenie“: ein Exkurs zum Nervendiskurs 264
- 3.3 Esoterik – Spirituelle Sinnsuche im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert 271
- 3.4. Zweites Resümee oder: Welche Diskurse der Moderne die KünstlerInnen bewegten 308
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis zum Nationalsozialismus 313
- 4.1 Die Legende vom unpolitischen Künstler – Zum Verständnis von Kunst und Politik bis 1945 315
- 4.2 Erster Weltkrieg und das Ende der k. u. k. Monarchie 319
- 4.3 Zwischen den Kriegen: Revolution(en), Republik(en), „Ständestaat“ 349
- 4.3.1 Der „Kunstlump“ – Oskar Kokoschka und die (deutsche) Revolution 353
- 4.3.2 Aloys Wach und die Münchner Räterepublik 360
- 4.3.3 Aus der Distanz: Erika Giovanna Klien und die österreichische Zwischenkriegszeit 368
- 4.3.4 „Weil ich nicht in der Vaterlandspartei bin“: Positionen zum „Ständestaat“ bei Oskar Kokoschka und Alfred Kubin 373
- 4.4 Nationalsozialismus 382
- 4.4.1 „… diese stummen Geister der Auflehnung“: Alfred Kubin und der Nationalsozialismus 385
- 4.4.2 Oskar Kokoschka: Selbstbildnis eines „entarteten“ Künstlers 397
- 4.4.3 „22° Waage“: Aloys Wach und der Nationalsozialismus 404
- 4.4.4 „… hätte ich aber die conträren Gesinnungen“: Margret Bilger und der Nationalsozialismus 409
- 4.5 Drittes Resümee oder: Wie politisch waren die „unpolitischen“ KünstlerInnen? 422
- Dank 426
- Abkürzungsverzeichnis 428
- Tabellen- und Abbildungsverzeichnis 429
- Quellen- und Literaturverzeichnis 431
- Archive und Sammlungen 431
- Zeitungen/Zeitschriften/Jahrbücher 432
- Literatur und gedruckte Quellen 432
- Personenregister 463